Kirchenrechtlicher Status von Eupen und Malmédy

Der Versailler Vertrag legte in Artikel 34 fest, dass das Deutsche Reich die Kreise Eupen und Malmédy für sechs Monate an Belgien abtreten musste. In dieser Zeit sollten sich die Einwohner in Listen eintragen und entweder für den Verbleib beim Deutschen Reich oder für den Anschluss an Belgien votieren. Der Völkerbund behielt sich eine Entscheidung auf der Basis des Votums vor. Am 10. Januar 1920 übernahm die belgische Regierung provisorisch die Verwaltung der schon länger besetzten Kreise. Damit wurde eine Angleichung der Diözesangrenzen – die Kreise gehörte zum Erzbistums Köln – an die neue Staatsgrenze zwischen dem Deutschen Reich und Belgien zwar nicht de jure notwendig, doch sie wurde von belgischer Seite konsequent gefordert, um den deutschen Einfluss in den Kreisen zurückzudrängen und den belgischen zu stärken. Um die Bevölkerung in den fast durchweg katholischen Kreisen für Belgien zu gewinnen, versuchte die belgische Regierung Einfluss auf den gesellschaftlich hoch angesehenen Pfarrklerus zu nehmen. Dieser sollte deshalb aus der Jurisdiktion des deutschen Kölner Oberhirten entlassen und einem belgischen Bischof unterstellt werden. Die Reichsregierung hingegen sah in der Zugehörigkeit Eupen-Malmédys zur Erzdiözese Köln die letzte institutionelle Klammer zum Reich, die beibehalten werden sollte, um eine Revision der Bestimmungen des Versailler Vertrags erreichen zu können. Der Heilige Stuhl suchte in diesem Kontext eine Kompromisslösung für die sechsmonatige Übergangszeit, denn er konnte weder den – aus jeweiliger nationaler Perspektive berechtigten – Forderungen Belgiens noch denen des Deutschen Reichs bzw. des Erzbistums Köln nachkommen. Außerdem war es gängige Praxis des Heiligen Stuhls, Grenzanpassungen der Diözesen erst nach Stabilisierung der politischen Lage und nicht bereits in Umbruchsphasen zu vollziehen. Als Kompromiss für die sechsmonatige Übergangszeit wurde der belgische Nuntius Sebastiano Nicotra zum Apostolischen Administrator für Eupen, Malmédy und St. Vith ernannt. Nicotra sollte dabei allerdings vor allem als ausführendes Organ für die Anordnungen des Kölner Ordinariats dienen (Dokument Nr. 5560).
Auch wenn Nicotra versuchte, seine Position den Weisungen des Heiligen Stuhls entsprechend neutral auszufüllen, kam es zu ersten Spannungen mit dem Kölner Erzbischof Karl Joseph Schulte und dem Klerus in Eupen-Malmédy, die sich nach der Volksbefragung am 23. Juli 1920 deutlich verschärften. Der Völkerbundrat übertrug am 20. September 1920 die volle Souveränität über Eupen-Malmédy an Belgien, woraufhin das Deutsche Reich Einspruch erhob. Damit war auch die kirchliche Jurisdiktion weiter unklar: Schulte betrachtete die Situation angesichts der deutschen Proteste als noch nicht entschieden, Belgien und der Heilige Stuhl hingegen bewerteten diese Einsprüche als aussichtslos. Nicotra blieb weiterhin Apostolischer Administrator, legte aber seine Neutralität ab und wies ab November 1920 die Kölner Zuständigkeit zurück. Schulte versuchte, die Eingliederung Eupen-Malmédy in eine belgische Diözese, namentlich Lüttich, wie sie die belgische Regierung forderte, zu verhindern und schlug die Ernennungen eines Apostolischen, faktisch aber erzbischöflichen Administrators vor (Dokument Nr. 8569).
Die Römische Kurie fand erneut einen Kompromiss, der auf die Intervention des deutschen Vatikanbotschafters Diegon von Bergen zurückging. Die Kreise Eupen und Malmédy wurden aus dem Erzbistum Köln ausgegliedert und in der neuen Diözese Eupen-Malmédy zusammengefasst, die vorerst in Personalunion mit der Diözese Lüttich gleichberechtigt geführt wurde (unio aeque principaliter). Bei der angestrebten Neuzirkumskription der belgischen Diözesen sollte sie ihren endgültigen Status erhalten. Die Bistumserrichtung ließ allerdings auf sich warten, auch weil die belgische Regierung die vatikanische Entscheidung nicht akzeptieren wollte. Der Pfarrklerus erhielt in dieser Zeit teilweise widersprüchliche Anweisung des Kölner Ordinariats, der Brüsseler Nuntiatur und des designierten Lütticher Ordinariats. So trieb Schulte den Konflikt mit Nicotra auf die Spitze, als er erklären ließ, dass dieser seit Juli 1920 keine Jurisdiktionsgewalt mehr in Eupen und Malmédy hätte und damit dessen Priestereinsetzungen nichtig seien.
Letztlich setzte sich der Heilige Stuhl gegen die belgischen Forderungen und die des Kölner Erzbischofs durch und die auf den 30. Juli 1921 datierte Errichtungsbulle für die Diözese Eupen-Malmédy wurde im September des Jahres versandt (Dokument Nr. 15801). Als Konzession an die belgische Regierung wurde die Priesterausbildung der neuen Diözese in Lüttich durchgeführt und hinsichtlich der Stellenbesetzung bildeten die Diözesen Eupen-Malmédy und Lüttich eine Einheit. Die unübersichtliche kirchliche Verwaltung in Eupen und Malmédy war damit (vorerst) endgültig geregelt und die Beziehungen zwischen Schulte, Nicotra und dem Lütticher Bischof Martin-Hubert Rutten normalisierten sich, zumindest auf offizieller Ebene.
Das Bistum Eupen-Malmédy hatte jedoch nicht lange Bestand. Bereits im Sommer 1923 forderte die belgische Regierung die Integration von Eupen-Malmédy in die Diözese Lüttich analog der geplanten staatlichen Verwaltungsreform. Die Kurie stimmte einer Änderung der gefundenen Kompromisslösung erst nach eineinhalbjährigen Verhandlungen zu. Mit der nicht veröffentlichten Bulle "Litteris apostolicis" vom 15. April 1925 wurde die Diözese Eupen-Malmédy aufgelöst und sie ging in die Diözese Lüttich auf. Für die Gebiete der ehemaligen Diözese wurde mit dem deutschsprechenden Lütticher Weihbischof Ludwig Kerkhof ein eigener Generalvikar ernannt, um der deutschen Minderheit Rechnung zu tragen.
Quellen
Apostolische Bulle "Ecclesiae universae" vom 30. Juli 1921, in: Acta Apostolicae Sedis 13 (1921), S. 467-469, in: www.vatican.va (Letzter Zugriff am: 10.02.2016).
Gasparri an Pacelli vom 3. Februar 1920; Dokument Nr. 5560.
Pacelli an Gasparri vom 25. Juni 1920; Dokument Nr. 8569.
Gasparri an Pacelli vom 9. September 1921; Dokument Nr. 15801.
Literatur
HEGEL, Eduard, Das Erzbistum Köln, Bd. 5: Zwischen der Restauration des 19. Jahrhunderts und der Restauration des 20. Jahrhunderts 1815-1962, Köln 1987, S. 120-122.
HELBACH, Ulrich, Das Erzbistum Köln, Bd. 5, Kehl am Rhein 1998, S. 23.
PABST, Klaus, Zwischenspiel: Das Bistum Eupen und Malmedy, 1921-1925, in: BOONEN, Philipp (Hg.), Lebensraum Bistum Aachen. Tradition – Aktualität – Zukunft, Aachen 1982, S. 27-62.
STEHLIN, Stewart A., Weimar and the Vatican 1919-1933. German-Vatican Relations in the Interwar Years, Princeton, New Jersey 1983, S. 163-176.
Empfohlene Zitierweise
Kirchenrechtlicher Status von Eupen und Malmédy, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 8030, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/8030. Letzter Zugriff am: 18.04.2024.
Online seit 14.05.2013, letzte Änderung am 15.02.2016.
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