Dokument-Nr. 11488

N.N.: Mit welchen Schwierigkeiten müssen die deutschen Auslandskorrespondenten in Russland rechnen?, 19. September 1928

Charakteristisch für die Arbeit des Journalisten und des Auslandskorrespondenten im B<b>esonderen1 in Moskau ist die Tatsache, dass man dort nicht über das Mass an Freiheit und Unabhängigkeit verfügt wie anderswo. Zunächst steht jeder Ausländer in Moskau unter ständiger, persönlicher Bespitzelung. Man bekommt die meisten Briefe erst, nachdem sie vorher geöffnet und gelesen sind. Aus diesem Grunde sollte jede Mitteilung, die nicht absolut allgemeinen Charakters ist, auf dem Wege des Kuriers zugeschickt werden. Die Briefe werden zum Teil photographiert und auch übersetzt. Ein Journalist fand in seinem Briefumschlag die russische Übersetzung, die irrtümlich hineingesteckt worden war. Diese Zensur wird offiziell abgestritten, sie besteht aber zweifellos.
Neben dieser nichtoffiziellen Briefzensur besteht auch die offizielle Telegrammzensur. Es geht kein Presse-Telegramm fort, das nicht die Unterschrift des Zensors trägt. Darin liegt natürlich eine grosse Verzögerung aller Nachrichten, die man durchschnittlich auf 5-6 Stunden veranschlagen kann. Wichtige Telegramme, wie z. B. die im Donez-Prozess muss man selbst zum Zensor bringen, womit natürlich viel Zeit verloren geht. Die Zensoren sind Angestellte des Volkskommissariats des Äusseren. Das Zusammenarbeiten mit den Zensoren vollzieht sich persönlich in leidlichen Formen. Der Tageszensor hat einen gewissen Mutterwitz;
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der Nachtzensor ist allerdings etwas ängstlicher, sodass die Journalisten es zuweilen vorziehen, Telegramme bis zur Tageszensur liegen zu lassen.
Beruflich ist es daher nicht ganz gleichgültig, wie weit es möglich ist, die Zensoren zu beeinflussen. Ein Teil der Journalisten steht auf dem Standpunkt, dass man eine gewisse Bestechung der Zensoren durchführen sollte, um eine grössere Bewegungsfreiheit zu erhalten. Das wird damit gemacht, dass vom Urlaub zurückkehrende Herren etwa Anzüge mitbrachten; oder deutsche Zigarren, und ähnliche Dinge. Einer der Journalisten, der das besonders intensiv macht und dem von seinem Verlage zu diesem Zweck nicht unerhebliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, behauptet, dass ihm das ausserordentlich nützlich ist. Gerade der Donez-Prozess hat <aber>2 gezeigt, wie derartige Dinge schliesslich aufgedeckt werden. Die Zensoren sind zudem abhängig von den Anweisungen höherer Stellen. Deshalb wird man im allgemeinen auf diese Dinge verzichten können.
Nicht verzichten aber kann man auf die Pflege einer gewissen Geselligkeit, durch die man etwas "erfährt". Wie die Dinge in Russland liegen (es gibt in Moskau kein anständiges Kaffeehaus und nur ein Hotel-Restaurant, in dem man sich trifft), muss man den Verkehr in der eigenen Wohnung pflegen. Die Möglichkeit, viel zu erfahren, hängt davon ab, wieviel Menschen man bei sich sehen und wie man diese Leute bewirten kann, um sie gesprächig zu machen. Es ist also für den Auslandskorrespondenten in Moskau ein geeigneter Verkehr nicht nur eine Angelegenheit des gesellschaftlichen Prestiges, sondern absolut eine Frage der Informationsmöglichkeiten. So hat z. B. Herr Scheffer vom "Berliner Tageblatt" die Möglichkeit, einen ausserordentlich umfangreichen gesellschaftlichen Verkehr zu pflegen, wobei ihm vielmehr Informationsquellen
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offen stehen, als jedem Korrespondenten, der mit beschränkten Mitteln arbeiten muss.
Nur nach russischen Zeitungen zu arbeiten ist unmöglich, weil die russische Presse viel monotoner ist, als die anderer Länder, wo man die Möglichkeit hat, sich aus den Zeitungen der verschiedenen Richtungen zu informieren. Es ist zu bedenken, dass die russischen Zeitungen alle nach den gleichen Direktiven und mit den gleichen Schlagworten arbeiten. Die Zeitungen geben somit nur ein einseitiges Bild über die russischen Verhältnisse. Die anderen Möglichkeiten der "Information" sind äusserst beschränkt, weil man in Moskau nicht mit Russen verkehren kann, wie man z. B. in Paris mit Franzosen verkehrt. Dies, weil jeder Russe, der mit Ausländern verkehrt, sofort überwacht wird; er macht sich verdächtig! Informationen kann man bekommen von Leuten, mit denen man beruflich zu tun hat, z. B. von Beamten, mit denen man unter irgend einem Vorwand verkehren kann. Es gehört Instinkt dazu, um zu erfassen, welche Leute in den Ämtern nicht Kommunisten, sondern Vertreter einer anderen Richtung sind. Informationen aus Nichtkommunistenlagern zu erhalten, ist ausserordentlich schwer. Es gibt nur noch einen Weg, das ist der Weg über die Frauen, weil die politische Polizei den Verkehr für Ausländer in Russland mit russischen Frauen weniger beargwöhnt als den mit russischen Männern. Es gibt dabei Methoden, die wohl an Spionage erinnern. Der ganze Dienst ist aus allen diesen Gründen ausserordentlich schwer und jede gute Information ist eine besondere Arbeitsleistung. - Für Briefnachrichten besteht die Zensur nicht. Es besteht also die Möglichkeit, durch Briefe Dinge zu geben, die telegraphisch unmöglich sind. Die russische Regierung steht natürlich auf dem Standpunkt, dass das, was telegraphisch verboten ist, auch brief-
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lich nicht gegeben werden darf; tut man es trotzdem, so sieht die Regierung das als eine Illoyalität an. Sie hält sich, wenn es herauskommt, für berechtigt, den Korrespondenten deswegen auszuweisen.
Eine andere Informationsquelle sind die diplomatischen Vertretungen. Da für sie der Verkehr mit den Einheimischen noch schwieriger ist, als für die Journalisten, sind diese aber manchmal erschrecklich ununterrichtet! Gerade die Botschaften und Gesandtschaften sind meist die Quelle von unglaublichen Nachrichten. Das richtet sich nicht3 weniger gegen die Deutsche Botschaft als gegen einige andere Botschaften, die Entstehungsherde von "Tartarennachrichten" sind.
Die Nachrichten, die auf dem Wege über Riga nach Europa kommen, haben scheinbar ihren Ursprung besonders stark in Moskauer Diplomatenkreisen. Vor den Meldungen der Hugenbergschen Telegraphenunion (T. U.) aus Riga ist dringend zu warnen. Diese Nachrichten werden in Riga kombiniert, um damit die Moskauer Korrespondenten schlagen zu können. Was den W. T. B. - (Wolf<f>4-Büro) Dienst betrifft, so hat dieser bei einigen Nachrichten einen großen Vorsprung gezeigt, weil er nicht durch die Zensuren geht. Er ist aber leider ausserordentlich farblos. Sehr gut ist der Hugenbergsche Ostexpress-Dienst, obwohl dieser zum grossen Teil nicht in Moskau, sondern in Berlin gemacht wird. Er beruht auf guter Durcharbeitung russischen Zeitungsmaterials; auch der russischen Provinzpresse.
Der Moskauer Dienst der deutschen Journalisten hat sich im wesentlichen auf die grosse Politik beschränkt. Es treffen sich regelmässig 9 deutsche Journalisten beim Zensor. Zwischen ihnen hat sich eine lächerliche Rivalität herausgebildet. Es ist unsinnig
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so viel zu telephonieren, wie dies z. B. der Vertreter des "Berliner Tageblattes" tut. Vernachlässigt wurde von allen die kulturelle Berichterstattung.
Was das Zusammenarbeiten mit der Deutschen Botschaft betrifft, so muss gesagt werden, dass es ausserordentlich wenig ist, was man von dort bekommt; im Gegensatz zu den Botschaften anderer Länder, die in informatorischer Beziehung eine Rolle spielen. Während des Donez-Prozesses lag die Situation so, das nicht die Deutsche Botschaft es war, die Direktiven gab, sondern dass die Korrespondenten es waren, die die Deutsche Botschaft zur Aktivität trieben!
Unter den Moskauer Journalisten nimmt Herr Scheffer vom "Berliner Tageblatt" immer noch eine Ausnahmestellung ein, gegen die es schwer ist aufzukommen. Er ist 6 Jahre in Russland, steht der Deutschen Botschaft sehr nahe, die ihm Einblick in Berichte von Vertrauensmännern gewährt, die den anderen Korrespondenten nicht zugänglich sind. Etwas zurückgegangen ist seine Stellung bei den Russen nach dem Ausscheiden der "Opposition" aus der Regierung. Scheffer stand sehr stark unter dem Einfluss von Radek, der ihn persönlich informierte und auch gelegentlich als Sprachrohr Trotzki-Radek'scher Ideen gebrauchte. Seit der Verbannung der Herren Trotzki und Radek ist Scheffer in wachsendem Masse unter den Einfluss seiner aus der früheren russischen Gesellschaft stammenden Frau und deren Freundeskreis gekommen und dadurch gegenüber den Sowjets zu kritisch geworden.
Unter den deutschen Zeitungen hat das "Berliner Tageblatt" in Russland die grösste Verbreitung. In allen Kiosken wird das "Berliner Tageblatt" ausgehängt; wenn es einen Artikel über Russland hat, wird dieser rot angestrichen.
11r, links am oberen Seitenrand hds. von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser notiert: "[zwei Wörter unlesbar]".
1Hds. von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, gestrichen und eingefügt.
2Hds. von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, eingefügt.
3Hds. von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, gestrichen.
4Hds. von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, eingefügt.
Empfohlene Zitierweise
N.N., Mit welchen Schwierigkeiten müssen die deutschen Auslandskorrespondenten in Russland rechnen? vom 19. September 1928, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 11488, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/11488. Letzter Zugriff am: 28.11.2024.
Online seit 20.01.2020.