Dokument-Nr. 11608

Die Arbeitsmethode des russischen Atheismus (Von unserem Vertreter), in: Germania, Nr. 240, 24. Mai 1928
Kn. Moskau, 21. April.
Das erste Jahrzehnt der Sowjetherrschaft in Rußland hat dem Leninismus nicht den vollen Erfolg gebracht. Denn dazu gehört auch die vollständige geistige, religiöse Umwälzung, die Lenin stets als einen integrierenden Bestandteil des Marxismus angegeben hat. Lenins Forderung nach Beseitigung der Religion als des "Mittels zur Knechtung und zur Ausbeutung" des Menschen ist nicht so rasch durchgeführt worden wie seine Forderung nach Sozialisierung des ganzen wirtschaftlichen Lebens. Eher ist es Lenin gelungen, dem russischen Volke seinen gewohten [sic] Wodka vorzuenthalten oder zu entwöhnen, als es von dem geistigen Fusel "zu befreien, in dem die Knechte des Kapitals ihr menschliches Bild untergehen lassen", wie er die Funktion der Religion vergleichsweise näher kennzeichnen möchte. Und er bedauert es in einem Briefe an Maxim Gorki so sehr, daß selbst die freiesten Länder nicht mit der Religion fertig geworden sind.
Was aber das erste Jahrzehnt nicht erreicht hat, soll das zweite Jahrzehnt wenigstens vollbringen. Die atheistische Kampforganisation, die sich S. B. (Sowjet Besboschnikow, d. i. "Rat der Atheisten["]) nennt, hat sich in eine straffere Organisation umgeschaffen, wie sich ein Aktienverlag des Besboschnik eine rührige Pressestelle und Publikationsgelegenheit gegründet, und sie ist jetzt entschlossen, nach mancher Enttäuschung, die sie erlitten hat, die Arbeit wieder neu aufzunehmen und die erlittenen Schlappen wieder auszumerzen. Die zehnjährige eigene Erfahrung, die Beobachtung der Methoden der Vorkämpfer für den Gottesglauben, die Fühlungnahme mit dem internationalen Freidenkerbund, alles das soll neue Anregung für den Kampf geben.
In einem großen "atheistischen Museum"in Leningrad, dem ersten dieser Art, hat man jetzt alles Material gegen Gott zusammengetragen. In diesem Museum geht das Volk aus und ein Tag für Tag, oft 500 Menschen am Tage; in einer wundersamen Zusammenstellung aller Gottheiten (bis auf Mussolini) und aller religiösen Gebräuche aller Zeiten und Völker wird versucht, die religiöse Gesinnung zu erschüttern und dem Volke seinen bisherigen Glauben an Gott, göttliche Bücher und hl. Bilder völlig zu verleiden. Durch Vorführung von Greuelbildern und Marterwerkzeugen der Inquisition soll ihnen ein Gruseln vor der Religion beigebracht werden. Beim Besuche ist dem Volke reichste Gelegenheit zu beliebigen Fragen geboten, wie sie meistens auch schon (wohl von eigens dazu bestellten Besuchern des Museums) gestellt werden. Die "Stimme Gottes" wird dem Besucher dargestellt durch allerhand mystische Geräusche und durch Glockengeklingel und Geläute.
Es ist ersichtlich, daß durch diese Methode mehr das arbeitende und bedienstete Volk erreicht wird als das Landvolk, das solchen Kulturzentren sich noch fernhält. Für das Land aber hat der Atheismus seine eigene Methode ausgedacht. Man hat schon längst die Wahrnehmung gemacht, daß dem Landvolke der Glauben schwerer zu verleiden ist als dem Städter. Auf dem Lande, so behauptet man, sitzt die ganze Stärke der religiösen Reaktion, dort ist noch der Einfluss der Kirche und der Priester am unberührtesten geblieben, dort haben bisher die Methoden des Atheismus versagt. Darum die erneute Forderung nach Sozialisierung des Dorfes durch vermehrten Eintritt von Armen und Unbemittelten in den Dorfsojus, d. h. den Dorfrat, in dem bisher die reichen, begüterten Bauern (Kulaken) noch eine ziemlich ausschlaggebende Rolle spielen. Es soll aber vermieden werden, dem Volke direkt von der Religion zu sprechen, vielmehr will man durch naturwissenschaftliches Denken und durch materialistischen Geist dem Volke den Gottesglauben allmählich und schmerzlos nehmen. Daneben wird aber auch die Gründung von Zellen der Atheisten (d. h. kleiner Gruppen zur Agitation), sowie massenhafte Organisation aller Freidenker auf dem Lande und im Dorfe für notwendig befunden. So hofft man mit der Zeit ganze atheistische Dörfer schaffen zu können.
Wie dem Dorfe, so glaubt man jetzt auch der Frauenwelt mehr Aufmerksamkeit schenken zu müssen. Die Frau ist ja von Haus aus religiöser als der Mann und darum hält sie auch zäher an der Religion fest. Daher soll der Frau gezeigt werden, welche Rolle sie im Christentum und welche sie im Sozialismus spielt. Hier frei und unabhängig und gleichberechtigt, dort zur Sklavin des Mannes erniedrigt, ausgebeutet und dem Willen des Mannes unterworfen, alles dies dank der christlichen Lehre. Die Frau auf dem Lande soll auch durch das neue sowjetistische.
Der Artikel wird auf der Rückseite fortgesetzt, ist jedoch nicht lesbar, da der Zeitungsauschnitt über die Archivierung aufgeklebt wurde.
Empfohlene Zitierweise
Anlage vom 24. Mai 1928, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 11608, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/11608. Letzter Zugriff am: 27.12.2024.
Online seit 20.01.2020.