Dokument-Nr. 446
Boelitz, Otto an Pacelli, Eugenio
Berlin, 28. April 1922
Indem ich meine besondere Aufmerksamkeit dem Punkte III der Anregungen zuwende, dessen unverzügliche Inangriffnahme in meinem Schreiben vom 6. Januar d. J. – G II 33 – in Aussicht gestellt ist, gebe ich zunächst meiner Befriedigung darüber Ausdruck, dass der Preussischen Staatsregierung keine Stellungnahme zugegangen ist, wonach der Heilige Stuhl die dem früheren Könige gegebenen Bewilligungen als nicht mehr bestehend ansehe. Die Preussische Staatsregierung steht auf dem Standpunkt, dass die Bulle de salute animarum und die übrigen Vereinbarungen mit dem Heiligen Stuhle, welche die Abgrenzung der Diözesen und die Besetzung der Bischofsstühle, Dignitäten und Kanonikate innerhalb Preussens betreffen, für das jetzige Staatsgebiet unverändert in Kraft geblieben sind. Jede andere Behandlung würde zwar nicht die Anpassung der preussischen Gesetzgebung an die Reichsverfassung hindern, wäre aber doch geeignet, gesetzlichen Massnahmen, die, wie die Erhöhung der Dotationen der Bistümer oder der Pfarrbesoldung, aus der Reichsverfassung nicht herzuleiten sind, schwere Hemmungen zu bereiten. In der durch Euer Exzellenz Schreiben vom 16. Februar d. J. eröffneten Verhandlung, die ich mit dieser meiner, zunächst ohne Befassung des Staatsministeriums ergehenden Antwort gern aufnehme, glaube ich vielmehr ein
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Anzeichen erblicken zu können für die Auffassung, dass eine
einseitige Kraftloserklärung vereinbarter Bestimmungen umso weniger beabsichtigt noch auch
zweckmässig ist, als im Wege der Verhandlung das erstrebte Ziel in gegenseitigem
Einvernehmen zu erreichen sein dürfte.Zu der Anpassung der in Preussen geltenden und als Landesgesetze erlassenen Cirkumskriptions- und Dotationsbullen an die Reichsverfassung wird es eines preussischen Gesetzes bedürfen. Bei Einbringung dieses Gesetzes wird sich bei dem Interesse für den Gegenstand und angesichts der staatlichen Dotierung die Frage erheben, welche Art der Ergänzung der Domkapitel in Zukunft an die Stelle der staatlichen Ernennung treten wird. In dieser Beziehung bitte ich Euer Exzellenz, mir gefälligst nähere Mitteilung zugehen zu lassen. Der Wunsch der Preussischen Staatsregierung geht dahin, dass vor Ernennung der Dompröpste und der Hälfte der Domherren dem Staate die Kandidaten genannt werden.
Was die Bischofswahl angeht, so wird durch einen Verzicht des Staates auf das jus exclusivae und auf die Bestellung eines staatlichen Wahlkommissars die vereinbarte, dem Domkapitel zustehende Wahlberechtigung nicht berührt. Die Preussische Staatsregierung wird, wie ich bestimmt annehmen kann, aus nahe liegenden, der geschichtlichen Entwicklung und den Wünschen des katholischen Volksteiles zu entnehmenden Gründen bei dieser Gelegenheit die Vereinbarung wünschen, dass das Wahlrecht auch in Zukunft beibehalten werde und bittet um eine entsprechende Zusage des Heiligen Stuhles. – Wie sehr bei Ausübung der Wahl die Rücksichtnahme auf die Eintracht zwischen Kirche und Staat im Interesse beider Teile liegt, ist sowohl in dem für Altpreussen ergangenen Breve "Quod de fidelium" aus dem Jahre 1821 wie auch in dem für die Oberrheinische Kirchenprovinz im Jahre 1827 ergangenen Breve "Re sacra" ausgesprochen worden. Es wäre erwünscht, wenn nach der in Aussicht genommenen Abänderung der preussischen Gesetzgebung in einer vorher zu vereinbarenden Weise der in jenen Breves ausgesprochene Gesichtspunkt zu Gunsten der Regierung des Preussischen Freistaates erneut zum Ausdruck gebracht würde. Ich würde es aber ferner begrüssen, wenn das gegenseitige Vertrauen auch noch in der künftigen Wahlpraxis sichtbaren Ausdruck fände in der Weise, dass die
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in Aussicht genommenen Kandidaten vor der Wahl der
Preussischen Staatsregierung bekannt gegeben würden. Die unter I, II, IV, IX des Schreibens des Herrn Kardinal-Fürstbischofs von Breslau gegebenen Anregungen stehen sämtlich in Beziehung zu dem preussischen Gesetz, betreffend die Anstellung und Vorbildung der Geistlichen. Wenn bisher nach Benehmen mit den Herren Bischöfen die Abänderung dieses Gesetzes noch nicht in Angriff genommen worden ist, so steht das vor allem in Zusammenhang mit der starken Erhöhung der Pfarrgehälter, die unter der Geltung dieses Gesetzes erfolgt ist. Die Zuschüsse des Staates zu den Besoldungen der katholischen Pfarrer, welche früher rund 5.600.000 M. betrugen, sind vom Rechnungsjahre 1920 ab auf mehr als 47.000.000 M erhöht worden. Ausserdem sind vorläufige Leistungen erfolgt, die sich zum Beispiel für das Rechnungsjahr 1921 schätzungsweise auf 80.000.000 M. belaufen.
Der hier unverbindlich und mit Rücksicht auf die Pfarrbesoldung gemachte Vorschlag, ohne unmittelbaren Zwang für die Kirche gewisse Mindestbedingungen für den Bezug der erhöhten Gehälter in das bevorstehende preussische Pfarrbesoldungsgesetz aufzunehmen, findet, wie ich aus Euer Exzellenz Schreiben ersehe, Widerspruch. Ein anderer Weg zu dem gleichen Ziele würde gefunden sein in einer Vereinbarung, durch die der Heilige Stuhl dasjenige Mass staatlicher Interessen sicher stellen würde, das angesichts der Besoldung der Pfarrer und ihrer Gleichstellung mit akademisch gebildeten Beamten auch für die Zukunft nicht wohl entbehrt werden kann. Zu diesem Zwecke schlage ich vor, dass auch in Zukunft die Uebertragung eines geistlichen Amtes mit staatlicher Zustimmung geschehe, wenn es sich um einen Ausländer oder um einen Geistlichen handelt, der nicht das Reifezeugnis einer deutschen höheren Lehranstalt erworben und nicht mindestens 3 Jahre auf einer deutschen Universität oder einem deutschen bischöflichen Seminar oder einer gleichartigen Anstalt in Rom studiert hat.
Die vorstehenden Darlegungen geben die Hauptgesichtspunkte für die zu treffenden Vereinbarungen an, ich darf mir aber vorbehalten, weitere Punkte im Laufe der Verhandlung zur Erörterung zu
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stellen.Zum Schluss erlaube ich mir darauf hinzuweisen, dass die Preussische Staatsregierung seit Erlass der Reichsverfassung bei Anwendung der geltenden Gesetze den Wünschen der beteiligten kirchlichen Stellen anerkanntermassen weitestens Entgegenkommen bewiesen hat.
Gestatten Euer Exzellenz den Ausdruck meiner besonderen Verehrung, womit ich die Ehre habe zu sein
Euer Exzellenz
ergebenster
gez. Boelitz.
Preussischer Minister für Wissenschaft,
Kunst und Volksbildung