Dokument-Nr. 18842
Berg, Ludwig: Dritter Bericht über die Russenfürsorge in Berlin.
(15.VIII.25 -
15.II.1926). [Berlin], 15. Februar 1926
1/. Emigrantenfürsorge und Sowiet.
a/ Dem ersten Stadium der hiesigen Russenfürsorge, nämlich Betreuung der Russen durch Caritaswerke, ist das zweite Stadium der Unionsbestrebungen gefolgt. Bei den vielen mündlichen Aussprachen führte das Gespräch meist fast von selbst auf den offiziellen Zusammenbruch der orthodoxen Kirche in Russland und auf die religiöse Not der Emigranten. Es lag daher der Wunsch eines Zusammenschlusses der orthodoxen Kirche mit der innerlich und äusserlich starken katholischen Kirche nah. Freilich war die Form der Union meist gedacht als ein Zusammenkommen der führenden Geistlichen auf einem Konzil, bei dem beide Teile gleichberechtigt wären. Ausserordentlich viel Vorarbeit für das rechte Verständnis der Union, für die Suprematie und Infallibilität des Papstes3 ist noch zu leisten. Vielfach ist noch die geistige Atmosphäre zu schaffen, die den grossen Unionsgedanken sympathisch macht, denn die allermeisten der hiesigen Emigranten hatten nach ihrem Zugeständnis im alten Russland keinen Verkehr mit katholischen Priestern, zudem ist die Auffassung der Emigranten vom katholischen Priester oft ähnlich der Geringschätzung mit der sie ihre orthodoxen Priester betrachten.
Aus diesen allgemeinen Gedanken heraus werden die unter IV. angeführten Punkte aufgeführt; denn dem Unterzeichneten schwebte bei diesen Veranstaltungen stets das letzte grosse Ziel der Union vor.
b/ Soll das grosse christliche Rettungswerk für Russland gesichert werden, so dürfte sich die Russenfürsorge nicht nur auf die im Ausland lebenden Emigranten beschränken. Sie bilden zwar die Elite Russlands, tragen aber mit den Tugenden auch noch sehr stark die Schwächen an sich, die zu dem in der Geschichte beispiellos dastehenden Zusammenbruch des alten Russlands führten. Die psychologischen Schwierigkeiten einer inneren Umstellung sind bei einem grossen Teile der Emigranten anscheinend unüberwindlich. Viele erkennen offen die Schwächen und das Unhaltbare des alten russischen Systems an, aber ein grosser Teil der Emigranten sieht nur in der Wiederherstellung eines alten früheren Russland die Rettung des Landes. An einen gewaltsamen militärischen Einbruch in das Land von auswärts denkt man wohl kaum noch. Ein grosser Teil der Emigranten hofft auf eine Revolution im Inneren des Landes, der man dann freilich mit Truppen von auswärts zu Hilfe kommen soll. Wiederum gibt es viele Emigranten, die sich mit dem Schicksal ausgesöhnt haben und an eine Rückkehr nach dem alten Russland nicht mehr denken.
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Unterzeichneter kann und will über diese politischen
Zusammenhänge persönlich nicht urteilen und lehnt auch bei allen Zusammenkünften mit Russen
jedes mal in ganz bestimmter Form jede politische Einmischung und Stellungnahme ab, da seine
Aufgabe den Grundsätzen der übernationalen katholischen Kirche entsprechend eine rein
religiöse sei.Eine ruhige Orientierung und kritische Stellungnahme zu den tatsächlichen Verhältnissen im jetzigen Sowietrussland oder gar der Wille der Emigranten bei dem einen oder anderen Sowietvertreter aufklärend zu wirken, ist kaum anzutreffen. Es besteht zwischen Sowiet und dem Emigrantentum auf der ganzen Linie eine grundsätzliche Feindschaft.
Die consequente Durchführung des religiösen Standpunktes ermöglicht es dem Unterzeichneten aber auch mit Sowietvertretern hie und da in vorsichtiger Weise in Verbindung zu treten. Selbst die Emigranten erkennen die Berechtigung dieses Standpunktes an. Es ist der Verkehr mit manchen Sowietanhängern in gewisser Weise erleichtert da viele wie im inneren Russland, so auch im Auslande, der Not gehorchend sich den kommunistischen Verbänden angeschlossen haben. Auch sind in diesen Kreisen vielfach Personen von guter Bildung und gutem Willen. Bei vielen gewinnt immer mehr der Gedanke Klarheit und Festigkeit, dass die jetzigen religions-feindlichen Verhältnisse in Russland auf die Dauer unhaltbare Zustände bringen, und dass nur eine gewaltige geistige Idee, beispielsweise Religion, die Stütze eines jeden Staatswesens sein kann. Die scharfe Beobachtung mancher Sowiet-Vorgänge innerhalb und ausserhalb Russlands bestätigt immer mehr diese geistige Einstellung. Die bereits im 2. Bericht (II. 2 f.) angedeuteten Beziehungen zu Sowiet-Anhängern wurden fortgesetzt, neue Beziehungen angeknüpft. Neuerdings fand der Eintritt einer amtlich in Sowietdienst stehenden Person in die katholische Kirche statt.
Im Zusammenhange mit diesen Ausführungen mag die erfreuliche Tatsache mitgeteilt sein, dass das soeben erschienene Buch von Pater d'Herbigny "L'aspect religieux de Moscou en octobre 1925" in Emigranten- und Sowietkreisen ein sehr grosses Aufsehen erregt hat.
2/. Jeden Monat finden Sitzungen statt, zu denen eingeladen werden: Delegaturrat Dr. Banasch, Pater Berg von der Johannes-Congregation, Pater Ehresmann, Pater Gehrmann S.V.D., Oberin der Karmelitinnen, Mutter Ursula, Pfarrer Kaller, Katholische Fürsorge für Russland, Diöcese Tiraspol, Schwester Magdalena von der Johannes-Congregation, Pfarrer Maier, Baronin von Oettingen, P. Sinnigen, Generalsekretär der Missionssuperioren-Conferenz, Direktor Wienken (Deutscher Caritasverband) und Pater Wolff (Caritasverband-Delegaturbezirk.)
Die Tagesordnung lautet jedesmal:
a/. Kurzes Referat über religiöse Fragen (z.B. religiöse Richtlinien im Verkehr mit Orthodoxen, die Hauptpunkte des Convertitenunterrichtes: Suprematie und Infallibilität des Papstes, Filioque, Visio beatifica, Immaculata Conceptio, Fegfeuer, Riten, Gültigkeit der Taufe und der von einem einfachen Priester gespendeten Firmung;
b/. Caritasarbeiten.
3/. Bezeichnend für die dankbare Gesinnung unseres Kirchenchores (28 russische Damen und Herren, darunter 5 katholisch, die übrigen
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orthodox) ist der Umstand, dass die Mitglieder
desselben Weihnachten 1925 einstimmig die Einladung zu einem Konzert im
protestantischen Dom (Berlin, Schlossplatz) ablehnten, da Unterzeichneter diese speziell
religiöse Veranstaltung im protestantischen Dom nicht gern sah. Nach Angabe der Mitglieder
des Chores bedeutete dieses für jedes Mitglied einen Verlust von 20 Mk. (Vergl. IV, Nr.
9.)4/. Vom 15. August 1925 bis zum 15. Februar 1926 wurden vom hiesigen Büro ausgesandt: 962 Briefe, 2088 Exemplare Kirchenblatt, 432 Einladungen zu den Kirchenchor-Proben, 132 Einladungen zu den Vorträgen des Akademischen Vereins, 39 Einladungen zu den Sitzungen der Russenfürsorge, 273 Einladungen zu der russischen Weihnachtsfeier am 27. Dezember 1925, 153 Einladungen zum Vortrag am 13. Januar 1926, 16 Einladungen zur Eröffnung der russischen Nähschule, 62 Einladungen zu Kleiderverteilungen an Dürftige und 32 Einladungen zu den Sonntagserholungsstunden in der Nähschule. Zusammen 4189 Postsachen. Durchschnittlich pro Tag ca 20 Postsachen. Die Kopien sämtlicher Briefe werden im Büro aufbewahrt.
Besuche im Büro: täglich durchschnittlich 6 bis 8 Besuche, ausserdem ständig Familienbesuche, besonders bei Kranken.
Hilfskräfte: bei dieser Art von Caritas steht ein kleiner Stab von Hilfskräften zur Verfügung.
II. Caritas.
1/. Wie bisheran werden monatlich durch die wohltätige Spende Seiner Excellenz Nuntius Pacelli die Lebensmittelpakete an etwa 80 kinderreiche russische Familien abgegeben. Frau Baronin von Oettingen leitet diese Caritasarbeit.
Ausserdem erhalten 16 Studenten in den Baracken der General Papestrasse (Berlin-Schöneberg) wie bisheran monatlich Geld für Lebensmittel.
2/. Die im ersten Bericht erwähnten 100 freie Mittagessen seitens der katholischen Klöster und Krankenhäuser werden nach Kräften durch Frau Baronin von Oettingen weiter verteilt.
Eine russische Pension (Oberst von Sachnowsky, Berlin-Schöneberg, Hauptstrasse 18) wird durch Aufträge für Mittagessen zu billigen Preisen durch die angrenzenden Pfarrbezirke unterstützt.
Neuerdings werden auch in der russischen Nähschule (Charlottenburg, Am Lützow Nr. 9) den Arbeiterinnen unentgeltlich Mittagessen verabreicht.
3/. Katholische Krankenhäuser (Marienkrankenhaus und Norbertkrankenhaus) zeigen bei der Aufnahme von russischen Kranken ein besonderes Entgegenkommen.
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4/. Nach wie vor sind die Bemühungen zahlreich für
Hilfeleistung zur Ausstellung von Pässen und Aufenthaltsbewilligungen. Stets
wurde grosses Entgegenkommen gezeigt von den in Betracht kommenden Behörden (Geheimrat
Goehrke, Polizeirat Dr. Appel, Polizeirat Dr. Herzog beim Fremdenamt des
Polizei-Präsidiums, Konsul Richter bei der russischen Abteilung des Auswärtigen Amtes,
Geheimrat Wolff beim Ministerium des Innern, die verschiedenen ausländischen Konsulate wie
Frankreich, Italien, Belgien, Polen und Peru.)5/. Gemäss amtlichem Beschlusse sollte das Flüchtlingslager Scheuen b/Celle aufgelöst werden. Bis zum 1. Oktober 1925 wohnten in diesem Flüchtlingslager ca 200 Personen, z.Zt. sind noch 27 Flüchtlinge dort. Die Emigranten wurden auf einzelne Gemeinden in den verschiedensten Provinzen verteilt, ein Teil fand Aufnahme im Flüchtlingslager zu Wünsdorf, wo z.Zt. 180 Emigranten wohnen. Unterzeichneter, der beide Lager öfters besucht hatte, fand bei Herrn Geheimrat Bundrock beim Landesfinanzamt Brandenburg bei den Verhandlungen betr. Übersiedelung von Scheuen nach Wünsdorf stets grösstes Entgegenkommen.
6/. Am 5. Februar 1926 wurden russische Näh-, Flick- und Handarbeitszimmer in einem den Karmelitinnen gehörenden Privathause Am Lützow Nr. 9 eingerichtet. An drei Tagen wird Gelegenheit gegeben zum Lernen der einfachen wie der feinsten Handarbeiten, an drei anderen Tagen zum Arbeiten gegen Verdienst.
Diese Nähzimmer dienen an Sonntagen als Erholungsheim für russische Damen. Sonntag, den 14. Februar waren 22 Personen anwesend.
Mit der Stifterin der Genossenschaft der Karmelitinnen vom Hl. Herzen Jesu (Mutterhaus in Sittard, Post Wehr b/Aachen), Generaloberin Tauscher hatte Unterzeichneter folgenden Plan überlegt. Die Generaloberin will in grosszügister Weise die ganze Russenfürsorge unterstützen. Wie sie bereits mit Freude russische Knaben und Mädchen in drei ihrer Berliner Kinderheime aufgenommen hat, so will sie auch die in ihrer Genossenschaft wirkenden geborenen russischen Schwestern nach Berlin senden, damit hier eine Art russischer Schwesternabteilung gebildet wird. Zwei russische Schwestern sind bereits in Berlin, eine dritte Schwester z.Zt. in Amerika befindlich, hat den Auftrag bekommen nach Berlin abzureisen, eine Postulantin aus Moskau und 7 kroatische Schwestern, die sich noch im Mutterhaus zu Sittard befinden, erhalten russischen Unterricht durch drei erwachsene russische Mädchen, die von Berlin aus zwecks weiterer Ausbildung im Hause der Schwestern vom Kostbaren Blute zu Sittard untergebracht worden sind. Sollte irgend wo und irgend wann sich für katholische Schwestern Gelegenheit bieten in das alte Russland zu gehen, so hätte man hier eine kleine gutdisziplinierte Gruppe katholischer Schwestern, die nach dem Prinzip des einheimischen Klerus die verschiedenen Caritas- und Missionswerke in Russland ausüben könnten.
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7/. Unterbringung von Waisenkindern.In den Berliner katholischen Kinderheimen sind 22 russische Kinder untergebracht, meistens orthodox. Im Kinderheim auf der Pappelallee 61 sollen nach und nach alle russischen Knaben unter Leitung einer bereits dort befindlichen russischen Schwester eine besondere Abteilung bilden.
Die Abteilung für russische Mädchen auf der Lützowerstrasse 1 a enthält z. Zt. 10 Mädchen unter Leitung einer russischen Schwester und eines russischen Kindermädchens. Auffallend ist, dass gerade in dieser Abteilung manche der vorher in anderen Waisenhäusern einzeln untergebrachten Mädchen unter der so guten Leitung wieder russissch zu sprechen gelernt haben.
8/. Höhere Studien.
26 russische Knaben und Mädchen besuchen höhere Lehranstalten und zwar: 7 Knaben bei den Kapuziner-Patres in Regensburg, 5 bei den Kapuzinerpatres in Bocholt i/W., 4 im Missionshaus Sittard b/Aachen, 3 Mädchen besuchen das Lyzeum bezw. Oberlyzeum der Ursulinen in Haselünne b/Hannover, 2 das Lyzeum der Ursulinen in Erfurt, 1 das Lyzeum der Ursulinen in Karlowitz b/Breslau, 1 das Lyzeum der Ursulinen in Ratibor i/S., 3 das Lyzeum der Schwestern vom Kostbaren Blut in Sittard b/Aachen.
Die Ursulinen in Werl und in Breslau erhalten zu Ostern 1926 je 2 russische Mädchen für ihre Lyzeen, die Ursulinen in Ratibor 1 Mädchen und die Steyler Patres in Heiligkreuz b/Neisse 2 russische Knaben zur Ausbildung in ihren höheren Lehranstalten.4
Durch den hochwürdigsten Herrn Bischof von Danzig, Graf O'Rour wurden 7 Knaben bei den Pallotinern in Braunsberg untergebracht.
9/. Die Theologiestudierenden.
vergleiche IV. Nr. 3.
10/. Zur Aufnahme in katholische Anstalten sind bei dem Unterzeichneten noch 82 russische Knaben und Mädchen gemeldet. Von diesen befinden sich 29 in Berlin, 4 in Serbien und 49 in Russland, hauptsächlich in der Diöcese Tiraspol. Von den genannten angemeldeten Kindern sind 51 katholisch, 26 orthodox, 1 protestantisch und 4 israelitisch. Mit Rücksicht auf die zahlreichen Anmeldungen aus der Diöcese Tiraspol teilte Unterzeichneter nach Rücksprache mit Dr. Kessler, Bischof von Tiraspol, z. Zt. Berlin, den Petenten mit dass die nähere Auswahl und nähere Mitteilungen durch das Generalvikariat von Tiraspol erfolgen würden.
11/. Universitätsstudenten.
Die materielle Not dieser Studenten ist in diesem Winter bedeutend gestiegen, da trotz der Bemühungen des Herrn Direktor Dr. Remm im Auswärtigen Amt, den ausländischen Studenten die Kollegiengelder nicht mehr geschenkt bezw. gestundet werden konnten. 3Tausend Mark mussten Anfang Dezember 1926 sofort bezahlt werden für die im letzten Semester vor dem Schlussexamen stehenden Studenten. Weitere 6 Tausend Mark sind im Laufe des Semesters zu bezahlen. Das spezielle Studentencomite der Frau von Tubental hat den Unterzeichneten bei den Fürsorgearbeiten zu Rate gezogen; durch besondere Veranstaltung konnten über 2000 Mk. bis jetzt für die in den Schlussexamen ste-
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henden Studenten bezahlt werden.12/. Baron von Ritterholm, Leiter der russischen Abteilung beim Deutschen Roten Kreuz machte am 6. Februar 1926 dem Unterzeichneten den Vorschlag, den Heiligen Stuhl zu veranlassen ein internationales Passbüro für die russischen Emigranten einzurichten. Durch diese Einrichtung würde man nach Art der Nansen-Pässe, aber in besserer Durchführung den Emigranten helfen können.
13/. Günstige Beurteilung der katholischen Caritas seitens der Orthodoxen:
a/. im 2. Bericht (III. Caritas) wurde mitgeteilt, dass die in Paris erscheinende russische Zeitung "Wosroschdenije" einen sehr scharfen und gehässigen Artikel des Herrn Alexander Jablonowsky gegen die katholische Caritas gebracht hatte. Inzwischen wurden Protestschreiben aus Belgien, Frankreich und Italien in demselben Blatt gebracht. Am 26. November 1925 brachte dieselbe Zeitung eine Erwiderung aus Berliner Kreisen, die unterzeichnet war von Herrn Wladimir von Derjugin, ehem. Staatsanwalt, Vorsitzender der Revisionskommission des russischen Flüchtlingscomité in Deutschland und Vicevorsitzender des Verbandes russischer Justizbeamten im Auslande. Eine Abschrift des Artikels, den die Redaktion übrigens verkürzt hatte, liegt diesem Bericht bei.
Unter anderem schreibt Herr von Derjugin:
"Von grosser Bedeutung ist schon allein das Zusammenkommen russischer Flüchtlinge mit einer Reihe von religiösen katholischen Organisationen, die durch eine eiserne Disziplin mit einander verbunden sind die sich aber nicht auf Furcht und Gewalt stützt, sondern auf das Gefühl der reinen christlichen Liebe und das Verständnis der allgemeinen geistigen Interessen! Dieses Zusammenkommen hat natürlich den Übertritt einiger Personen zur katholischen Kirche zur Folge gehabt. Es sind aber erwachsene und reife Personen gewesen, sodass von irgend einem Zwang zum Übertritt selbstverständlich keine Rede sein kann.
Im Gegenteil, es scheint, dass die katholische Geistlichkeit ihre Kirche vor dem Eindringen unbekannter und unbeständiger Elemente eifrig beschützt und sie zeigt auf diese Weise eher ängstliche Vorsicht als zu grosses Vertrauen. In ihrem Verhalten gegenüber unserem religiösen Glauben und unserem nationalen Gefühl ist nichts besseres zu wünschen. Sie hat immer eine besondere Feinfühligkeit und Aufmerksamkeit gezeigt.
b/. Ein Bruder dieses Herrn von Derjugin, Georg von Derjugin (orth.) sandte am 22. Januar 1926 dem orthodoxen Bischof Tychon ein offizielles Schreiben, in dem er dessen Auffassung von religiösem Zwang seitens der Kapuziner-Patres in Regensburg auf seinen dort untergebrachten Sohn mit folgenden Worten zurückwies:
"... Aus dem Angeführten werden Sie, hochverehrtester Herr Bischof, sich überzeugen, dass Sie durch jemand in Irrtum geführt waren, und dass in Wirklichkeit keine inkorrekte Handlungen seitens des Herrn Professor Berg oder der Kapuzinerpatres gegenüber meinen Kindern bis jetzt ausgeübt worden waren, und dass ich diesen geistlichen Personen gegenüber nur die grösste Anerkennung empfinden muss und zwar nicht nur für all die Güte und die Fürsorge, die sie meinen Kindern haben zuteil werden lassen, sondern auch dafür, dass diese Güte und Fürsorge in so kulturvoller und delikater Form ausgeübt
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werden und die
Gebote und Überzeugungen der Eltern nie verletzt werden.Der Herrgott möge ihnen dies vergelten."
c/. Der im 2. Bericht (III. Caritas, Absatz 16) genannte Herr Ischewsky hat inzwischen in seiner Not sich mehrere Male um Hilfeleistungen an den Unterzeichneten gewandt und für diese echte Caritas aufrichtigen Dank ausgesprochen.
14/. Die vorstehenden Caritasarbeiten wurden ermöglicht durch die hochherzigen Spenden Seiner Excellenz Nuntius Pacelli und des Episcopates, der auf Anregung des Vorsitzenden auf der Bischofskonferenz von Fulda 1925, Seiner Eminenz Kardinal Bertram, eine finanzielle Unterstützung der Russenfürsorge seitens der einzelnen Diöcesen beschlossen hat. Namhafte Beiträge sind eingegangen, u.a. 1.500 Mk. von Seiner Eminenz Kardinal Bertram, Breslau.
Der katholische Caritasverband (Hauptvertretung Berlin und Delegaturbezirk Berlin) sowie manche private Wohltäter haben ebenfalls bedeutende Spenden gegeben.
III. Convertiten: s. Blatt 14.5
IV. Unionsbestrebungen.
(cf. I. 4 a und b.)
1/. Jede Woche werden 87 Exemplare des Berliner katholischen Kirchenblattes an interessierte Kreise versandt. Zu allen Vorträgen und Veranstaltungen der hiesigen katholischen Akademikervereinigung werden, dank dem Entgegenkommen des Vorstandes dieser Vereinigung, 40 Freikarten ausgegeben. Bücher aus den einzelnen Borromäus-Bibliotheken Berlins stehen durch besonderes Entgegenkommen der einzelnen Vorstände zur Verfügung und werden gelegentlich der Zusammenkünfte in der russischen Nähstube von Interessenten mit nach Hause genommen.
Mit Dank werden alle diese Anregungen von interessierten russischen Kreisen entgegengenommen.
2/. a) Literarische Arbeiten und Vorträge.
Der mit der Russenfürsorge in Paris betraute hochwürdigste Weihbischof Mgr. Chaptal hat eine Zusammenstellung von Fragen und Antworten für die orthodoxen Kreise drucken lassen. Mit Erlaubnis des Verfassers und der kirchlichen Genehmigung von Rom und der Delegatur Berlin hat Unterzeichneter diese kleine französische Broschüre in die russische Sprache übersetzen und drucken lassen. Sie wird als gutes Aufklärungsmaterial dienen.
b/. Herausgabe eines russischen Jahrbuches.
Freunde der Unionsbewegung auf der orthodoxen und katholischen Seite sind vom Unterzeichneten gebeten worden aus ihren spezialen Gebieten kurze Artikel zu schreiben über Materien, die vornehmlich das Gemeinsame der orthodoxen und der katholischen Kirche betonen bezw. Wege zum Zusammenschluss der beiden Kirchen zeigen.
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Der Universitätsprofessor Pusino, der
eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten veröffentlicht hat, schreibt u.a.: "Einen Aufsatz für
Ihr Buch werde ich mit Freude schreiben, als eine kleine Gabe meinerseits für die heilige
Sache des Einverständnisses der beiden Kirchen."c/. Zur Zeit liegen 2 Romane von Dr. Otto Färber, Karlsruhe, zum Übersetzen in die russische Sprache vor. Der eine Roman lautet "Glühende Ketten" und behandelt den Gedanken, dass eine christliche Kadettenpartei nach Art unseres Zentrums für Russland etwas Ausgezeichnetes gewesen wäre. Der 2. Roman "Krieg dem Frieden" schildert den Übergang des Bolschewismus zur Diktatur eines Emporkömmlings. Die beiden Romane werden z. Zt. auf ihre Zweckmässigkeit hier geprüft.
d/. Vorträge über das Thema "Das Problem der orthodoxen Kirche und die Lösungsversuche seitens der katholischen Kirche" wurden gehalten vor den Schwestern vom Kostbaren Blut zu Sittard b/Aachen und in Berlin vor den Karmelitinnen in den Kinderheimen Lützowerstrasse 1a und Pappelallee 61, sowie vor ca 120 Priestern nach der Recollectio am 1[3]. Januar 1926 im Vereinssaal des katholischen Studentinnenheims.
3/. Theologiestudierende.
Für die grosse Unionsarbeit unter den Russen haben sich mehrere hiesige Studenten im Laufe des Jahres bereit erklärt und sind in den verschiedenen Bildungsstätten untergebracht worden: Elias Gudzewatyj, aus Ukraine, im Griechischen Kolleg zu Rom; Clemens Fuchs, geb. am 20. Oktober 1900 in Neukronental b/Cherson (Südrussland), im Missionshaus der Priester vom Hl. Herzen Jesu zu Sittard b/Aachen; Philipp Jaufmann, geb. am 2. Januar 1900 in Südrussland, im Collegium Canisianum zu Innsbruck; Antonius Pernitzky, geb. am 27. Mai 1904 in Odessa, im Kapuzinerkloster in Bocholt i/W. Der Student Simon Mackiewiecz, geb. am 11. September 1895 in Galizien erwartet noch Bescheid über seine ev. Aufnahme von der Orientalischen Congregation in Rom. Der Cand.med. Kowaltschuk möchte als Missionsarzt auch den Interessen der katholischen Kirche dienen. Die Verhandlungen mit dem katholischen Missionsärztlichen Institut zu Würzburg sind noch nicht abgeschlossen.
Unterzeichneter hatte Gelegenheit die 5 russischen Priesteramtskandidaten im Griechischen Kolleg zu Rom und die drei Theologiekandidaten im Collegium Canisianum zu Innsbruck zu besuchen. Brieflicher Verkehr wird mit ihnen unterhalten.
4/. Semaine pour l'Union des Eglises. (vom 21. bis 25. September 1925 in Brüssel.
An den Veranstaltungen dieser Woche nahm Unterzeichneter teil, besonders auch weil Seine Excellenz Kardinal Mercier, dem Unterzeichneter als Feldgeistlicher durch Besprechungen während des Krieges bekannt war, eine persönliche Einladung gesandt hatte.
Höchst wertvoll waren die persönlichen Beziehungen, die mit den einzelnen Rednern wie auch mit den russischen Studenten und Theologen aus Löwen und Lille angeknüpft wurden. Brieflicher Verkehr wird bis jetzt unterhalten.
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5/. Feier des 16. Centenariums des
Konzils von Nicäa in Rom.Unterzeichneter hatte das hohe Glück den Veranstaltungen der verschiedenen orientalischen Riten beizuwohnen, die vom 8. bis zum 14. November 1925 in Rom in der Lateran-Basilika täglich stattfanden, sowie auch an dem feierlichen Amt in St.-Peter am Montag den 15. November, das unter Assistenz und Teilnahme des Hl. Vaters im Griechischen Ritus gefeiert wurde.
Sonntag, den 7. November wurde dem Unterzeichneten der Gnadenerweis einer Privataudienz beim Hl. Vater zu teil. Für diese Audienz, die 3/4 Stunde dauerte, hatte Unterzeichneter auf besonderen Wunsch von Mgr. Pizzardo vorher ein Exposé niedergeschrieben über die "Erfahrungen und Beobachtungen gelegentlich der Ausübung der Russenfürsorge in Berlin."
Seine Eminenz Kardinal Sincero beehrten den Unterzeichneten zwei mal mit einer Audienz in der über die Russenfürsorge gesprochen wurde.
Bei Mgr. Margotti, dem Sekretär der Orientalischen Congregation fanden ebenfalls mehrere Besprechungen statt.
P. d'Herbigny S.J., Präsident des Päpstlichen Orientalischen Institutes, der schon früher dem Unterzeichneten grösstes Entgegenkommen gezeigt hatte, war gerade zurückgekehrt von der Teilnahme an einer Kirchenversammlung zu Moskau. Überaus wertvoll waren die Anregungen und Pläne, die Unterzeichneter bei öfteren längeren Besuchen von Herrn Pater d'Herbigny erhalten hatte.
6/. Am 6. Februar 1926 besuchten General Isaak Wolkoff, Vorsitzender der russischen Sekte der Starowery (oder Staroobriadzy), und Herr Baron von Ritterholm, protestantisch, Leiter der russischen Abteilung des Deutschen Roten Kreuzes (früher Petersburg) den Unterzeichneten in der ausgesprochenen Absicht, über die Union dieser alten russischen Sekte mit der katholischen Kirche zu sprechen.
An der Spitze dieser Sekte steht ein Bischof, z.Zt. in Paris wohnhaft. Die Sekte zählt ca 20 Millionen Mitglieder, ein Teil derselben wohnt in Paris, Berlin, Serbien, Bulgarien und Bessarabien. Herr Wolkoff ist als Vertreter der Berliner Gruppe für die in 2 Monaten in Paris stattfindende Kirchenversammlung dieser Sekte gewählt worden. Es scheint wie bei den genannten 2 Herren, so auch in der ganzen Emigrantengruppe ein starker Wille für die Vereinigung mit Rom zu bestehen, hauptsächlich freilich aus dem Gefühl der augenblicklichen Ohnmacht hervorgehend. Die Besprechungen mit den beiden Herren werden fortgesetzt.
7/. Die im 2. Bericht mitgeteilten Beziehungen zu den russischen Organisationen Berlins werden weiter gepflegt. Die Organisationen zu Gunsten der russischen Kinder (Excellenz von Davidoff, Baronin von der Pahlen) und der Studenten (Universitätsprofessor Jassinsky und Frau von Tubental) haben des öfteren Besprechungen mit dem Unterzeichneten. Der Verband russischer Justizbeamten (Professor von Ssawitsch), der Verband russischer Kriegsbeschädigten, der russische Literarische Klub laden den Unterzeichneten öfters zu ihren Veranstaltungen ein. Bei allen diesen Gelegenheiten werden mit Vorliebe religiöse Fragen vorgelegt. Niederdrückend ist freilich die Unwissenheit dieser zur Elite Russlands gehörenden Kreise in religiöser und besonders in spe-
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katholischen Dingen.8/. Am 27. Dezember 1925 fand im Gemeindesaal der St. Ludwig-Gemeinde (Berlin – Wilmersdorf) eine russische Weihnachtsfeier statt. Über den Verlauf dieser Veranstaltung brachte "Germania" folgende Notiz:
* Russisches Weihnachtsfest. Ein feinsinniges Programm lag der Weihnachtsveranstaltung zugrunde, die am Dienstagabend (29. Dezember) im Gemeindesaal St. Ludwig von fast dreihundert zu allermeist orthodoxen Russen besucht war. Herzlichen Willkommensgruß entbot der mit der russischen Fürsorge betraute Prof. Dr. L. Berg und wünschte, daß das Weihnachtsfest als Fest der Liebe und des Erbarmens auch den körperlich und seelisch notleidenden russischen Emigranten eine Kraftquelle für die Zeit der Prüfung werde. Er konnte nicht nur die Spitzen aller russischen Hilfsorganisationen begrüßen, sondern auch hohe Vertreter der deutschen Behörden und der katholischen Geistlichkeit, vor allem den Pfarrherrn von St. Ludwig, Herrn Rat und Erzpriester Milz, Seine Exzellenz Dr. Keßler, Bischof von Tiraspol (Südrußland), und Msgr. Centoz, den Vertreter des zur Zeit von Berlin abwesenden Apostolischen Nuntius Pacelli, des seit Jahren für die russischen Emigranten hochverdienten Wohltäters. Dem religiösen Charakter des Abends entsprachen die künstlerisch vollendeten fünf lebenden Bilder aus der Jugendgeschichte des Heilandes, die Prof. Perathoner stellte. Die nationale Psyche der Russen fand einen zarten, vertieften Ausdruck in der seelenvollen Deklamation der "Klage der Fürstin Jaroslawna" und in den einschmeichelnd, mild und feierlich vorgetragenen Darbietungen des gemischten russischen Chores unter Leitung des Herrn Popoff. Alle geistigen Fäden wurden in der russischen Ansprache des hochwürdigen Herrn Bischofs Dr. Keßler zu einem kraftvollen Bilde verarbeitet. Die geist- und gemütvollen Stunden des Zusammenseins bei Tee und Gebäck – u. a. hatte der frühere russische katholische Pfarrer Maier aus dem Kloster zu Marienfelde für Liebesgaben gesorgt – waren wie lichter, wärmender Sonnenstrahl für die in kalter, dunkler Emigrantennot lebenden Russen. Begeistert sprachen zwei Herren im Namen ihrer russischen Landsleute Worte herzlichen und aufrichtigen Dankes. Heimatlos, vom Schicksal verfolgt in dieser Zeit schwerer Not und der damit verknüpften Demütigung und Erniedrigung, fühlten sie das Sonnige dieser gemütvollen Feier. Für sie hatte, wie der eine Redner ausführte, der heutige Abend auch eine große historische Bedeutung: "findet doch hier zuerst eine Uebersicht der Beziehungen statt, welche auf Grund einer Annäherung zweier religiösen Weltanschauungen, der orthodoxen und der katholischen, vor etwa zwei Jahren angeknüpft worden waren und welche einerseits von uns, den russischen Flüchtlingen, und andererseits von den Würdenträgern der katholischen Kirche hier vertreten sind. Noch vor kurzer Zeit unbestimmt und von Nebel umhüllt, formen sich diese Beziehungen mehr und mehr und erhalten den Charakter eines festen geistigen Bundes, dem nicht ein geschriebenes Papier, sondern das Gefühl der gegenseitigen Liebe und des Vertrauens zugrunde liegt. Wir sind inzwischen zum Verständnis der katholischen Glaubenslehre und ihrer Toleranz gelangt. Wir haben die große Bedeutung für die Kultur ihrer Erziehungskraft und Güte ihres Oberhauptes, des römischen Papstes, der für seine über 300 Millionen gläubige Katholiken zu sorgen hat, und dessen Aufmerksamkeit dennoch auch uns zugewendet wird, erkennen und schätzen können. Was uns aber ganz besonders rührt, das ist die stete Beobachtung, daß die katholische Geistlichkeit unsere nationalen Gefühle stets beachtet und daß sie durch die Erziehung unserer Kinder die russische Kultur zu erhalten und zu fördern sucht. Hierin liegt das Pfand für die künftige Genesung und Rettung Rußlands." So wurde denn die gestrige Feier zu einem religiösen Erlebnisse, zugleich auch zu einer kulturellen Tat, die letzten Endes der deutschen und russischen Kultur zugute kommt.6
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9/. Unionsfreundlichen Bestrebungensoll auch die Veranstaltung eines Konzertes des russischen gemischten Chores am 14. März 1926 im ehemaligen Herrenhaus (Preussischer Landtag) dienen. Unser seit 1. Jahr bestehende Kirchenchor wird gemeinschaftlich mit einem anderen russischen Chor, dessen Mitglieder zum Teil Mitglieder des orthodoxen Kirchenchores sind, das Konzert veranstalten unter Leitung des Dr. jur. Peter Andrejewsky, ehem. Professor an Musikschulen zu Moskau und Warschau. Selbst der orthodoxe Bischof Tychon hat diese Veranstaltung gutgeheissen und um Karten für sich und die anderen orthodoxen Geistlichen gebeten. Das Programm der Veranstaltung enthält im 1. Teil russische Passionslieder, im 2. und 3. Teil nationale Volkslieder. Insgesamt 50 Mitwirkende, davon 5 katholisch, die übrigen orthodox bezw. protestantisch.
10/. Catholica Unio, Glaubenswerk für die Vereinigung der orientalischen Christen mit Rom.
Die Verhandlungen über die Einführung der Catholica Unio in Deutschland sind noch nicht abgeschlossen, da der Entscheid der höheren kirchlichen Instanz obliegt.
11/. Beziehungen zum orthodoxen Bischof Tychon in Berlin.
Der hiesige orthodoxe Bischof Tychon (50 Jahre alt) zeigte von Anfang an eine grosse Abneigung gegen die katholische Caritas und verurteilte sie auch öffentlich grundsätzlich, da sie ein Mittel der katholischen Propaganda und Proselytenmacherei sei. Bei den verschiedensten Gelegenheiten, so noch am Sonntag, den 10. Januar während des Gottesdienstes in der Kirche, warnte er insbesondere vor der Unterbringung orthodoxer Kinder in katholischen Klöstern und Pensionaten.
Trotzdem Unterzeichneter bereits beim ersten Zusammentreffen mit dem Bischof Tychon die Stellung der katholischen Caritas, besonders auch das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes klargestellt hatte (erster Bericht vom 15.2.1925. IV. 5. Absatz 6) trug der Bischof immer wieder vor, die Jesuiten haben für das bevorstehende Konzil ein Dogma von der persönlichen Heiligkeit und Unsündbarkeit des Papstes vorbereitet. Sonntag, den 17. Januar 1926 trug Bischof Tychon falsche Lehren über den katholischen Ablass vor und behauptete u.a. die Kirche verkaufe für Geld den Ablass zukünftiger Sünden.
Durch diese Art des Auftretens wurde immer mehr eine scharfe Atmosphäre gegen wohlwollende Unionsgedanken verbreitet und es bestätigte sich auch für Berlin das Urteil, das aus Paris dem Unterzeichneten von kompetenter Seite berichtet wurde: "Der Fanatismus der Orthodoxen ist hier sehr gross, die Arbeit ist nicht leicht."
Es wurde die Gelegenheit veranlasst zu einer Aussprache zwischen dem orthodoxen Bischof Tychon und dem Unterzeichneten. Die erste Besprechung fand in der Wohnung des Bischofs (Nachodstrasse 18), am Sonnabend, den 16. Januar statt. Anwesend waren Universitätsprofessor Owtschinnikoff aus Kasan und Frau Freymann. Die zweite Besprechung war beim Dr. iur. et med. Ussoltzew aus Moskau, der auch noch Frau General Bulgak beiwohnte. Die Besprechungen dauerten jedesmal mehrere Stunden, die Art der Unterhaltung blieb vornehm, zur späten Stunde fuhren sogar Bischof Tychon und Unterzeichneter in demselben Auto nach Hause.
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Der Bischof wünschte gelegentlich
der Zusammenkunft von dem Unterzeichneten materielle Unterstützung für die russischen
Emigranten, besonders für die russische Jugend. Unterzeichneter betonte, die Voraussetzung
für jedwede Art der Unterstützung sei doch wohl ein gegenseitiges Vertrauen zur Person und
Sache, vorerst müssten daher wohl die bestehenden Schwierigkeiten bezw. Missverständnisse
besprochen werden. Der Bischof selbst hatte eine Reihe von Punkten, wo er glaubte Anlass zu
Ausstellungen und Misstrauen zu haben aufgezeichnet. Zum Schluss der Besprechungen wurde auf
Wunsch des Unterzeichneten schriftlich niedergelegt, dass der Bischof sich geirrt bezw. auf
Grund falscher Informationen geurteilt habe, und dass er weder dem Unterzeichneten, noch
auch der katholischen Organisation irgend eine Inkorrektheit vorwerfen könne. Gegenüber den
dogmatischen Auseinandersetzungen über Primat und Ablass hielt der Bischof an seinen
Auffassungen fest, da er diese Auffassungen in russischen Blättern gefunden haben wollte.
Leider hat der Bischof dieses Material trotz seines Versprechens dem Unterzeichneten noch
nicht zugesandt.Es mag als ein Zeichen von gutem Willen anzusehen sein, wenn der Bischof am 14. Februar im Gottesdienst erklärt hatte:
"Ich habe die Erlaubnis bekommen, den in katholischen Klöstern und Pensionaten untergebrachten orthodoxen Kindern geistliche Bücher zu schicken. Den Kindern ist es erlaubt, den orthodoxen Glauben zu befolgen. Es ist nicht eine Propaganda, sondern eine werktätige Hilfe seitens der katholischen Kirche. Ich bitte darum die Eltern, mir die Adressen der betreffenden Kinder anzugeben.
Die Einrichtung einer Nähschule heisse ich auch als eine caritative Einrichtung sehr willkommen und segne sie."
Ebenso erklärte der Bischof seine Freude über den vom Unterzeichneten in Aussicht genommenen Konzert im ehemaligen Herrenhause und bat um Karten für sich und die beiden anderen hier wirkenden orthodoxen Geistlichen Gregor Prosoroff und Paul Sawitzky. Diese beiden Geistlichen machen einen guten priesterlichen Eindruck.
12/. Ukrainer.
Das Verhältnis der in Berlin lebenden Ukrainern zu den Russen ist infolge der politischen Spannung so scharf, dass von einer gemeinsamen religiösen Betreuung der Russen und Ukrainer zur Zeit keine Rede sein kann. Beispielsweise wollte ein junger Mediziner bei unserem letzten Weihnachtsfest an den Chorgesängen nicht teilnehmen, da er zwei Ukrainer im Saale bemerkt hatte. Er erklärte, durch eine Mitarbeit an dem heutigen russischen Abend würde er seinen Ausschluss aus den ukrainischen Kreisen veranlassen. Es ist deshalb in die Wege geleitet, für die Osterzeit einen unierten ukrainischen Priester aus Prag nach Berlin zu bitten, damit dieser Gelegenheit zum Gottesdienst im unierten Ritus und zur Beicht in der ukrainischen Sprache geben könnte.
In Deutschland wohnen nach Angabe der Ukrainer mehrere Tausende unierter Ukrainer; in Berlin wohnen jetzt ca 300 Unierte und Orthodoxe und 50 katholische Studenten. Die Zahlen verschieben sich wegen der starken Abwanderung der Ukrainer.
13/. Missionarischer Ausbau der ausländischen Studentenfürsorge.
Das Preussische Statistische Landesamt teilt mit, dass an den Preussischen Universitäten und Hochschulen von den 31.386 Studenten
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2.113 Ausländer sind. Hierunter sind nur Immatriculierte
zu verstehen während die "Hörer", die unter den ausländischen Studenten einen erheblichen
Prozentsatz ausmachen nicht einbegriffen sind. An erster Stelle unter den Ausländern stehen
die Bulgaren mit 246 und die Russen mit 191 Vertretern. Von den übrigen Ausländern ist die
hohe Zahl der Norweger (108) und der Chinesen (101) bemerkenswert. An der Berliner
Universität ist etwa jeder 7 Student ein Ausländer.An den Technischen Hochschulen waren im Sommersemester 1925 7.784 Studenten immatriculiert, davon 1.121 Ausländer. Die höchsten Zahlen stellen Bulgarien mit 148, Russland mit 150, Rumänien mit 134. Von den Handelshochschulen wiesen die Berliner 168 Ausländer, die landwirtschaftliche Hochschule 82 Ausländer und die tierärztliche Hochschule 22 Ausländer auf.
Unterzeichneter ist gelegentlich des Besuches der russischen Studenten auch mit anderen Ausländern, die vielfach unter sich guten Connex haben, sehr oft zusammengekommen und erhält öftere Einladungen von den bulgarischen und türkischen Studenten. Ab und zu finden auch Zusammenkünfte mit japanischen und chinesischen Studenten statt.
Fast jedesmal kann man die schmerzliche Beobachtung machen, dass diese nicht katholischen Ausländer selten etwas Näheres von der katholischen Kirche wissen, da sie in einer liberal-religiösen protestantischen Aera aufwachsen, zu nicht geringem Teile auch Anschluss an die organisierten "Kommunistischen Studentengruppen der Universität, der Technischen Hochschule und der Handelshochschule Berlins" gefunden haben.
Unterzeichneter würde seine Hauptpflicht -- Betreuung der orthodoxen Kreise, inkl. Studenten -- vernachlässigen, wenn er sich eingehender mit dieser reizvollen missionarischen Arbeit befassen würde.
Im Vergleich zu den gewaltigen Schwierigkeiten der Missionare in den Heidenländern ist diese Missionsarbeit in Berlin schon dadurch erleichtert, dass diese Studenten die deutsche Sprache beherrschen und wie es scheint, keine unüberwindliche Vorurteile gegen den Umgang mit katholischen Priestern haben. Somit wäre eine Annäherung an diese Kreise leicht gegeben.
Wenn man bedenkt, dass diese zur geistigen Elite der einzelnen Nationen gehörenden Studenten einmal mehr oder weniger die Führung in den einzelnen Ländern in die Hand nehmen werden, so dürfte die Anstellung eines eigenen, missionarisch interessierten Seelsorgers dem grossen Missionswerke der katholischen Kirche ausserordentlich wertvolle Vorarbeit leisten.
Eine solche Anstellung könnte unter relativ billigen Bedingungen erfolgen, da in manchen klösterlichen Anstalten und Krankenhäusern bei freiem Quartier reichlich Zeit für Nebenarbeiten bleibt. So hatte Unterzeichneter freies Quartier im Marienkrankenhause (Lausitzerstr.) und jetzt nach seiner Übersiedelung in das Russen-Zentrum Berlins im Waisenhaus Maria-Schutz in Wilmersdorf.
Die allenthalben eingerichtete Studentenseelsorge befasst sich meist nur mit katholischen Studenten. Vielleicht könnte die obige erweiterte missionarische Aufgabe dieser Einrichtung angegliedert werden. Auf Rat des Generalsekretärs der Missionsuperioren-Conferenz P. Ansgar Sinnigen O.Pr. reicht Unterzeichneter ein entsprechendes Gesuch an die Missionssuperioren-Conferenz ein.
O. A. M. D. G.
Prof. Dr. L. Berg
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Zusatz zu Seite 7.III. Convertiten.
1/. 15 Personen wurden seit dem letzten Bericht in die katholische Kirche aufgenommen. Der Unterricht war sehr individuell. Ein Student der Medizin, Sohn eines orthodoxen Pfarrers, ist seit 8 Monaten mit dem Unterzeichneten über seinen Plan, in die katholische Kirche einzutreten in ständiger Aussprache gewesen. 6 Kinder orthodoxer Eltern wurden mit Zustimmung der Eltern katholisch.
2/. Nach der Conversion werden diese Convertiten in besonderer Weise betreut. Ständiger Verkehr wird dadurch ermöglicht, dass geeignete Literatur, u.a. das Berliner katholische Kirchenblatt allen Convertiten zugesandt wird, dass sie ferner zu allen Vorträgen der katholischen Akademikervereinigung gratis Karten erhalten, dass ihnen durch ein besonderes Entgegenkommen der Borromäus-Bibliotheken Bücher zur Verfügung bis auf 4 Wochen gestellt werden, dass Besuche stattfinden und insbesondere Aussprachen gewünscht werden gelegentlich der Zusammenkünfte in dem neu- eingerichteten russischen Erholungsheim Am Lützow Nr. 9. Die Räume dieses Erholungsheimes dienen in der Woche für die Näh- und andere Handarbeiten der russischen Damen (vegl. II. Nr. 6). Mit der Zeit wird sich in diesen Räumen unauffällig Gelegenheit zu Vorträgen mit spezieller Berücksichtigung der Convertiten schaffen lassen.
3/. Der orthodoxe Priester Dr. Diodor Kolpinsky ist zur katholischen Kirche wieder zurückgekehrt. Er ist ein geborener Russe, convertierte zum katholischen Glauben, studierte in Rom und Innsbruck, war katholischer Priester in Petersburg. Ging dann zur orthodoxen Kirche über, war in Berlin-Tegel als orthodoxer Priester tätig, wurde im Herbst 1925 als orthodoxer Priester nach Wien geschickt und ist jetzt nach mehrtägigen Exerzitien im Collegium Canisianum zu Innsbruck wieder katholisch geworden. Die guten Beziehungen, die Unterzeichneter mit Dr. Kolpinsky damals in Berlin angeknüpft hatte, werden noch unterhalten.
In seinem Brief vom 23. Januar 1926 schreibt Dr. Kolpinsky u.a.: "Ich habe Ihnen früher geschrieben, dass Sie nicht in den russischen Kreisen von meiner Zurückkehr zur Kirche sprechen sollen. Jetzt meine ich, ist das nicht mehr notwendig. Sie werden schon wissen in welchen Fällen und auf welche Weise, Sie davon zu sprechen haben. Und wenn Sie Gelegenheit davon zu sprechen haben werden, können Sie auch sagen, dass ich noch nie in meinem Leben so glücklich und innerlich in Gott ruhig war, wie jetzt. Für den, der einmal die katholische Wahrheit erkannt und später verlassen hat, gibt es keine Möglichkeit des wahren Glaubens ausserhalb der Kirche. Die anderen können einen Glauben – "bonam fidem" – ausserhalb der Kirche, die sie noch nicht kennen gelernt haben, folglich in Wirklichkeit unbewusst katholischen Glauben haben, für mich aber war das unmöglich und ich musste im Abgrunde des Relativismus und des Subjektivismus einen Boden suchen. Ich fand keinen. Die Gnade Gottes hat mich auf einen reellen Boden gestellt und ich fühle in Gott dass es wirklich keine Kraft gibt, die diesen Boden erschüttern könnte."
4/. Eine Reihe von verheirateten Russen hat ständige Aussprachen in religiöser Beziehung mit dem Unterzeichneten, manche wünschen zu convertieren. Eine Conversion ist aber zur Zeit ausgeschlossen infolge der in der orthodoxen Kirche üblichen Ehescheidungspraxis.
1↑Protokollnummer der Kongregation für die Orientalische
Kirche.
2↑Protokollnummer der Kommission Pro Russia.
3↑"des Papstes" hds. eingefügt.
4↑Gesamter Abschnitt hds. von unbekannter Hand
eingefügt.
5↑"III. Convertiten: s. Blatt 14." hds. von
unbekannter Hand hinzugefügt.
6↑Von "*
Russisches Weihnachtsfest" bis "russischen Kultur zugute kommt" Zeitungsausschnitt
geklebt.
Empfohlene Zitierweise
Berg, Ludwig, Dritter Bericht über die Russenfürsorge in Berlin.(15.VIII.25 - 15.II.1926), [Berlin] vom 15. Februar 1926, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 18842, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/18842. Letzter Zugriff am: 23.12.2024.Verlinkende Dokumente
- Derjugin an Redaktion der Zeitung "Vozroždenie", 04.10.192518792Anlage (Schreiben)Erwiderung auf den Artikel des Herrn A. Jablonowsky "Leidenswege. Das Herz Jesu." in der genannten Zeitung vom 3. August 1925. Paris.
- Berg, Ludwig, Denkschrift, [15.02.1926]20310Anlage (Denkschrift)Dritter Bericht über die Russenfürsorge in Berlin.(15.VIII.25 - 15.II.1926)