Apostolische Nuntiatur in München, Diplomatischer Status im Verlauf der Revolution in Bayern

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Analyse
Eugenio Pacelli lehnte es ab, nach der Revolution in Bayern in diplomatische Beziehungen mit der neuen Regierung unter Kurt Eisner (USPD) zu treten. Er konnte allerdings durch seinen Auditor Lorenzo Schioppa erreichen, dass die Nuntiatur verschlüsselte Telegramme nach Bern senden durfte – der diplomatische Status des sicheren Postverkehrs wurde der Nuntiatur allerdings verweigert (Dokument Nr. 302). Um diplomatische Schwierigkeiten mit der Revolutionsregierung zu vermeiden, reiste Pacelli am 22. November 1918 auf Anraten des Münchener Erzbischofs Michael Kardinal von Faulhaber, im Trachtenanzug verkleidet, nach Rorschach in die Schweiz – offiziell aus gesundheitlichen Gründen (zur Darstellung der Ereignisse durch Faulhaber siehe Dokument Nr. 7528). Schioppa blieb in der Münchener Nuntiatur und übernahm die laufenden Geschäfte, ohne dass der diplomatische Status der Nuntiatur geklärt gewesen wäre (Dokument Nr. 8431).
Pacelli kehrte nach den Landtagswahlen vom 12. Januar 1919 am 31. Januar wieder nach München zurück (Dokument Nr. 5074). Dort blieb er allerdings nur eine gute Woche. Nach Michael F. Feldkamp verließ er München auf Anraten Faulhabers erneut am 9. Februar und zog sich nun bis zum 12. März in das Salesianerinnenkloster Zangenberg in Oberbayern zurück. Seine Nuntiaturberichte tragen allerdings alle als Ausstellungsort München.
Nach Übergriffen auf die österreichische sowie auf die preußische Gesandtschaft in München konnte Schioppa am 18. April 1919 eine Erklärung der Exterritorialität für die Nuntiatur durch den Volksbeauftragten des Auswärtigen der Zweiten bzw. Kommunistischen Räterepublik in Bayern, Dietrich, erwirken (Dokument Nr. 257). Bereits am 10. April war in der Bayerischen Staatszeitung eine Schutzerklärung für den Nuntius und die Nuntiatur durch den Minister des Äußeren der Ersten Räterepublik in Bayern, Franz Lipp, veröffentlicht worden (Dokument Nr. 918).
Zwei Tage darauf garantierte die bayerische Regierung unter Ministerpräsident Johannes Hoffmann (SPD) in der Bayerischen Staatszeitung die Unverletzlichkeit der Nuntiatur. Damit stand sie unter dem Schutz der beiden rivalisierenden machtpolitischen Gruppen in München und damit gewissermaßen auch in diplomatischen Beziehungen mit diesen. Doch deren Erklärungen hatten in der Tat nur "einen sehr relativen Wert" ("un valore molto relativo"; Dokument Nr. 257). Denn bereits am 29. April 1919 wurde die Exterritorialität der Münchener Nuntiatur durch marodierende Soldaten verletzt. Das Auto des Nuntius wurde beschlagnahmt, später jedoch wieder zurückgegeben (Dokument Nr. 258). Der exterritoriale Charakter der Nuntiatur konnte auch im Rahmen der Wiederherstellung der Ordnung in Bayern mit Hilfe der Reichwehr nicht bewahrt werden. Das Nuntiaturgebäude geriet am 3. Mai 1919 unter Beschuss und wurde von preußischen Regierungstruppen nach aufständischen Spartakisten durchsucht (Dokument Nr. 259).
Pacelli zog sich am 20. Mai 1919 (Dokument Nr. 7223) erneut nach Rorschach zurück und kehrte am 8. August 1919 nach München zurück (Dokument Nr. 9707). Nach Zedler war die Rückkehr Pacellis das Verdienst des bayerischen Gesandten beim Heiligen Stuhl, Ritter zu Groensteyn, der den Nuntius zuerst gebeten hatte zurückzukehren und als dieser nicht reagierte, den Druck auf diesen erhöhte, indem er drohte, die Regierung könnte den Aufenthalt Pacellis in Rorschach als Desinteresse des Heiligen Stuhls an einem neuen Konkordat interpretieren.
Pacellis Vorgehen stieß in kurialen Kreisen offenbar auf Kritik. Faulhaber registrierte diese, als er anlässlich des Konsistoriums im Sommer 1921 nach Rom reiste. Er verfasste daraufhin eine Denkschrift, die das Verhalten des Nuntius rechtfertigte und die Pacelli seinem Vertrauten Giuseppe Pizzardo übersandte, damit dieser sie im Staatssekretariat zu den Akten lege (Dokument Nr. 6251).
Quellen
Pacelli an Gasparri vom 15. November 1918; Dokument Nr. 302.
Pacelli an Gasparri vom 22. November 1918; Dokument Nr. 8431.
Pacelli an Gasparri vom 26. November 1918, Dokument Nr. 255.
Pacelli an Gasparri vom 20. Februar 1919; Dokument Nr. 316.
Pacelli an Gasparri vom 23. Februar 1919; Dokument Nr. 317.
Pacelli an Gasparri vom 18. April 1919; Dokument Nr. 257.
Pacelli an Gasparri vom 30. April 1919; Dokument Nr. 258.
Pacelli an Gasparri vom 5. Mai 1919; Dokument Nr. 259.
Lipp an Pacelli vom 9. April 1919; Dokument Nr. 918.
Pacelli an Gasparri vom 9. August 1919; Dokument Nr. 9707.
Pacelli an Pizzardo vom 10. Juli 1921; Dokument Nr. 6251.
Literatur
CHENAUX, Philippe, Pie XII. Diplomate et pasteur (Histoire Biographie), Paris 2003, S. 128-133.
FATTORINI, Emma, Germania e Santa Sede. Le nunziature di Pacelli fra la Grande guerra e la Repubblica di Weimar (Annali dell'Istituto storico italo-germanico Monografia 18), Bologna 1992, S. 102-110.
FELDKAMP, Michael F., Pius XII. und Deutschland, Göttingen 2000, S. 33-35.
Pacellis Erkrankung an der "Spanischen Grippe"; Schlagwort Nr. 7030.
STEHLE, Hansjakob, Geheimdiplomatie im Vatikan. Die Päpste und die Kommunisten, Zürich 1993, S. 22.
WEITLAUFF, Manfred, Die Leitung der Erzdiözese München und Freising in Kriegs- und Nachkriegszeit. Die Erzbischöfe und Kardinäle Michael von Faulhaber (1869-1952) und Joseph Wendel (1901-1960), in: Münchener Theologische Zeitschrift 57 (2006), S. 320-346, hier 325 f.
ZEDLER, Jörg, Bayern und der Vatikan. Eine politische Biographie des letzten bayerischen Gesandten am Heiligen Stuhl Otto von Ritter (1909-1934) (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 125), Paderborn u. a. 2013, S. 383-387.
Empfohlene Zitierweise
Apostolische Nuntiatur in München, Diplomatischer Status im Verlauf der Revolution in Bayern, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 4029, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/4029. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 02.03.2011, letzte Änderung am 24.03.2021.
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