Dokument-Nr. 7704

[Denkschrift über Oberleutnant Hermann], vor dem 20. Dezember 1919

Der Oberleutnant Hermann Birkner 19. Pionier-Battl. zuletzt bei der Feldfliegerabteilung 8 in Metz war am 20. August 1914 als Flugzeugführer abgeschossen worden und in französische Gefangenschaft geraten. – Nachdem er bereits 500 Tage Arrest wegen verschiedener Disziplinarvergehen und Fluchtversuche verbüßt hatte, wurde er erstmalig am 17. Juni 1917 zu 5 Jahren Gefängnis und Degradierung und am 3. Dezember 1918 zu 6 Monaten Gefängnis und Degradierung verurteilt, beide Male wegen Gehorsamsverweigerung. Eine dritte1 Verurteilung erfolgte am 13. Oktober 192 von dem Kriegsgericht in Marseille3 wegen Beleidigung. – Schon im Jahre 1917 wurde bei ihm festgestellt, dass er an hochgradiger Nervosität litt, sie ist hervorgerufen worden durch die Behandlung in den verschiedenen Offiziersgefangenenlagern, durch Verbüßung der Arreststrafen, besonders aber auch während seines Aufenthaltes im Gefängnis, wo er zu wenig zu essen bekommen hat und auf dem kalten Fußboden hat schlafen müssen ohne Unterlagen. Auch die Schweizer Delegierten Dr. Girard und Florian de Lorbe sagten bei ihrem Besuche, er mache den Eindruck eines exaltierten Menschen, der zu Revolten neige. Beide Delegierten heben in ihrem Bericht an den Medizinalchef der Eidgenössischen Armee Oberst Hauser hervor, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass Birkner bei den verschiedenen Stellen, von denen er bestraft ist, das Opfer eines Missverständnisses oder eines Irrtums geworden ist; es aber auch den Anschein habe, dass er von Verfolgungswahn ergriffen und von einem krankhaften Geiste beseelt ist. Diese Erkrankung scheine auf die lange Dauer der Gefangenschaft zurückzuführen zu sein. Es wird hervorgehoben, dass Birkner, der von den 10 1/2 Jahren Gefängnis bis jetzt 2 l/2 Jahre seiner Strafe verbüßt hat, sich keines ehrenrührigen Vergehens oder Verbrechens
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schuldig gemacht hat, sondern einzig und allein bestraft ist wegen Disziplinarvergehen.
Hinsichtlich dieser Tatsachen und mit Berücksichtigung auf Artikel 218 des Friedensvertrages dürfte eine Begnadigung des Oberleutnant Birkner unbedingt angebracht sein. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass der Geisteszustand Birkners kein normaler mehr ist und dass eine längere Dauer der Gefangenschaft ernste Gefahren für ihn in sich birgt. Dass Birkner an sich ein harmloser Mensch ist, ergibt der Bericht des Schweizer Gesandten zu Paris, in dem es heißt, dass sich Birkner nach seiner letzten Verurteilung gut benommen hat. Er hatte selbst gebeten, um nicht länger in Einzelhaft zu sein, mit den übrigen in Haft befindlichen befangenen zusammengebracht zu werden. Dieses ist ihm bewilligt worden unter der Bedingung, dass er sich dem Regiment des wachhabenden Soldaten unterwerfe, er hat es angenommen und ist ruhiger geworden.
376r, hds. oben rechts, von unbekannter Hand: "Chiedono Notizie e grazia pel Tenente Hermann Birkner, aviatore, più volte condannato per ribellione (causata da nevrastenia): molto ammalato di nervi".
1"Eine Dritte" hds. von unbekannter Hand in blauer Farbe unterstrichen, vermutlich vom Empfänger.
2"13. Oktober 19" hds. von unbekannter Hand in blauer Farbe unterstrichen, vermutlich vom Empfänger.
3"in Marseille" hds. von unbekannter Hand in blauer Farbe unterstrichen, vermutlich vom Empfänger.
Empfohlene Zitierweise
Anlage vom vor dem 20. Dezember 1919, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 7704, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/7704. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 04.06.2012, letzte Änderung am 19.12.2012.