Dokument-Nr. 14128
Eine geschichtliche Fälschung, in: Katholische Korrespondenz, Nr. 379, 23. September 1925
Auf Grund des vorliegenden reichhaltigen authentischen Materials bringen wir folgende Richtigstellung zu den Erklärungen des Reichskanzlers a. D. Michaelis über den päpstlichen Friedensschritt im Sommer 1917:
Auf der Brandenburger Provinzialsynode hat der frühere Reichskanzler Michaelis zum Friedensversuch Benedikts XV. im Sommer 1917 Erklärungen abgegeben, die , falls sie auf Wahrheit beruhen, unser bisheriges Wissen um die päpstlichen Friedensbemühungen in einem wesentlichen Punkte als Illusion erweisen würden. Es handelt sich um die bekannte Depesche, die am 21. August 1917 aus London der englischen Botschaft beim Vatikan erging. Wir haben bisher gemeint, in ihr eine Mitteilung der englischen Regierung an ihren Vertreter beim Heiligen Vater vor uns zu haben. Das gab der Depesche ihren außerordentlichen Wert in der Geschichte der päpstlichen Friedensnote, das war auch wesentlich mitbestimmend für die Beurteilung, die man der Regierung Michaelis in der Friedensangelegenheit hat angedeihen lassen. Umso größer ist unser Erstaunen, von Herrn Michalis jetzt plötzlich zu erfahren, daß … „das sogenannte englische Friedensangebot lediglich das Schreiben eines wohlwollenden angesehenen Privatmannes aus London war."
Nicht nur die Presse des evangelischen Bundes, auch der Regierung nahestehende Blätter haben die aufsehenerregende Meldung ihren Lesern unterbreitet, Die Tägliche Rundschau bringt sie in ihrer Nummer 411 vom 16. September unter der Rubrik: "Bedeutsame Erklärungen des Reichskanzlers a. D. v. Michaelis".
Zum Schutz der geschichtlichen Wahrheit sehen wir uns demgegenüber zu folgender Klarstellung genötigt:
Mitte August 1917 traf die päpstliche Friedensnote in den Kabinetten der kriegführenden Mächte ein. Schon am 21. August ließ daraufhin der englische Außenminister Balfour dem britischen Gesandten beim Hl. Stuhl, Grafen de Salis, folgende chiffrierte Depesche zukommen:
„Wir haben noch keine Gelegenheit gehabt, unsere Verbündeten wegen der Note Seiner Heiligkeit zu befragen, und sind nicht in der Lage, uns über eine Beantwortung der Vorschläge Seiner Heiligkeit, betreffend die Bedingungen eines dauernden Friedens, zu äußern. Unserer Ansicht nach besteht keine Wahrscheinlichkeit dafür, diesem Ziele näher zu kommen, solange sich nicht die Zentralmächte und ihre Verbündeten in offizieller Form über ihre Kriegsziele und darüber geäußert haben, zu welchen Wiederherstellungen und Entschädigungen sie bereit sind, und durch welche Mittel in Zukunft die Welt vor Wiederholung der Greuel, unter denen sie jetzt leidet, bewahrt werden könnte. Selbst hinsichtlich Belgiens – und in diesem Punkte haben diese Mächte selbst anerkannt, im Unrecht zu sein – ist uns niemals eine bestimmte Erklärung über ihre Absicht bekannt geworden, seine völlige Unabhängigkeit wieder herzustellen und die Schäden wieder gut zu machen, die sie das Land ertragen lassen.
Seiner Eminenz dürften zweifellos die Erklärungen gegenwärtig sein, die von den Allierten (sic) in der Beantwortung der Note Präsident Wilsons abgegeben worden sind. Weder von Oesterreich noch von Deutschland ist jemals eine dahinlautende Erklärung erfolgt. Ein Versuch, die Kriegführenden in Uebereinstimmung zu bringen, erscheint so lange vergeblich, als wir nicht über die Punkte im klaren (sic) sind, in denen ihre Ansichten auseinandergehen."
Der Ton, auf den die Instruktion gestimmt ist, versetzt uns zurück in die Kriegsjahre. Ihr Inhalt – und darauf kam es -, ließ Verhandlungsmöglichkeiten erkennen, wenn sich Deutschland nur erst wenigstens über Belgien klar aussprechen wollte. Am 23. August übergab Graf de Salis die Depesche in französischer Uebersetzung Kardinal Gasparri. Der Kardinal ließ das Telegramm Nuntius Pacelli zukommen mit der Instruktion, von der deutschen Regierung eine Erklärung über Belgien zu erwirken. Das Schreiben des Nuntius an Reichskanzler Michaelis vom 30. August, in dem er sich des ihm gewordenen Auftrags entledigte, ist seit Erzbergers Rede vom 25. Juli 1919 in der Weimarer Nationalversammlung bekannt. Man kann es in der Presse vom 26. oder 27. Juli in Erzbergers „Erlebnissen im Weltkrieg" (S. 277), in Ludendorffs Urkunden S. 425 f. und in Michaelis‘ eigenen Erinnerungen (Für Volk und Staat, Berlin 1922, S. 342 f.) nachlesen. Michaelis hat auch noch ausdrücklich den französischen Wortlaut der Depesche beigefügt. Und wenn Graf de Salis Kardinal Gasparri den französischen Text auch ohne Unterschrift, in der Form eines sogenannten Aide-Memoire, überreicht hatte, so wußte Herr Michaelis doch seitdem, daß sie vom englischen Außenminister komme, und daß Graf de Salis mit ihrer Uebermittlung an Kardinal Gasparri im Sinne seiner Regierung gehandelt habe. Falls ihm, der ja dem Vatikan gegenüber nicht zu vertrauensselig war, aber doch noch eine Spur von Zweifel an der Echtheit der Note geblieben wäre, so hätte ihn das Englische Blaubuch über die päpstliche Friedensaktion (Nr. 261 vom 12. August 1919) vollkommen beruhigen müssen. Dort findet sich die Instruktion an Graf de Salis im englischen Text, und Balfour bemerkt am Schluß noch ausdrücklich: „Sie wollen, wenn sich eine geeignete Gelegenheit bietet, dieses Seiner Eminenz auseinandersetzen."
Um so unverständlicher ist es, wenn Herr Michaelis schon in seinen Erinnerungen (S. 342) den Versuch macht, die Depesche in einer „Sonderaktion" des Münchener Nuntius unterzubringen, die neben der päpstlichen Friedensbemühung hergelaufen sei, Er mußte doch 1922 wissen, daß seine Darstellung irrig sei. Wenn der Altreichskanzler aber heute in öffentlicher Rede es wagt, die Depesche als Schreiben eines Londoner „Privatmannes" hinzustellen, so fehlen uns für dieses Unterfangen die Worte. Wir müssen Herrn Michaelis hier einfach einer geschichtlichen Fälschung bezichtigen.
Des Zusammenhangs halber können wir uns nicht versagen, zum Schluß noch an das Schreiben des Reichskanzlers Michaelis zu erinnern, das er, gerade am Tage nach Absendung der Londoner Instruktion, am 22. August 1917, an den deutschen Botschafter in Wien, Herrn von Wedel, abgehen ließ.- Es lautet:
„Meines Erachtens muß unser Bestreben dahin gehen, das Odium eines etwaigen Scheiterns des päpstlichen Vermittlungsversuches auf unsere Gegner abzuwälzen und sie ins Unrecht zu setzen, wie es im Dezember vorigen Jahres mit unserer Friedensaktion der Fall gewesen ist. Ich beabsichtige daher, die Angelegenheit ziemlich dilatorisch zu behandeln, mit der Absendung unserer endgültigen Antwort zu warten, bis eine genauere Kenntnis der Stimmungen uns eine zweckdienlichere Stellung ermöglicht. …"
Wir brauchen diesem Schreiben kein Wort hinzuzufügen. Den Grundsatz der dilatorischen Behandlung des päpstlichen Friedensschrittes hat Reichskanzler Michaelis freilich von Anfang an gelten lassen, und diese dilatorische Behandlung hat im August und September 1917 den Friedensgegnern auf der Ententeseite ihre Arbeit ganz wesentlich erleichtert.