Dokument-Nr. 8629

Isenburg-Birstein, Franz Josef Fürst von: [Kein Betreff], 16. Juni 1917

Geheim
Euerer Königlichen Hoheit
erlaube ich mir über das Verhalten der polnisch katholischen Geistlichkeit Wilnas gegenüber den deutschen Katholiken gehorsamst vorzutragen, wie folgt:
Die St. Johanneskirche in Wilna (St. Joannis Bapt. – Archipresbyterialis, 1 cl. murata, a rege Jagiellone a 1387 fundata) wurde alsbald nach der Besetzung Wilnas durch die deutschen Truppen vom Apostolischen Administrator der Diözese Wilna und Päp<st>lichen Protonotar, Prälat Casimirus – Nikolaus Michalkiewicz, der deutschen Heeresverwaltung für die Einrichtung eines regelmäßigen katholischen Militärgottesdienstes zur Verfügung gestellt, sodann durch das Kaiserliche Gouvernement als katholische Garnisonkirche bestimmt und vom Armee-Oberkommando bestätigt.
Von Anfang an verhielt sich der Erzpriester der St. Johanneskirche, Kanonikus Julius Aloysius Ellert, den Wünschen der deutschen Militärgeistlichkeit gegenüber ablehnend und gab ihr in der Folgezeit durch sein wenig entgegenkommendes, den Verhältnissen der Zeit in keiner Weise Rechnung tragendes Verhalten zu Klagen Anlass, deren tatsächliche Grundlagen hier im Einzelnen behandelt werden müssen, weil sich aus ihrer Aneinanderreihung eine so offensichtliche Gleichartigkeit der Tendenz ergibt, dass über ihre tieferen
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Ursachen ein Zweifel nicht obwalten kann.
Die Schwierigkeiten, die der deutschen Militärgeistlichkeit in der Johanneskirche bereitet wurden, reichen bis in die Zeit kurz nach der Besetzung Wilnas durch die deutschen Truppen zurück.
Ende Oktober 1915 bat der Feldlazarettpfarrer Assmann den Kanonikus Ellert, er solle von der Kanzel verkünden, dass die Bänke in der Johanneskirche für den Militärgottesdienst freibleiben sollten, Pfarrer Ellert fuhr ihn, wie dem dienstlichen Berichte des Pfarrers Assmann zu entnehmen ist, in anmaßender Weise an und ließ ihn stehen, kam aber immerhin seinem Verlangen in der Folgezeit nach.
Als ihn dann aber Feldlazarettpfarrer Assmann kurz vor dem. 1. November 1915 bat, er möchte zu Gunsten einer würdigen Feier des deutschen Militärgottesdienstes die herkömmlich am 1. eines jeden Monats für die Parochianen der St. Johanneskirche stattfindende Votivmesse verlegen, ließ er ihm durch seinen Kaplan sagen, dass das nicht möglich sei: so musste am ersten Sonntag im November 1915 in der den katholischen Angehörigen des deutschen Meeres für die Abhaltung ihres Gottesdienstes von der Diözesanverwaltung zur Verfügung gestellten Kirche während des Militärgottesdienstes eine stille Messe abgehalten werden, während zu gleicher Zeit für die Votivmesse der Zivilbevölkerung in einer Seitenkapelle gespielt und gesungen wurde.
Dass diese von Anfang an hervorgetretene ablehnende, der Lehre christ-katholischer Bruderliebe so wenig entsprechende Haltung des polnischen Kirchenvorstandes gegenüber seinen deutschen Gästen keine zufällige Erscheinung, sondern durchaus grundsätzlicher
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Natur war, sollte in der Folgezeit immer offener zu Tage treten. Als nämlich Etappenpfarrer Albert am Ostersonntag (23. April 1916) seinen ersten Gottesdienst in der St. Johanneskirche abhielt, glaubte Pfarrer Ellert aus seiner Stellung als Erzpriester der Johanneskirche für sich das Recht in Anspruch nehmen zu sollen, dem Pfarrer Albert über die Art und Weise, wie an jenem Tage der deutsche Militärgottesdienst abgehalten werden sollte, Vorschriften zu machen, indem er ihm untersagen wollte, bei dem Gottesdienst das Sanktissimum auszusetzen, und ihm sogar mit einer Anklage bei dem Administrator der Diözese drohte, falls er seinem Verbot zuwiderhandelte.
Am 14. Mai 1916 wurde der Militärgottesdienst von dem Feldlazarettpfarrer Dr. Stankowski abgehalten; vor dem Hauptportal stand ein Posten, der verhindern sollte, dass die Zivilpersonen während des Gottesdienstes die Kirche betraten und hierdurch eine Störung der offiziellen Kirchenfeier verursachten. Gleichwohl führte der als Vikar an der Johanneskirche tätige Priester Ladislaus Araszkiewicz, obwohl er über den Zweck des Postens nicht im Zweifel sein konnte, die vor dem Portal versammelten Kinder, etwa 200 an der Zahl, auf dem Umweg durch die Sakristei, durch die sonst die Gläubigen die Kirche nicht zu betreten pflegen, ostentativ in die Kirche hinein und vom Chor durch das ganze Längsschiff nach der hintersten Seitenkapeile. Gegen die hierdurch verursachte ganz empfindliche Störung des deutschen Militärgottesdienstes, die nach dem sonstigen Verhalten des Vorstands der St. Johanneskirche auch von unbeteiligter Seite nur als eine beabsichtigte empfunden werden konnte, legte Etappenpfarrer Albert, der für die Ordnung
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in der Kirche sorgte, dem Vikar Araszkiewicz gegenüber sofort in der Sakristei in begreiflicher Empörung nachdrücklich Verwahrung ein und betonte, dass auf einer derartigen Störung gottesdienstlicher Handlungen nach deutschem besetze schwere Strafen stehen.
Um Unzuträglichkeiten für die Folgezeit vorzubeugen, wurde nunmehr auf die Bitte des Etappenpfarrers Albert hin dem Pfarrer Ellert in seiner Eigenschaft als Vorstand der der deutschen Heeresverwaltung für den Militärgottesdienst von der Diözesanverwaltung zur Verfügung gestellten St. Johanneskirche durch Vermittlung des Herrn Stadthauptmanns am 20. Mai 1916 ein Befehl der Etappen-Inspektion zugestellt, durch den die Mitbenutzung der St. Johanneskirche zur Abhaltung der Gottesdienste der katholischen Militärgemeinde Wilnas erschöpfend geregelt wurde. Diesen Befehl; der als Anlage11 in Abschrift angeschlossen ist, gab Pfarrer Ellert am nächsten Tage der deutschen Polizeiverwaltung in Wilna unter Berufung auf die Ordre des Wilnaer Bischofs vom 14. Juli 1901 zurück, ein Zirkular, durch das der damalige Bischof Zdierowicz im Hinblick auf die Haltung der russischen Regierung gegenüber der römisch-katholischen Kirche im Westgebiet der Geistlichkeit damals befohlen hatte, ohne sein Wissen und seine Genehmigung Vorschriften von Behörden nicht entgegenzunehmen.
Wenige Tage darauf – am 1. Juni 1916, Himmelfahrtstag – ließ Pfarrer Ellert, nach Meldung des Pfarrers Albert im Gegensatz zu den vorhergehenden Sonntagen, an denen eine solche Messe nicht abgehalten worden war, kurz vor Beginn des Militärgottesdienstes eine Messe in der ersten Seitenkapelle halten, nach der
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Empfindung des Etappenpfarrers Albert in der ausgesprochenen Absicht, die Anordnung der Etappen-Inspektion, die an den Sonn- und Feiertagen in der Zeit von 7.45 Uhr bis 9.30 Uhr vormittags, d. h. während des Militärgottesdienstes, den Zivilgeistlichen das Abhalten von Gottesdiensten in der Johanneskirche untersagte, als nicht zu Recht bestehend zu kennzeichnen. Als Pfarrer Albert mit ihm hierüber aufgrund des Befehls der Etappen-Inspektion zu verhandeln suchte wie Pfarrer Albert versichert, weder in Begleitung von Soldaten, noch mit gehobener Stimme – ließ ihn Pfarrer Ellert, ohne ihn überhaupt einer Antwort zu würdigen, stehen. Pfarrer Albert ließ darauf in der Befürchtung, dass durch das Umhergehen der an der Messe teilnehmenden Zivilpersonen in der Kirche während der Militärandacht ähnliche Störungen, wie am 14. Mai 1916 zu befürchten wären, die Zivilpersonen aus der Kapelle entfernen, um die Ordnung für die Dauer des Militärgottesdienstes aufrecht erhalten zu können.
Am Tag darauf, dem 2. Juni 1916, wurde Pfarrer Ellert der Befehl der Etappen-Inspektion über die Mitbenutzung der St. Johanneskirche vom Herrn Stadthauptmann im Dienstgebäude des Stadthauptmanns persönlich ausgehändigt. Entgegen Ziffer 3 dieses ihm nunmehr nochmals bekannt gegebenen Befehls waren darauf am Pfingstsonntag (11. Juni 1916) die Schubladen mit den guten Paramenten, die Pfarrer Ellert kurz vorher benutzt hatte, verschlossen. Der von Etappenpfarrer Albert nach dem Schlüssel geschickte Küster kam unverrichteter Dinge zurück, sodass sich Pfarrer Albert mit den in den offenen Schubladen vorgefundenen schlechteren Gewändern begnügen musste.
Es entspricht demnach nicht den Tatsachen, wenn
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Vikar Araszkiewicz und Pfarrer Ellert in ihren Berichten an den Apostolischen Administrator der Diözese Wilna vom 25. Mai und 2. Juni 1916, die ich als Anlagen 2 und 32 in Abschrift anschließe, erklären, dass sich das Vorkommnis mit den Schulkindern am 14. Mai 1916 erst nach Beendigung des Militärgottesdienstes abgespielt habe.
Es entspricht, wie weiter aus den dienstlichen Meldungen der beteiligten, deutschen Militärgeistlichen hervorgeht, nicht den Tatsachen, dass Pfarrer Ellert "alles", was zur Pflicht eines Kirchenvorstandes seinen Gästen gegenüber gehört, getan hat, um den deutschen Militärgeistlichen die Ausübung ihres Amtes zu erleichtern.
Es entspricht vor allem, wie nachdrücklich betont werden muss, nicht den Tatsachen, dass auf Befehl des Pfarrers Albert das Schloss des Schrankes mit den Messgewändern, sowie die verschlossenen Privatbänke aufgebrochen worden sind.
Wie wenig vielmehr Pfarrer Ellert gewillt war, den deutschen Gästen den Gottesdienst in der kurzen Stunde, in der die Johanneskirche an den Sonn- und Feiertagen in Anspruch genommen wurde, in heimatlicher Weise zu ermöglichen und auf ihre Wünsche Rücksicht zu nehmen, erhellt sodann noch daraus, dass er gegen die im "Dziennik Wilenski" von deutscher Seite für den Militärgottesdienst am 18. und 22. Juni 1916 an die Zivilbevölkerung gerichtete Aufforderung, zur Teilnahme am Gottesdienst pünktlich zur festgesetzten Zeit in der Kirche zu erscheinen, da die Türen bei Anfang der gottesdienstlichen Handlung geschlossen würden, in einer noch im letzten Augenblick verhinderten
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öffentlichen Entgegnung Stellung nehmen wollte. Wenn sich die deutsche Heeresverwaltung gegenüber diesem Versuch eines nach Inhalt und Wortlaut die zulässigen Grenzen weit übersteigenden Angriffs gegen die militärische Kommandogewalt nur mit einer allerdings sehr ernsten Verwarnung des Pfarrers Ellert begnügte, so geschah das damals aus dem Wunsche heraus, dass der kirchliche Friede, wenn irgend möglich, auf versöhnlichem Wege wiederhergestellt werde.
Es ist nicht zu verkennen, dass diese Verwarnung zunächst ihre Wirkung nicht verfehlte und zur Folge hatte, dass dem deutschen Militärgottesdienst in der St. Johanneskirche von der einheimischen Geistlichkeit im nächsten Halbjahre Schwierigkeiten erkennbar nicht bereitet wurden. Dann aber sollte wieder nur umso klarer hervortreten, dass der Friede auf Seiten der Diözesangeistlichkeit nur ein scheinbarer war. Unterm 6. Februar 1917 richtete nämlich der Apostolische Administrator von Michalkiewicz plötzlich an das Armee-Oberkommando 10 ein Schreiben folgenden Inhalts:
"Angesichts dessen, dass zwei orthodoxe Kirchen, die Romanow- und die Marienkirche, für den katholischen Militärgottesdienst bestimmt wurden, und dass die Zahl der Militärpersonen, welche die für den Gottesdienst bisher eingeräumte St. Johanneskirche besuchen, zur Zeit sehr gering ist, ersuche ich das Armee-Oberkommando <so> ergebenst, genehmigen zu wollen, dass der Militärgottesdienst in der genannten Kirche im weiteraus aufgehoben werden könnte. Die mit dem Militärgottesdienst verbundene Verschließung der Kirche an Sonn- und Festtagen in der Morgenzeit, besonders während der bevorstehenden Fastenzeit, in der die
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Zivilgemeinde ihrer Beichtpflicht obliegen muss, gibt für die Zivilgeistlichkeit Anlass zu großen Schwierigkeiten in Ausübung ihres Amtes, zumal, dass die meisten Zivilpersonen nur an Sonn- und Festtagen in den Vormittagsstunden Gelegenheit zu beichten haben. Außerdem steht es den, Tagen 18., 19., 20. Februar die ewige Anbetung bevor, die die Besucher aus der ganzen Stadt jährlich heranzog.
Apostolischer Administrator
Päpstlicher Protonotar.
gez. v. Michalkiewicz.
Mit Schreiben vom 17. Februar 1917, das in Abschrift als Anlage43 beigefügt ist, lehnte es das Armee-Oberkommando ab, dem Antrag des Apostolischen Administrators zu entsprechen. Ich entnehme ihm die Stellungnahme des Armee-Oberkommandos 10 zu vier Punkten des Schreibens des Apostolischen Administrators, deren besondere Hervorhebung an dieser Stelle von besonderer Wichtigkeit ist, weil sie die sachliche Widerlegung der Gründe, des Administrators enthält und zeigt, wie wenig die angegebenen Gründe den auffallenden Schritt des Administrators auch nur einig entlassen zu rechtfertigen vermögen.
Ergibt sich doch einmal, dass die Marienkirche zwar vorübergehend für die Feier des Gottesdienstes der seiner Zeit hier untergebracht gewesenen k. k. Marsch-Formationen benutzt worden war, für den dauernden Gebrauch als Garnisonkirche aber schon deshalb nicht in Frage kommt, weil sie nicht genügend eingerichtet war, vor allem weder Bänke noch Orgel hat. Die Romanow-Kirche diente überhaupt nur als
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Notbehelf für die in der Nähe liegenden Truppenteile und reicht für die regelmäßigen Bedürfnisse der Militärgemeinde Wilnas bei weitem nicht aus, weil sie zu klein, überdies auch für zahlreiche Formationen zu entlegen ist.
Zum andern aber ist die Johanneskirche während des Militärgottesdienstes den einheimischen Parochianen gar nicht verschlossen; es wird nur darauf gehalten, dass sie pünktlich vor Beginn des Militärgottesdienstes in der Kirche erscheinen und während des Gottesdienstes nicht durch Umhergehen die kirchliche Feier stören.
Nicht zutreffend ist, dass die einheimischen Parochianen der Johanneskirche in den Vormittagsstunden der Sonn- und Feiertage keine Gelegenheit zum Beichten haben: nach Ziffer 2 litt. a. des Befehls der Etappen-Inspektion über die Benutzung der St. Johanneskirche zur Abhaltung der Gottesdienste der katholischen Militärgemeinde Wilnas ist der Diözesangeistlichkeit das Beichthören während der einstündigen Dauer des katholischen Militärgottesdienstes ausdrücklich gestattet.
Demnach war die Zivilgemeinde der Johanneskirche auch in der feierlichen Abhaltung der ewigen Anbetung am 18. 19. 20. Februar 1917 kaum nennenswert behindert: an 18. Februar sollte die Johanneskirche nur in der Zeit von 9 bis 10 Uhr vormittags zur Abhaltung des regelmäßigen Sonntagsgottesdienstes der Militärgemeinde in Anspruch genommen werden; der 19. und 20. Februar 1917 aber kam für die Inanspruchnahme durch die Militärgemeinde überhaupt nicht in Frage.
Diesem von der höchsten kirchlichen Stelle der Wilnaer Diözese ausgehenden Versuch, die deutsche katholische Militärgemeinde zur Aufgabe der altehrwürdigen
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St. Johanneskirche überhaupt zu veranlassen, folgt unmittelbar das Unternehmen des Küsters der Johanneskirche, den Hauptaltar für den polnischen Gottesdienst zu reservieren und den deutschen Militärgottesdienst an einen Nebenaltar zu verweisen. Als nämlich am Sonntag, den 18. Februar 1917, der katholische Divisionspfarrer Dümbelfeld in der Johanneskirche um 9 Uhr vormittags das Militärhochamt beginnen wollte, ließ ihm der einheimische Küster Josefowicz die Bitte übermitteln, den Gottesdienst am Nebenaltar zu halten, da nach alter Diözesansitte an den drei Tagen vor Aschermittwoch am Hauptaltar Gottesdienst nicht gehalten würde. Bereitwillig kam Divisionspfarrer Dümbelfeld dieser Bitte nach, um am folgenden Tag durch seinen Burschen, der ihm Tags zuvor die Bitte des Küsters Josefowicz überbracht hatte, erfahren zu müssen, dass für die einheimische Bevölkerung das Hochamt tatsächlich an sämtlichen drei Tagen am Hochaltar feierlich begangen wird. Auf Zuredestellung erklärte der Küster dem mit den Kirchengebräuchen und der polnischen Sprache wohlvertrauten Burschen des Pfarrers Dümbelfeld, er habe nicht gesagt, es würde am Hochaltar überhaupt keine Messe gelesen, sondern keine Messe außer dem Zivilhochamt, er müsse seinen Auftrag so ausrichten, wie der Pfarrer ihm gesagt hätte: so die dienstliche Meldung des Divisionspfarrers Dümbelfeld und die protokollarische Aussage seines Burschen.
Die von Divisionspfarrer Dümbelfeld über den Vorfall pflichtgemäß erstattete Meldung an die Etappen-Inspektion führte sodann auf Anordnung des Chefs der früheren Verwaltung Wilna/Suwalki zur Einvernahme des Pfarrers
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Ellert durch den Herrn Stadthauptmann (Polizeiverwaltung), bei der er die Verantwortung für das Verhalten des Küsters ablehnte mit der Erklärung, dass er vor dem Militärgottesdienst am 18. Februar d. Js. mit dem Küster überhaupt nicht über die in Frage stehende Diözesansitte gesprochen, dass der Küster vielmehr aus eigener Kenntnis und eigener Initiative den Divisionspfarrer gebeten habe, statt des Hochaltars einen Nebenaltar zu benutzen.
In dieser Richtung bewegt sich sodann auch sein als Anlage54 in Abschrift angeschlossenem Bericht an den Apostolischen Administrator vom 2. März 1917. Dass Pfarrer Ellert bei dieser Gelegenheit gegenüber dem Apostolischen Administrator dem Divisionspfarrer Dümbelfeld zum Vorwurf macht, dass er sich wegen des Vorfalls vom 18. Februar unter Ausschaltung des Bischöflichen Ordinariats an das Polizeiamt gewandt habe, erklärt sich wohl, wie hervorgehoben werden soll, durch seine nur teilweise Kenntnis des Sachverhalts und die völlige Unkenntnis der für Pfarrer Dümbelfeld allein maßgebenden militärischen Vorschriften.
Das Schreiben des Armee-Oberkommandos 10 vom 17. Februar 1917 IIb Nr. 1338 führte sodann zu dem in Abschrift als Anlage65 angeschlossenen Schreiben des Pfarrers Ellert an den Apostolischen Administrator vom 6. März 1917, zu dessen Inhalt hier nicht mehr Stellung genommen zu werden braucht, weil die in ihm geschilderten tatsächlichen Vorgänge oben bereits auf Grund der dienstlichen Äußerungen der beteiligten deutschen Militärgeistlichkeit behandelt sind.
Mit Schreiben vom 15. März 1917 II Nr. 131 – in Abschrift als Anlage76 – wandte sich der Apostolische
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Administrator nochmals an den Herrn Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Eichhorn, um im Hinblick auf die Ausführungen des Armee-Oberkommandos 10 vom 17. Februar 1917 IIb Nr. 1338 sein Vorgehen einer wiederholten ausführlicheren Begründung zu unterziehen: neue Gesichtspunkte, die seinem Schritt den so offensichtlichen tendenziösen Charakter in einer auch nur irgendwie überzeugenden Weise nehmen könnten, sind darin nicht vorgebracht.
Entsprechend der Ankündigung in seinem Schreiben wandte sich der Apostolische Administrator sodann mit Schreiben vom 23. März 1917 – in Abschrift als Anlage87 – an den Hochwürdigsten Herrn
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Feldbischof des deutschen Heeres, um bei ihm über das Verhalten des Etappenpfarrers Albert und des Divisionspfarrers Dümbelfeld Beschwerde zu führen.
Diese Beschwerde fand durch das Schreiben der Heeresgruppe Eichhorn, A. O. K. 10, Abt. V. Nr. 210 / 17 pers. vom 30. Mai 1917, das in Abschrift als Anlage98 beigefügt ist, und auf das noch des Näheren zurückzukommen sein wird, ihre Erledigung.Die vorstehend wiedergegebene Gesamtdarstellung der Entwicklung des Verhältnisses der Wilnaer polnisch katholischen Geistlichkeit zur deutschen Militärgeistlichkeit zeigt unleugbar von Anfang an eine der Lehre christlicher Bruderliebe fremde Unduldsamkeit, die, um die wichtigsten Momente nochmals zusammenfassend hervorzuheben, mit der Ablehnung der Verlegung der Votivmesse zu Gunsten des Militärgottesdienstes am 1. Sonntag im Novenber 1915 begann, in den Versuch, den Etappenpfarrer Albert an Ostersonntag 1916 an der Aussetzung des Sanktissimums zu
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verhindern, in der Verweisung sodann des Divisionspfarrers Dümbelfeld vom Hochaltar an einen Nebenaltar an 18. Februar 1917 ihre charakteristische Fortsetzung, und in dem Antrag des Administrators, den Gottesdienst für die deutschen katholischen Soldaten aus der St. Johanneskirche in die beiden ehemaligen orthodoxen Kirchen zu verlegen, schließlich ihre Krönung fand.
Sie zeigt in ihrer kritischen Betrachtung, dass diesen mit beharrlicher Konsequenz über Jahresdauer unternommenen Versuchen eine klar zutage liegende Gleichartigkeit der Tendenz anhaftet, die dahin geht, dem Gottesdienst der deutschen katholischen Soldaten in der kurzen Stunde, in der eine der vielen römisch-katholischen Kirchen Wilnas für ihren Gottesdienst in Anspruch genommen wird, im Vergleich zu dem Gottesdienst der einheimischen polnischen Bevölkerung einer weniger feierliches Gepräge zu geben.
Sie führt endlich aus dieser Gleichartigkeit der Tendenz heraus und bei der Verschiedenheit der beteiligten deutschen Militärgeistlichen mit zwingender Notwendigkeit zu der Schlussfolgerung, dass für die Entstehung der Schwierigkeiten die persönlichen Momente eine ganz nebensächliche Rolle spielen, dass die eigentlich tieferen Gründe dieser Ungastlichkeit ausschließlich politischer Natur sind.
Und wieweit der Apostolische Administrator den Nationalismus über den wahren Katholizismus stellt, wie weit er in seiner der Lehre, deren Verkünder er ist, so fremden Unduldsamkeit auch gegenüber den Angehörigen eines seiner oberhirtlichen Sorge anvertrauten völkischen Stammes zu gehen vermag, ergibt die
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ergreifende Klage der Weißrussen im "Homan" vom 15. Juni 1917, die in Übersetzung also lautet:
"Mit traurigem Blicke folgten der Prozession die katholischen Weißrussen, für die dort kein Platz vorhanden war: der Priester Michalkiewicz berücksichtigte die Bitte der Weißrussen, ihnen eine katholische Kirche Wilnas zu überlassen, nicht, und gab ihnen keine Kirche, und auf diese Weise sind die katholischen Weißruthenen in allen Gemeinden Wilnas zerstreut und können sich nicht sammeln in ihrer Kirche, ohne welche ihre Teilnahme an der Prozession unausführbar ist."
Dass – um nunmehr auf das Maß der Verantwortlichkeit des Vorstands der St. Johanneskirche und damit auch des Apostolischen Administrators selbst zu kommen – diese unkirchliche Entwicklung des Verhältnisses zu der deutschen katholischen Militärgemeinde Wilnas, die sich unmittelbar unter den Augen des kirchlichen Hauptes der Diözese abspielte und ihm in ihren wahren Ursachen auch aus den Berichten seiner eigenen Geistlichkeit nicht verborgen bleiben konnte, sich nicht gegen seinen Willen vollziehen konnte, war schon aus der Würdigung der Gesamtsachlage heraus anzunehmen, dass diese Annahme aber nur zu berechtigt ist, hat der Apostolische Administrator in der Folgezeit nach außen hin selbst zum Ausdruck gebracht, wenn er in seinen beiden Schreiben an das Armee-Oberkommando 10 vom 17. Februar und 15. März 1917 nur von einer persönlichen Schuld der beiden deutschen Militärgeistlichen spricht, sich aber dadurch mit dem Verhalten der ihm selbst unterstellten polnischen Geistlichkeit geradezu für solidarisch
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erklärt und darüber hinaus – aus Gründen, die, soweit sie angegeben, sachlicher Prüfung nicht Stand zu halten vermögen – den Versuch unternimmt, die deutsche katholische Militärgemeinde aus der einzigen, von ihr in Wilna in Anspruch genommenen polnischen Kirche hinauszuweisen. Er gab damit nur der Entwicklung ihren logischen Abschluss, für die er demnach in ihrer Gesamtheit allein verantwortlich gemacht werden muss.
Nicht unterlassen möchte ich hier bezüglich der Beschwerde gegen Etappenpfarrer Albert und Divisionspfarrer Dümbelfeld auf das Schreiben des Herrn Oberbefehlshabers der Heeresgruppe Eichhorn vom 30. Mai 1917 zu verweisen, wo von der zuständigen vorgesetzten Stelle ausdrücklich betont wird, dass die zur Zeit vorliegenden Berichte Übergriffe der deutschen Feldgeistlichkeit gegenüber ihren polnischen Amtsbrüdern nicht erkennen lassen.
Die deutsche Heeresverwaltung achtet und ehrt die Rechte der Kirche, soweit es die harte Notwendigkeit des Krieges zulässt. Sie hat die Geistlichkeit aller Bekenntnisse – bei ihrer überragenden Bedeutung in besetzten Ostgebiet, vornehmlich die der römisch-katholischen Kirche – unterstützt und gefördert, soweit es in ihren Kräften stand und die Verhältnisse der Zeit es erlauben. Sie hat – mit dem Eintreten des Oberbefehlshabers Ost in die Hoheitsrechte des russischen Staats – die auf rechtlicher Verpflichtung des russischen Staats beruhenden laufenden Zuschüsse für die Geistlichkeit und die kirchlichen Institute in Gemäßheit des Artikels 48 des Haager Abkommens vom 18. Oktober 1907 über die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs aus Landesmitteln
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bereitgestellt und geleistet, soweit ihre Annahme erfolgt ist. Dass diese im Interesse der vom Kriege hart betroffenen Geistlichkeit so notwendige Maßnahme bisher allein im Gebiet der Diözese Wilna nicht zur Durchführung gelangen konnte, beruht einzig auf der ablehnenden Haltung des Apostolischen Administrators, der in Gegensatz zu den geistlichen Oberen der Diözesen Samogitien und Sejny glaubt, aus Gründen, die den kirchlichen Häuptern der beiden anderen Diözesen bezüglich ihrer Geistlichkeit nicht von Bedeutung schienen, seiner Geistlichkeit die Annahne dieser auf völkerrechtlicher Bindung beruhenden Leistungen aus deutscher Hand versagen zu müssen.
Die deutsche Verwaltung hat darüber hinaus dem demnächst zur Eröffnung gelangenden Priesterseminar der Diözese Samogitien zur Förderung der Heranbildung des so dringend erforderlichen geistlichen Nachwuchses aus Liberalität gern und freudig einen namhaften Betrag zur Verfügung gestellt.
Schließlich hat ein hoher deutscher Kirchenfürst getreu der Lehre von der Universalität der katholischen Kirche den Wilnaer Priesterseminar während des Kriegs wiederholt namhafte Beträge <zugewiesen, außerdem auch einen Betrag>9 zur Verfügung gestellt, um im Verein mit meiner Verwaltung den völligen Untergang eines durch die Kampfhandlung hart in Mitleidenschaft gezogenen Gotteshauses zu verhindern und seine Wiederherstellung in die Wege zu leiten, in einer Zeit, in der über das Schicksal des Landes noch nicht endgültig entschieden ist.
Demgegenüber glaubt der durch die Gnade Se. Heiligkeit an die Spitze der Diözese Wilna berufene Apostolische Administrator die deutschen katholischen
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Soldaten, die sich aus den Stürmen der kriegerischen Zeit in den Frieden eines altehrwürdigen seit Jahrhunderten den Angehörigen ihres Glaubens zur göttlichen Verehrung dienenden Gotteshauses flüchten wollen, hinausweisen zu sollen.
Der Heilige Vater hat den Hochwürdigsten Bischof Karevicius in Kowno vor kurzem Vollmacht erteilt, an die christliche Barmherzigkeit der katholischen Brüder der ganzen, von den Stürmen des Kriegs durchtobten Welt als Kinder der einen allumfassenden katholischen Kirche zu Gunsten der vom Kriege so hart betroffenen Einwohner Litauens zu appellieren: der Apostolische Administrator der Diözese Wilna verweist die deutschen Glaubensbrüder auf zwei orthodoxe Kirchen, die, wenn auch für ihre neue Zweckbestimmung geweiht, so doch dem gläubigen Katholiken jeder völkischen Zugehörigkeit in ihrer orientalischen Pracht immer kalt und fremd bleiben müssen:
"Es ist traurig für mich" – sagt der Herr Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Eichhorn und gibt damit dem Empfinden jedes gläubigen Katholiken Ausdruck – "annehmen zu müssen, dass die polnische katholische Geistlichkeit auf diese Gefühle deutscher Gläubigen keine Rücksicht glaubt nehmen zu dürfen."
Wenn auch – vielleicht als Folge dieses Schreibens des Herrn Oberbefehlshabers der Heeresgruppe Eichhorn – inzwischen von Seiten des Apostolischen Administrators eine Besserung des Verhältnisses erstrebt werden mag, so glaube ich doch aus der Geschichte dieser unerfreulichen Entwicklung heraus nicht das Maß von Sicherheit für die Dauerhaftigkeit einer Sinnesänderung erhoffen zu können, das in einer Zeit,
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wie in der jetzigen, von verantwortlicher Stelle aus vorsorgend gefordert werden muss.
Es drängt mich daher, an Euere Königliche Hoheit die gehorsamste Bitte zu richten, an zuständiger Stelle die Schritte zu tun, die Euerer Königlichen Hoheit geeignet und erforderlich erscheinen, um den kirchlichen Frieden, der mir durch das Verhalten des Apostolischen Administrators bei seiner autoritativen Stellung auch über die Grenzen der
Stadt Wilna hinaus erheblich gefährdet erscheint, für die Zukunft dauernd zu gewährleisten.
Oberstleutnant à la suite der Armee.
1Linker Rand, masch. eingefügt: "Anlage1".
2Linker Rand, masch. eingefügt: "Anlage2 und 3".
3Linker Rand, masch. eingefügt: "Anlage4".
4Linker Rand, masch. eingefügt: "Anlage5".
5Linker Rand, masch. eingefügt: "Anlage6".
6Linker Rand, masch. eingefügt: "Anlage7".
7Linker Rand, masch. eingefügt: "Anlage8".
8Linker Rand, masch. eingefügt: "Anlage9".
9Hds. eingefügt.
Empfohlene Zitierweise
Isenburg-Birstein, Franz Josef Fürst von, [Kein Betreff] vom 16. Juni 1917, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 8629, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/8629. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 24.03.2010, letzte Änderung am 10.03.2014.