Dokument-Nr. 10237
Matt, Franz an Pacelli, Eugenio
[München], 30. März 1920
Euerer Exzellenz
beehre ich mich nun im Nachgange zu meinem ergebenen Schreiben vom 18. ds. Mts. die Anträge mitzuteilen, die nach meiner Einschätzung der Verhältnisse von der bayerischen Staatsregierung für den Abschluss eines neuen Konkordates mit dem Hl. Stuhle zu stellen sein werden. Zur Begründung dieser Anträge glaube ich keine sehr weitgehenden Ausführungen anfügen zu müssen. Die lange Geschichte einer engen Verbindung des bayerischen Staates mit der katholischen Kirche in Bayern und namentlich die durch das Konkordat von 1817 geknüpften Beziehungen haben in der Denkweise der bayerischen Katholiken eingewurzelte Vorstellungen hinterlassen, die auch für die Folge noch von Staat und Kirche gegenseitige Rücksichten und Förderungen erwarten. Zwar hat die neue Verfassung des Deutschen Reiches nunmehr der Kirche die Freiheit zur Regelung ihrer Angelegenheiten im Rahmen des allgemeinen Rechtes verbürgt. Diese soll auch durch die beiliegenden Anträge in keiner Weise angetastet werden. Diese Anträge, aus der genauen Kenntnis der Anschauungen des katholischen Volksteiles gewonnen und auf ein reibungsloses, erfolg- und segensreiches Wirken der katholischen Geistlichen in Bayern abzielend, wollen dem Hl. Stuhle nur nahelegen, dem Bayerischen Staate jedes Entgegenkommen zu erweisen, das dem Besitzstande des bayerischen Volkes aus dem bisherigen Konkordat und den auch weiterhin zu übernehmenden Verpflichtungen
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des bayerischen Staates gegenüber der katholischen Kirche
nach meiner Auffassung entsprechen und so die Voraussetzung für eine treue Ergebenheit des
katholischen Volkes an seine Kirche wie zu den wünschenswerten guten Beziehungen zwischen
der Katholischen Kirche und dem bayerischen Staate bilden würde. Im einzelnen beehre ich mich zu den Anträgen folgendes zu bemerken:
Zu Ziffer 1: Ein besonderes Anliegen ist dem bayerischen Volke die Aufrechterhaltung der geistigen Gemeinschaft aller Volksgenossen, die innerhalb der Grenzen des Staates und seiner Souveränität wohnen, mithin auch die Hintanhaltung von Aenderungen und selbst blossen Lockerungen im gewohnten Diözesanverbande, namentlich in den Aussenbezirken des Landes. Ich darf vor Euer Exzellenz besonders betonen, dass dieses Verlangen auch von der Volksvertretung mit Nachdruck gestellt werden wird und deshalb auch für die Regierung bei der jetzigen Neuordnung der Verhältnisse der katholischen Kirche in Bayern in allererste Linie stehen muss.
Wenn ich so die Aufrechterhaltung der Diözesanverbände und der Pfarrsprengelzuteilungen beantrage, so möchte ich damit zugleich anregen, dass auch die Abtrennung besonderer Verwaltungsbezirke einer bayerischen Diözese und die Aufstellung von Administratoren für solche Bezirke vom Hl. Stuhle nicht ohne vorheriges Benehmen mit dem bayerischen Staate verfügt werden möge. Die Aufnahme einer besonderen Vereinbarung darüber in das Konkordat selbst erschiene mir nicht erforderlich, sofern, Euere
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Exzellenz mir auf
andere Weise die Uebereinstimmung Ihrer Auffassung mit jener Auslegung bestätigen wollten.
Zu Ziffer 2: Die Anträge unter Ziffer 2 über gewisse persönliche Eigenschaften der mit der Diözesanverwaltung und der Pfarrseelsorge zu betrauenden Geistlichen gründen sich auf die Erkenntnis und Erfahrung, dass die Hochschätzung und das Vertrauen des Volkes aller Gesellschaftsschichten zu den Geistlichen wesentlich davon abhängt, ob dieser dem eigenen Volke angehört und die bisher bei den einheimischen Geistlichen stets geschätzte Ausbildung erfahren hat, die eine wesentliche Voraussetzung für das Ansehen der Geistlichen und ihre gesellschaftliche und soziale Stellung bildet. Auch wäre es nur unter diesen Voraussetzungen möglich, den Geistlichen noch jene Mitwirkung bei staatlichen Funktionen (im Schulverband, Armenverband, in den Stiftsverwaltungen usw.) offen zu halten, die sie noch – zum Vorteile auch für ihr dienstliches Ansehen – innehaben und die auch ihrem geistlichen Wirken zweifellos zugute kommen.
Der Staatsregierung wird das Recht, dieses Volksinteresse bei ihren Anträgen zum Konkordate wahrzunehmen, umsoweniger bestritten werden können, als der Staat ohnedies die Gewährung des staatlichen Tischtitels und die Aufbesserungen des Einkommens und der Ruhestandsbezüge, die er dem grössten Teile der Geistlichen gewährt, sowie die Präsentationen auf staatliche Patronatspfründen an die gleichen Bedingungen knüpfen könnte. Uebrigens decken sich diese Bedingungen in der Hauptsache auch mit
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den eigenen Anforderungen der
Kirche.Zu Ziffer 3: Mit dem Wegfalle des königlichen Nominationsrechtes zu den erzbischöflichen und bischöflichen Stühlen ist nicht auch das Interesse und der Wunsch des bayerischen Volkes geschwunden, dass bei dem wichtigen Akte der Bischofsernennung auch sein eigenes völkisches Fühlen und Denken eine Vertretung finden möge. Diesen Volkswunsch wird zweifellos auch der bayerische Landtag bei seiner Stellungnahme zum Konkordate nachdrücklich zum Ausdruck bringen.
Ich glaubte daher meinen Antrag unter Ziffer 3 umsomehr stellen zu dürfen, als ich überzeugt bin mit dem dort vorgeschlagenen Verfahren die eigenen Absichten des Hl. Stuhles zu treffen, die eben auch dahin gehen werden, durch Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse und Verhältnisse des Landes dem zu ernennenden Oberhirten jeweils die günstigsten Voraussetzungen für ein erspriessliches Wirken in seinem wichtigen und verantwortungsvollen Amte zu bieten.
Bis zum Konkordate von 1817 bestand in Bayern der gemeinrechtliche Modus der Wahl der Bischöfe durch die Domkapitel. Es liegt daher nach Wegfall des besonderen Ernennungsrechtes des Königs nahe, auf diesen Modus zurückzugreifen, der wohl auch den Wünschen und Erwartungen der Domkapitel selbst und des übrigen Klerus entspricht. Da für die Wahl der Domkapitel immer noch die päpstliche Bestätigung vorbehalten bleibt, können auch die Interessen des Hl. Stuhles bei jenem Verfahren wohl in keiner
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Weise gefährdet
sein.Schon als Konsequenz dieses Wahlrechtes der Domkapitel scheint mir die Verleihung des weiteren Rechtes an diese angezeigt, dass sie ihre eigenen Mitglieder zum Teil selbst berufen dürfen, wie dies auch bisher der Fall war. Diese Befugnis fände noch ganz besonders darin ihre Rechtfertigung, dass die Neuordnung der Verhältnisse zwischen Staat und Kirche, insbesondere die bevorstehende Einschränkung der staatlichen Mitwirkung bei der kirchlichen Vermögensverwaltung, den Domkapiteln eine namhafte Mehrung der Aufgaben und der Arbeitslast bringen wird, zu deren Bewältigung die Domkapitel bestrebt sein würden, jeweils die hierzu tüchtigsten und erprobtesten Mitarbeiter zu gewinnen.
Zu Ziffer 4: Es dürfte nicht zu bestreiten sein und wird auch von der bayerischen Staatsrechtslehre anerkannt, dass der Art. 137 der deutschen Reichsverfassung die Ausübung jener staatlichen Präsentationsrechte nicht hindert, die nicht auf einer Inanspruchnahme durch die Staatsgewalt, sondern auf kirchenrechtlichem Titel beruht. Diese Patronatsrechte sind zum Teile schon in Art. XI Absatz I und II des Konkordats von 1817 anerkannt, zum andern Teile sind sie später durch staatliche Dotationen entstanden. Die bayerische Staatsregierung muss Gewicht darauf legen, diese Patronatsrechte auch fernerhin anerkannt zu sehen.
Zu Ziffer 5: erscheint eine besondere Bemerkung nicht veranlasst.
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Die beiliegenden Vorschläge und meine
obigen Begleitworte stellen, wie meine früheren ergebenen Bemerkungen zu den Vorschlägen
Euerer Exzellenz, zunächst meine persönliche Ansicht dar. Ich habe bisher im Sinne der
getroffenen Verabredung davon abgesehen, das Gesamtministerium, dem nach der bayerischen
Verfassung vorbehaltlich der Genehmigung des Landtages der Abschluss der Staatsverträge
zukommt, mit den Fragen des Konkordats im einzelnen zu befassen. Ich muss hiernach
pflichtgemäss dem Gesamtministerium die Aeusserung weiterer Anträge und Bemerkungen noch
vorenthalten.Für die weitere Behandlung der Sache erschiene es mir förderlich, wenn Euere Exzellenz die Güte haben wollten, einen neuen Entwurf des Konkordats aufzustellen und zunächst nochmals mir persönlich zur vorläufigen Stellungnahme zu übergeben. Nach dem Austausche der dann etwa noch veranlassten Bemerkungen würde ich alsdann den endgültigen Entwurf der Beratung des Ministerrates unterstellen. Ich darf Euere Exzellenz im sehr geneigte Rückäusserung ersuchen, ob dieser Vorschlag Ihre Zustimmung findet.
Mit Vergnügen benütze ich auch diesen Anlass zur Versicherung meiner vorzüglichsten Hochschätzung und Verehrung, mit der ich die Ehre habe zu verbleiben
Euer Exzellenz
ehrerbietigst ergebener
(gez.) Dr. Matt.