Dokument-Nr. 10155
Fehrenbach gegen Erzberger, in: Bayerischer Kurier und Münchener Fremdenblatt, Nr. 223, S. 2, 30. Mai 1921
Der Herr Abg. Erzberger hat am Pfingstmontag in Säckingen und Waldshut gesprochen und dabei schwere Vorwürfe gegen das Kabinett Fehrenbach erhoben. Er hat der bisherigen Regierung nicht nur Führerlosigkeit vorgeworfen und gesagt, daß in den gefahrendrohendsten Zeiten die wichtigsten Minister in Urlaub gewesen seien, sondern er hat als schwerste Anschuldigung auch behauptet, daß die vatikanische Vermittlungsaktion durch ganz unglaubliche Versäumnisse des Kabinetts vereitelt worden sei. Nach anderen Blättermeldungen hat er die Behandlung der vatikanischen Aktion mit jener vom Sommer 1917 verglichen.
Demgegenüber stelle ich folgendes fest: Der Minister des Auswärtigen Dr. Simons war in der Karwoche nach Lugano in Ferien gegangen; sein körperlicher Zustand verlangte ein Ausspannen auf kurze Zeit unbedingt. Während seiner Abwesenheit langte ein Telegramm das deutschen Botschafters beim Vatikan in Berlin ein mit gewissen, durch Vermittlung des Vatikans nach Amerika zu richtenden Vorschlägen. Im Verlaufe von zwei Tagen wurde eine Antwort entworfen, redigiert und durch besonderen Boten nach Lugano gesandt. Der Außenminister hatte wegen der hier bezeichneten Entschädigungssumme auf Grund der Aufnahme des Abbruchs der Londoner Verhandlungen durch das deutsche Publikum Bedenken, die von seinen Beratern in Lugano geteilt wurden, und hielt eine eingehende Beratung durch das Kabinett in Berlin für nötig, wollte aber vorher noch den mit dem schweizerischen Bundespräsidenten in Bern vereinbarten Besuch abstatten, der nicht vor dem 8. April möglich war. Ich selbst war am 2. April auf acht Tage in Urlaub gegangen, da ich die Antwort auf den vatikanischen Vorschlag unterwegs wähnte und der Aufstand in Mitteldeutschland niedergeschlagen war. Am 11. April kehrten Herr Simons und ich nach Berlin zurück.
Am 12. und 13. April [wurde] die Antwort nach Rom vom Gesamtkabinett beschlossen und abgesandt. In der Morgenausgabe der Berliner "Germania" vom 14. April war der wesentliche Inhalt dieser Note mitgeteilt. Es fehlte nur die Angabe der Summe und die Bezeichnung der neutralen Macht. Die übrige Presse erging sich ebenfalls in mehr oder minder bestimmten Indiskretionen. Einige Blätter sollen den Vatikan schon vorher als Vermittler genannt haben. Als die deutsche Antwort durch den deutschen Botschafter dem Kardinalstaatssekretär Gaspari [sic] übergeben wurde, schob dieser sie unwillig beiseite und bemerkte, daß man ihm keine Vermittlung in einer Sache zumuten könne, die schon in allen Zeitungen stehe.
Wer nach dieser Darstellung wegen des Urlaubs einen Stein auf uns werfen will, dem kann ich es nicht wehren. Aber die Parallele mit dem Vorgange im Jahre 1917 ist eine unglaubliche Leistung. Damals handelte es sich um eine absichtlich dilatorische Behandlung, weil man die päpstliche Friedenvermittlung und den Frieden überhaupt nicht wollte, und das Resultat war das Scheitern der Friedenverhandlungen. Hier verzögerte sich die Antwort etwas, aber die Regierung war mit der vatikanischen Aktion durchaus einverstanden, für sie dankbar und beantwortete sie im entgegenkommendsten Sinne. Daß sie scheiterte, dafür trägt die bisherige Regierung keine Verantwortung. Es ist sehr auffallend, daß Herr Erzberger über die Indiskretion der "Germania" nichts bemerkt zu haben scheint. Man hat auch in Berlin in gewissen Kreisen das Scheitern der päpstlichen Vermittlung auf andere Gründe, als auf die Presse-Indiskretionen zurückzuführen gesucht und sich dafür auf Aeußerungen des Münchener Nuntius Pacelli gegenüber einem "hervorragenden süddeutschen Abgeordneten" berufen; der Nuntius hat mir aber in bestimmtester Form erklärt, daß daran kein wahres Wort sei und daß die Ursache des vatikanischen Versagens nur die Presse–Indiskretionen seien. So unangenehm das sowohl für die deutsche Regierung als auch für den Vatikan war - an dem schließlichen Resultat hat sich kaum etwas geändert. Es ist nicht anzunehmen, daß die päpstliche Vermittlung ein wesentlich günstigeres Resultat in Washington erzielt hätte, als die direkte Anrufung der Reichsregierung an das Kabinett in Washington. Nur die Form der Ablehnung hätte vielleicht günstiger ausfallen können.
Welchen Eindruck in weitesten Kreisen die Parallelisierung der Vorgänge im April 1921 mit denen des Sommers 1917 hervorrufen kann und vielleicht hervorrufen soll, ergibt sich aus der Scheidemannschen Schrift "Papst, Kaiser und Sozialdemokrat". Herr Erzberger hat viel unter ungerechtfertigten Anschuldigungen zu leiden gehabt. Man dürfte deshalb wohl erwarten, daß er selbst von entstellenden und täuschenden Ausführungen sich fernhalten würde. Das Gegenteil haben seine Reden im badischen Oberlande bewiesen.