Buchverbotsverfahren gegen Rademacher

Der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Schulte war sich unsicher, ob er das Imprimatur, die bischöfliche Druckerlaubnis, für das neue Buch des Bonner Apologetikprofessors Arnold Rademacher "Der Einheitsgedanke in der Theologie und der Parallelismus von Gnade und Natur" erteilen sollte. Rademacher versuchte darin, Glauben und modernes Leben durch die Überwindung einer zu strengen Auffassung der Zweiteilung von Natur und Übernatur wieder neu zu verbinden. Zwei Dogmatik-Professoren der Paderborner Universität sprachen sich in ihren Gutachten mit Verweis auf die Freiheit der Forschung vorsichtig für eine eingeschränkte Druckerlaubnis aus. Pacelli erfuhr im Juni 1921 von dieser Angelegenheit und forderte umgehend weitere Informationen an, woraufhin Schulte die beschränkte Druckerlaubnis widerrief. Von Rademacher erhielt der Nuntius zwei Exemplare seines Manuskripts.
Pacelli kritisierte das Werk heftig und warf ihm Naturalismus und Pelagianismus bzw. Semipelagianismus vor (Dokument Nr. 775). Kardinalstaatssekretär Gasparri leitete das von Pacelli erhaltene Manuskript an das Heilige Offizium weiter. Dort wurde es durch den Dominikanerpater Thomas Esser geprüft, der am 11. Juli 1924 sein vernichtendes Gutachten vorlegte. Auch Esser bezeichnete das Werk Rademachers als reinen Naturalismus und kritisierte zudem die Paderborner Professoren, die dies nicht erkannt hatten.
Die Konsultorenversammlung des Heiligen Offiziums empfahl daraufhin drastische Maßnahmen:
"a) Rademacher müsse auf ewig die Veröffentlichung dieses Werkes verboten werden.
b) Er dürfe auch die darin enthaltenen Gedanken – weder schriftlich noch mündlich – nie mehr von sich geben.
c) Er müsse von seinem Lehrstuhl für Apologetik augenblicklich ablassen.
d) Auch für die Zukunft dürfe er niemals mehr ein Lehramt ausüben, was mit dem kirchlichen Dogma in Verbindung stehe." (UNTERBURGER, S. 315)
Pacelli wurde um Stellungnahme gebeten und erklärte sich inhaltlich einverstanden. Er befürchtete jedoch, dass die Entfernung Rademachers aus dem akademischen Lehramt seine Konkordatspolitik negativ beeinflussen und bewirken könnte, dass er das hier angewandte Recht zum Entzug der Lehrbefugnis nicht erneut festschreiben könne. Er empfahl daher, nur die ersten beiden Vorschläge umzusetzen und Rademacher mit den übrigen Maßnahmen durch den Kölner Kardinal Schulte drohen zu lassen, falls er erneut gegen das Lehrverbot verstoße (Dokument Nr. 783). Das Kardinalsplenum des Heiligen Offiziums unter Raffaele Kardinal Merry del Val folgte in seiner Entscheidung dieser Empfehlung Pacellis (zukünftig Dokument Nr. 11997). Rademacher unterwarf sich und die beiden Paderborner Professoren wurden abgemahnt.
Quellen
Pacelli an Gasparri vom 4. September 1921; Dokument Nr. 775.
Pacelli an Merry del Val vom 4. Februar 1924; Dokument 783.
Merry del Val an Pacelli vom 31. März 1925; zukünftig Dokument Nr. 11997.
Literatur
UNTERBURGER, Klaus, Vom Lehramt der Theologen zum Lehramt der Päpste? Pius XI., die Apostolische Konstitution "Deus scientiarum Dominus" und die Reform der Universitätstheologie. Freiburg im Breisgau 2010, S. 308-317.
Empfohlene Zitierweise
Buchverbotsverfahren gegen Rademacher, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 152, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/152. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 30.10.2012, letzte Änderung am 29.01.2018.
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