Dokument-Nr. 10830

[Fonck SJ, Leopold]: Bemerkungen über die Schriften von Prof. Dr. A. Sanda:
1. Die Bücher der Könige überstezt u. erklärt. 2 Bände. Münster/W. 1911.
2. Salomo und seine Zeit. Ebd.  1913.
3. Elias und die religiösen Verhältnisse seiner Zeit. Ebd. 1914.. [Ohne Ort], vor dem 25. März 1919

Confidenziale
1. Allgemeiner Charakter. 1. Die Erklärung der Königsbücher gehört zu dem "Exegetischen Handbuch zum Alten Testament", das von Prof. Dr. Joh. Nikel in Breslau herausgegeben wird. Die beiden Hefte über Salomo und Elias gehören zu den von J. Nikel und I. Rohr begründeten "Biblischen Zeitfragen". In diesen beiden Heften werden die gelehrten Ausführungen des Kommentars über die betreffenden Abschnitte in gemein-verständlicher Weise für das Volk wiedergegeben.
2. Der Kommentar gleicht in der äusseren Form und in der Methode der Erklärung ganz den modernen protestantischen Auslegungswerken. In allen Fragen wird auf die rein inneren kritischen Gründe das entscheidene Gewicht gelegt. Die literar-kritische Behandlung und die bis ins einzelnste gehende Quellenscheidung nimmt einen breiten Raum ein. Die philologische, geschichtlich-geographische und archäologische Seite der Auslegung ist sorgfältig beachtet.
3. Infolge der Ueberschätzung der inneren Gründe machen viele Behauptungen und Erklärungen einen sehr subjektiven Eindruck. Manche Voraussetzungen sind willkürlich und stehen zum Teil mit der kirchlichen Auffassung in offenem Widerspruch. Beispiele und Beweise dafür werde ich im folgenden anführen.
2
4. Auf die früheren und zum Teil sehr bedeutenden katholischen Erklärer wird in der Auslegung gar keine Rücksicht genommen. Der Verfasser scheint sie überhaupt nicht zu kennen, da er bei der Aufzählung in der Einleitung S. XLIII z. B. bei einem der wichtigsten Hauptwerke "Salomon praevius" von Juan de Pineda den Verfasser "Thomas de Pineda" nennt und den Haupttitel ganz auslässt; "De rebus Salomonis regis libri octo" ist nur der erklärende Untertitel. Ueberhaupt wird auf die katholische Literatur, wie es scheint, gar keine Rücksicht genommen. Die sämtlichen "Abkürzungen der gebräuchlichsten Autorennamen" beziehen sich auf nichtkatholische, meist rationalistische Werke. Da der Verfasser selbst bemerkt, dass "eine gute Zahl von Notizen und Erklärungsversuchen, die in unseren Kommentaren gang und gebe sind, aus jener Literaturepoche" der zweiten Blüteperiode der katholischen Exegese stammt (im 16. und 17. Jahrhundert) (S. XLIII), hätte er wohl diese früheren katholischen Erklärer etwas berücksichtigen können.
5. Auch in den für die katholischen Volkskreise bestimmten Heften über Salomon und über Elias wird ebensowenig auf die katholische Literatur Rücksicht genommen und ebensosehr mit den kritischen inneren Gründen und der kritischen Quellenscheidung operiert. Auch hier tritt, wie im Kommentar, das Bestreben des Verfassers hervor, dem Standpunkt der ungläubigen Gegner möglichst entgegenzukommen. Er geht in seinen Konzessionen so weit, dass er mit dem gläubigen Standpunkt, objektiv gesprochen, in Widerspruch gerät. Die Beweise dafür werden sich aus dem folgenden ergeben.
3
II. Entstehung der biblischen Bücher. 1. Im allgemeinen urteilt der Verfasser über die Entstehung der biblischen Bücher hauptsächlich nach rein inneren Gründen, ohne Rücksicht auf die kirchliche Ueberlieferung und die Entscheidungen der päpstlichen Bibelkommission. Er scheint sogar die Berechtigung solcher Entscheidungen zu bestreiten, wenn er in dem für die weiteren Volkskreise bestimmten Heft über Elias schreibt: "Wer altorientalische Dokumente, und zu diesen gehört nach ihrer menschlichen Seite auch die Bibel, richtig beurteilen lernen will, muss mit den diesbezüglichen Anschauungen des alten Orients vertraut sein. Die strenge Beobachtung dieses Grundsatzes würde viele Missverständnisse, besonders seitens jener beseitigen, welche, ohne wirklich Biblizisten oder Orientalisten vom Fach zu sein, die Verteidigung der Bibel durch aprioristische Festlegung von Begriffen und Grundsätzen, die nur durch aposterioristisches eindringliches Studium der Schrift und der altorientalischen Dokumente gewonnen werden können, als ihre Aufgabe betrachten" (Elias S. 38).
Wo es sich bei der Verteidigung der Bibel zugleich um ihre göttliche Seite handelt, da betrachtet es die päpstliche Bibelkommission freilich als ihre rechtmässige Aufgabe, aus den Quellen der kirchlichen Ueberlieferung und des Neuen Testamentes auch über die Entstehung der Bücher des Alten Testamentes Grundsätze aufzustellen, die nicht aus dem einseitigen Fachstudium der alten Texte allein gewonnen werden können. Dass diese Grundsätze durch die ausdrückliche Erklärung der obersten kirchlichen Autorität für alle katholischen
4
Christen, und auch für die gelehrten Professoren solange sie noch katholisch bleiben wollen, im Gewissen unter schwerer Sünde verpflichten, scheint freilich für viele praktisch keine Geltung zu haben.
2. Hinsichtlich des Deuteronomium spricht der Verfasser seine Meinung zwar nicht sehr klar aus. Aus seinen Ausführungen, besonders zu 2 Kön 22, muss man jedoch schliessen, dass nicht bloss die Vorschriften über die Zentralisierung des legitimen Kultus (vgl. Elias S. 36-38), sondern auch ein recht bedeutender weiterer Teil unseres heutigen Deuteronomium erst unter König Ezechias (781-693) oder doch nicht viel früher entstanden und keineswegs von Moses herstammen. Auch beim Buche Levitikus mit seinen Opfervorschriften scheint es sich nach dem Verfasser nur um die Normierung der in der vorköniglichen und ersten königlichen Zeit bereits gebräuchlichen Opfer zu handeln (Elias S. 36).
Diese Anschauungen sind mit dem Dekrete der Bibelkommission vom 27. Juni 1906 über die mosaische Authentizität des Pentateuchs unvereinbar.
3. Die Entstehung der Königsbücher denkt sich der Verfasser ungefähr so: Ein Hauptredaktor hat aus 20 und mehr Quellenschriften "ganze Stücke mehr oder minder wörtlich" herübergenommen, sie untereinander zu einer Erzählung verknüpft, nach Bedürfnis daran geändert, seine eigenen Bemerkungen hinzugefügt, manches rhetorisch ausgeschmückt etc. Er verfolgte dabei die ganz bestimmte Tendenz, den "deuteronomischen Grundgedanken" zu veranschaulichen: "die Treue ge-
5
gen Jahve wird belohnt, der Abfall von Jahve, insbesondere von den Satzungen des Deuteronomiums, wird bestraft und führt zum Untergange" (1 Kön S. XXXIII). Später wurden durch einen nachexilischen jüngeren Redaktor und einen noch späteren Glossator noch mancherlei Zusätze zum Texte gedacht. Stellenweise war auch ein "Superredaktor" tätig.
Eine solche Meinung steht zwar nicht direkt im Widerspruch mit einem Dekrete der Bibelkommission. Sie führt aber, namentlich in der vom Verfasser ausgeführten Weise, zu Folgerungen, die mit der kirchlichen Ueberlieferung und mit der Kommissionsentscheidung vom 23. Juni 1905 über die historische Wahrheit der biblischen Geschichtsbücher nicht im Einklang stehen. Auf einzelne Beispiele und Belege dafür werde ich gleich eingehen.
Wie sich der Verfasser bei einer solchen Entstehungsweise den inspirierten Charakter des biblischen Textes zurechtlegt, ist aus seinen Darlegungen nicht ersichtlich.
III. Wahrheit und Irrtumslosigkeit des inspirierten Textes.
1. Von einer geschichtlichen Warheit und von Irrtumslosigkeit des inspirierten Textes im Sinne der kirchlichen Ueberlieferung und der Enziklika Leo XIII "Providentissimus Deus" kann nach den Ausführungen des Verfassers überhaupt nicht gesprochen werden. Fast jede Seite des Kommentars liefert dafür die Beweise und die gleiche Auffassung tritt auch in den beiden Heften über Salomon und über Elias an vielen Stellen hervor. Eine kleine Auswahl von Beispielen muss hier genügen.
6
2. Nach der Meinung des Verfassers sind die Königsbücher überhaupt kein gesshtliches, <geschichtliches,>2 sondern "im wesentlichen ein religiös-didaktisches Werk" (1 Kön. S. XXXV). Um seinen religiösen Grundgedanken von der Belohnung der Treue und der Bestrafung der Untreue gegen Jahve im Sinne des Deuteronomiums zu veranschaulichen, wählt der "Redaktor" seinen Stoff aus den Quellen aus, wobei er in der Disposition des Materials z. B. in den Elisäusgeschichten wissentlich eine unchronologische Ordnung wählt, "der Abwechslung halber" etwas einschiebt etc. (2 Kön. S. 88). Schon in den Quellen standen z. B. über Elias und Elisäus "allerhand Anekdoten", die "zuerst längere Zeit im Volksmunde kursierten, bevor sie schriftlich fixiert wurden" (2 Kön. S. 78, 86). Schon bei dieser "schriftlichen Fixierung einer populären, im Volksmunde verbreiteten Erzählung "mussten manche grössere und kleinere Ungenauigkeiten mit unterlaufen (vgl. Elias S. 9 f.), weil der Autor lange nach den Ereignissen schrieb und "aus seinen Quellen kein klares Tatsachenbild mehr gewinnen konnte" (ebd. S. 10). Daher fanden sich schon in den Quellen populäre Bemerkungen, die "nur auf einen Schriftsteller zurückgehen können, dem der richtige Sachverhalt nicht mehr klar geworden war" (Salomon S. 64).
Der Redaktor hat dann seiner Tendenz zuliebe "die historischen Tatsachen rhetorisch ausgeschmückt" und in einzelnen Abschnitten "ausnahmsweise stark hineingearbeitet" (Salomo S. 73; Elias S. 10), wobei es ihm bloss auf die Erreichung seines religiösen Zweckes, nicht aber auf geschichtliche Wahrheit ankam. Deshalb "ist seine Darstellung allerdings zuweilen rhetorisch übertreibend...; aber ein
7
durchaus wahrer historischer Kern liegt auch solchen übertreibenden Aeusserungen zugrunde" (Salomo S. 5). Dem Verfasser genügt es daher, dass "die starke Betonung, welche Salomos Weisheit in den Königsbüchern erfährt, einer realen Grundlage nicht entbehren kann" (Salomo S. 70) und dass eine Behauptung "viel Wahrheit" oder "ein gutes Stück Wahrheit" enthält (ebd. S. 39, 46).
3. Die im biblischen Text vorliegenden Erzählungen werden daher zuweilen vom Verfasser als ungeschichtlich und unglaubwürdig bezeichnet. So heisst es z. B. über die Erzählung 2 Kön 1, 2 ff.: "Schwierig ist das historische Verständnis der Erzählung 1,2 ff. Ein gewisser Mangel an Psychologie und eine allgemeine Unklarheit der Situation lassen sich nicht verkennen." (Elias S. 10) und nochmals: "Das Verständnis dieser Begebenheit ist ungemein schwierig...Das zweimalige Herabkommen des Feuers erscheint wie manches andere in der Erzählung nicht recht motiviert. Elias scheint sich (v. 15) vor dem König und seinen Schergen zu fürchten, obwohl er das Feuer gegen letztere nach Belieben zur Disposition hat. Warum opfert Elias seiner persönlichen Sicherheit zwei Kolonnen Menschen? Warum bleibt er, nachdem die erste Kolonne durch das Feuer glücklich pariert ist, auf dem Berge sitzen, statt sich durch die Flucht zu retten? Warum hat der König, nachdem die erste und zweite Schar verunglückt ist, seine Absicht, des Propheten habhaft zu werden, nicht aufgegeben? Es lässt sich nicht leugnen, dass die Erzählung viel weniger auf einer konkreten Auffassung der realen Um-
8
stände fusst, als die vorhergehende von Nabots Weinberg. Die Geschichte gehört zu der Gruppe jener, welche Respekt vor dem Prophetenamt predigen und ist ähnlich zu beurteilen, wie die Erzählung von den bösen Buben, die Elisäus verhöhnen, oder wie die andere von der Tötung des Prophetenjüngers, der seinen Kollegen nicht [vew<verw>unden3] will" (ebd. S. 79 f.) Auch für diese letzteren Erzählungen gilt daher das Urteil, dass der Autor "aus seinen Quellen kein klares Tatsachenbild mehr gewinnen konnte" (ebd. S. 10).
4. Der Verfasser beurteilt aus dem gleichen Grunde die in den biblischen Erzählungen vorkommenden Personen in einer von dem Urteil des hl. Textes ganz abweichenden Weise.
"Omri gehört trotz seiner schlechten Qualifikation im ersten Königsbuch ohne allen Zweifel zu den hervorragendsten Herrschern des Nordreiches" (Elias S. 21). Jezabel, "Etbaals grosse Tochter" wird wegen ihres männlichen, unerschrockenen Charakters als "eine der merkwürdigsten Frauengestalten des Alten Testamentes" gerühmt, "die sich mit den wenigen weiblichen Herrschergestalten der Weltgeschichte wohl vergleichen lässt" (ebd. S. 24,31). Ebenso bewundert wird "die edle, grosse Gestalt Ahabs", "allerdings losgelöst von jedem religiösen Hintergrund, so edel, dass sogar die Propheten seinen politisch gefährlichen Edelmut tadeln" (1 Kön. S. 508; 2 Kön. S. 84).
Auf die Propheten fällt in den Ausführungen des Verfassers oft genug ein minder gutes Licht und manches "Jahve-
9
wort", das nach dem biblischen Text von einem Propheten verkündet wird, erscheint nach seinen Darlegungen als ein Vaticinium post eventum. "Die Vorhersagung der kriegerischen Erfolge des Joas durch den sterbenden Elisäus (2 Kön. 13,14 ff.) ist als Aufmunterung zum Kampfe zu fassen" (Elias S. 11 Vgl. S. 7,20 u. ö.).
IV. Irrtumslosigkeit Christi.
Der Verfasser meint, dass die von Elias 1 Kön. 17,1 angekündigte Dürre, entgegen den ausdrücklichen Angaben des hl. Textes, nicht 3 1/2, sondern nur ein Jahr gedauert habe. Auf seine Begründung mit ihren mancherlei unhaltbaren Voraussetzungen kann ich hier nicht näher eingehen. Er sagt dabei aber auch folgendes: "Wenn Luk. 4,25 und Jak. 5,17 von einer 3 1/2 jährigen Plage gesprochen wird, so ist das die spätere, apokalyptisch ungenaue Redeweise (vgl. dazu die drei Tage und Nächte Matth. 12,40), welche jene Naturerscheinung über eine halbe apokalyptische Unglücksperiode (7 Jahre bei Dan. 12,7) ausgedehnt wissen wollte" (Elias S. 13).
Luk. 4,25 redet Christus der Herr in feierlicher Lehre in der Synagoge von Nazareth. Wer seine Worte als "apokalyptisch ungenaue Redeweise" bezeichnet, leugnet die Irrtumslosigkeit des Sohnes Gottes.
Zur Kennzeichnung des Standpunktes des Verfassers können diese Bemerkungen genügen, obwohl sie den Stoff in keiner Weise erschöpfen.
1Seitenzählung von den Editoren eingefügt.
2Hds. von Pacelli gestrichen und eingefügt.
3Hds. von Pacelli gestrichen und eingefügt.
Empfohlene Zitierweise
[Fonck SJ, Leopold], Bemerkungen über die Schriften von Prof.Dr.A.Sanda:1.Die Bücher der Könige überstezt u.erklärt. 2Bände. Münster/W.1911.2.Salomo und seine Zeit. Ebd. 1913.3.Elias und die religiösen Verhältnisse seiner Zeit. Ebd.1914., [Ohne Ort] vom vor dem 25. März 1919, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 10830, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/10830. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 04.06.2012, letzte Änderung am 10.09.2018.