Interfraktioneller Ausschuss

Der Interfraktionelle Ausschuss, auch als "Ausschuss der Mehrheitsparteien" bezeichnet, wurde umgehend nach der Rede des Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger vor dem Hauptausschuss des Reichstags am 6. Juli 1917 gebildet, in der er das Scheitern des uneingeschränkten U-Bootkrieges offenlegte und einen Verständigungsfrieden forderte. Der Interfraktionelle Ausschuss war kein offizieller Reichstagsausschuss, sondern ein informelles Gremium aus Vertretern verschiedener parlamentarischer Fraktionen, die ihr Vorgehen aufeinander abstimmen wollten. Er war zunächst lediglich für die Frage der Friedensresolution vorgesehen, entwickelte sich jedoch zu einem ständigen Koordinationsausschuss.
Als informelles Gremium besaß der Interfraktionelle Ausschuss keine Geschäftsordnung. Weder gab es einen festen Vorsitzenden, noch wurde zwischen festen von den Fraktionen delegierten Teilnehmern und solchen, die nur gelegentlich anwesend waren, unterschieden. Zu Beginn setzte sich der Interfraktionelle Ausschuss aus Vertretern der Mehrheitssozialdemokraten, der Fortschrittlichen Volkspartei, der Zentrumspartei und der Nationalliberalen Partei zusammen. Die Nationalliberalen verließen den Ausschuss am 12. Juli 1917 und stießen erst wieder von August 1917 bis Anfang 1918 dazu. Bis zum Ausbruch der Revolution im November 1918 konnten über 100 Sitzungen rekonstruiert werden.
Zwar war der Interfraktionelle Ausschuss formal bedeutungslos, doch de facto drängte er das Plenum und den Hauptausschuss in den Hintergrund. Er repräsentierte in der Kanzlerkrise im Herbst 1917 alleine den Machtanspruch des Parlaments gegenüber der Reichsleitung. Aus dem Interfraktionellen Ausschuss ging der Siebener-Ausschuss der Parteiführer hervor.
Der Interfraktionelle Ausschuss scheiterte letztlich mit seiner Friedensresolution vom 19. Juli 1917. Auch in der Frage der Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechts war ihm kein Erfolg beschieden. Dennoch stellte er einen wichtigen Schritt im Prozess der Parlamentarisierung des Deutschen Reichs dar. Die im Interfraktionellen Ausschuss vertretenen Mehrheitsparteien bildeten in der Weimarer Republik die Weimarer Koalition.
Quellen
MATTHIAS, Erich/ MORSEY, Rudolf (Hg.), Der Interfraktionelle Ausschuß 1917/18, Bd. 1 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Reihe 1: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik 1), Düsseldorf 1959, S. 37-39.
Literatur
BERMBACH, Udo, Vorformen parlamentarischer Kabinettsbildung in Deutschland. Der Interfraktionelle Ausschuss 1917/18 und die Parlamentarisierung der Reichsregierung (Politische Forschungen, 8), Köln 1967.
EPSTEIN, Klaus, Der interfraktionelle Ausschuß und das Problem der Parlamentarisierung 1917-1918, in: Historische Zeitschrift 191 (1960), S. 562-584.
HUBER, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914-1919, Stuttgart u. a. 1978.
RAUH, Manfred, Die Parlamentarisierung des Deutschen Reiches (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 60), Düsseldorf 1977.
SCHÖNBERGER, Christoph, Die überholte Parlamentarisierung, Einflußgewinn und fehlende Herrschaftsfähigkeit des Reichstags im sich demokratisierenden Kaiserreich, in: Historische Zeitschrift 272 (2001), S. 622-666.
Empfohlene Zitierweise
Interfraktioneller Ausschuss, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 9011, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/9011. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 24.03.2010.
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