Geistliche Vollmacht des Papstes

Die geistliche Vollmacht des Papstes ist die spirituelle Kehrseite der katholischen Primatsidee, wie sie seit dem frühen Mittelalter ausgestaltet wurde.
In der Alten Kirche der ersten christlichen Jahrhunderte genoss der Bischof von Rom lediglich einen gewissen Ehrenvorrang vor den anderen Patriarchen, da sein Bischofssitz an den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus lag, wenngleich die römischen Bischöfe spätestens ab Leo I. (440-461) versuchten, die entscheidende Autorität der gesamten Kirche zu werden. Den Ausbau einer ganz auf Rom ausgerichteten und von dort her bestimmten Kirche erreichten die Päpste erst mit der voranschreitenden Entfremdung ab dem 8. Jahrhundert und dann schließlich der endgültigen Trennung zwischen Ost- und Westkirche 1054. Ab dem 11. Jahrhundert entwarfen die Vordenker des Reformpapsttums eine Lehre der geistlichen Fundierung päpstlicher Gewalt. Der seit frühester Zeit als Petrusdienst bzw. -amt verstandene Auftrag des Papstes wurde erstmals zu einer Stellvertreterschaft Christi auf Erden ausgebaut. In der Absetzung vom Einfluss weltlicher Herrscher in kirchlichen Angelegenheiten, wie er für das Frühmittelalter kennzeichnend war, propagierten Päpste und römische Theologen die Unterordnung jeglicher weltlichen Autorität unter den Papst. Als entscheidendes Dokument kann hier der Dictatus Papae Gregors VII. gelten. Die grundlegende Vorstellung war, dass von der Stärke des Hauptes der Kirche auch die Kraft der ganzen Christenheit ausgeht. So kam es zu einer ersten Zentralisierung in Fragen der Bistumsgründungen, der Heiligsprechungen, des Ritus und der Irrtumslosigkeit der römischen Kirche. Außerdem wurde eine neuartige Petrusmystik entfaltet und von der Würde des Petrus her dem Papst als dessen Nachfolger eine Amtsheiligkeit zugesprochen. Vordenker einer charismatisch-geistlichen Vollmacht des Papstes besonders auch gegenüber den Bischöfen war Bernhard von Clairvaux. In seiner Schrift "De consideratione" (um 1145) spricht er von der plenitudo potestatis (Machtfülle) des Papstes über den ganzen Erdkreis, die sich von den Bischöfen abhebt, die nur Verantwortung für ihre Teildiözese haben. Den Höhepunkt mittelalterlichen Primatsdenken bildete das Herrschaftsverständnis Innozenz' III., der sich endgültig als Stellvertreter Christi bezeichnete und vom göttlichen Recht her eine durchgängige Vollmacht des Papstes in kirchlichen Dingen vertrat.
An diese Vorstellungen, die im Mittelalter und der frühen Neuzeit an den politischen Realitäten scheiterten, knüpfte das 19. Jahrhundert an und erreichte deren jurisdiktionelle Durchsetzung auf dem Ersten Vatikanischen Konzil in der Dogmatisierung der vollgültigen und obersten Jurisdiktionsgewalt über die ganze Kirche, die allein dem Papst zukommt.
Literatur
KÖSTERS, Ludwig, Papst. III. Theologische Erklärung, in: Lexikon für Theologie und Kirche 7 (1935), Sp. 933-936.
KRÄMER, Peter, Primat, päpstlicher. I. Historisch-theologisch, in: Lexikon für Theologie und Kirche3 8 (1999), Sp. 588 f.
SCHATZ, Klaus, Der päpstliche Primat. Seine Geschichte von den Ursprüngen bis zur Gegenwart, Würzburg 1990, S. 109-120.
Empfohlene Zitierweise
Geistliche Vollmacht des Papstes, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 1246, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/1246. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 18.09.2015.
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