Dokument-Nr. 12300

[Vertreter der preußischen Diözesen]: Gesetz ue ber die Verwaltung des katholischen Kirchen - V erm oe gens, vor dem 30. April 1923

§ 1.
Die Vermoegensangelegenheiten der Kirchengemeinden werden durch Verwaltungskoerper besorgt, und zwar in Pfarrgemeinden ueber 1.500 Seelen durch den Kirchenvorstand und die Gemeindevertretung, in andern Gemeinden durch den Kirchenvorstand.
Sie umfassen das oertlichen Zwecken dienende kirchliche Vermoegen und die unter die Verwaltung kirchlicher Organe gestellten oertlichen Stiftungen. Nicht einbegriffen ist das Vermoegen, das unter dauernde Verwaltung des Staates oder der buergerlichen Gemeinden oder Kommunalverbaende gestellt ist.

§ 2.
Die Verwaltungskoerper bestehen aus:
1. dem Pfarrer oder dem mit pfarramtlichen Befugnissen ausgestatteten Geistlichen als Vorsitzenden.
2. den gewaehlten Mitgliedern.
Zum Kirchenvorstand gehoert ferner der auf Grund besonderen Rechtstitels Berechtigte oder der von diesem Ernannte.

§ 3.
Gemeinden bis 500 Seelen waehlen 4, bis 2.000 Seelen 6, bis 3.000 Seelen 8, in groesseren Gemeinden 10 Kirchenvorsteher.
Die Zahl der Gemeindevertreter ist in Gemeinden bis 3.000 Seelen doppelt, darueber hinaus 3 mal so gross als die der gewaehlten Kirchenvorsteher.
Kein Mitglied kann zugleich beiden Verwaltungskoerpern oder dem Verwaltungskoerper der Pfarrgemeinde angehoeren.
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§ 4.
Wahlberechtigt sind alle deutschen Mitglieder der Gemeinden, die am Wahltage 21 Jahre alt sind und seit mindestens einem Jahre an dem Ort der Gemeinde wohnen.
Vom Wahlrecht ist ausgeschlossen:
1) wer entmuendigt ist oder unter vorlaeufiger Vormundschaft oder wegen geistigen Gebrechens unter Pflegschaft steht,
2) wer die buergerlichen Ehrenrechte nicht besitzt,
3) wer das Wahlrecht nach § 6 Abs. 4 und § 9 Abs. 2 verloren hat.
Behindert an der Ausuebung ihres Wahlrechtes sind Personen, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwaeche in einer Anstalt untergebracht sind sowie Straf- und Untersuchungsgefangene.

§ 5.
Waehlbar ist jeder Wahlberechtigte, der am Wahltag 30 Jahre alt ist, sofern er nicht durch kirchenbehoerdliche Entscheidung von den allen Mitgliedern zustehenden Rechten ausgeschlossen worden ist.

§ 6.
Die Gewaehlten koennen ihr Amt nur aus erheblichen Gruenden ablehnen oder niederlegen. Ein erheblicher Grund liegt stets vor
1) fuer Frauen,
2) mit Vollendung des 60. Jahres,
3) bei 6-jaehriger Bekleidung des Amtes,
4) bei mehr als 4 minderjaehrigen Kindern.
Das Recht zur Ablehnung und Niederlegung erlischt, wenn das Amt in Kenntnis des Ablehnungsgrundes ausgeuebt wird.
Ueber die Ablehnung und Niederlegung entscheidet der Kirchenvorstand. Gegen dessen Entscheidung ist binnen einer Ausschluss-
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frist von 2 Wochen seit Zustellung der Entscheidung die Berufung an die Bischoeflichen Behoerden zulaessig.
Wer nach Rechtskraft der Entscheidung die Uebernahme oder Fortfuehrung des Amtes verweigert, verliert das Wahlrecht. Es kann ihm auf sein Gesuch vom Kirchenvorstand wieder beigelegt werden.

§ 7.
Das Amt der gewaehlten Mitglieder dauert 6 Jahre. Von 3 zu 3 Jahren scheidet die Haelfte aus. Der Austritt wird durch die Dienstzeit, das erstemal durch Auslosung bestimmt.
Die Ausscheidenden bleiben bis zum Eintritt der Nachfolger im Amt.
Wenn das Amt eines Mitgliedes ausser der Zeit erledigt ist, waehlt der beteiligte Verwaltungskoerper fuer den Rest der Amtsdauer des Ausgeschiedenen einen Ersatzmann.

§ 8.
Wenn sich ein Mitglied weigert, sein Amt zu uebernehmen oder auszuueben, ist eine Neuwahl anzuordnen.
Wenn sich auch dieses neue Mitglied weigert, sein Amt zu uebernehmen oder auszuueben, kann die Bischoefliche Behoerde ein Mitglied aus den waehlbaren Gemeindegliedern [sic] bestellen.

§ 9.
Die Mitglieder verlieren ihr Amt bei Verlust der Waehlbarkeit, bei Ungueltigkeit der Wahl und nachtraeglicher Aenderung des Wahlergebnisses. § 6 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung. – Die Mitglieder koennen wegen grober Pflichtwidrigkeit durch die Bischoefliche Behoerde entlassen werden; zugleich kann ihnen das Wahlrecht
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entzogen werden. Die Entlassung erfolgt nach Anhoerung des Betroffenen und des beteiligten Verwaltungskoerpers durch einen mit Gruenden versehenen schriftlichen Bescheid.

§ 10.
Das Amt der Mitglieder der kirchlichen Verwaltungskoerper ist ein Ehrenamt. Fuer aussergewoehnliche Muehewaltungen kann auf Antrag des Kirchenvorstandes eine angemessene Entschaedigung durch die Gemeindevertretung, beim Fehlen einer solchen durch die Bischoefliche Behoerde bewilligt werden.

§ 11.
Der Kirchenvorstand verwaltet das kirchliche Vermoegen und vertritt die Kirchengemeinde und die von ihm verwalteten Vermoegensmassen.

§ 12.
Der Kirchenvorstand hat ein Vermoegensinventar zu errichten und fortzufuehren. – Er hat einen Voranschlag der Jahreseinnahmen und -ausgaben aufzustellen und einen vollstaendigen Bericht ueber den Stand des Vermoegens alljaehrlich an die Gemeindevertretung zu erstatten. Er hat am Schluss jedes Rechnungsjahres die Rechnung zu pruefen. Der Haushalt ist nach Feststellung, die Jahresrechnung nach Entlastung zur Einsicht der Gemeindeglieder nach ortsueblicher Bekanntmachung auf 2 Wochen oeffentlich auszulegen.

§ 13.
Die Beschluesse des Kirchenvorstandes beduerfen der Zustimmung der Gemeindevertretung bei
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1) Erwerb, Veraeusserung oder dinglicher Belastung von Grundstuecken, Vermietung oder Verpachtung dieser auf laenger als 10 Jahren oder ueber die Dienstzeit des jeweiligen Inhabers hinaus,
2) Veraeusserung von Gegenstaenden, die einen geschichtlichen, wissenschaftlichen oder Kunstwert haben;
3) ausserordentlicher Benutzung des Vermoegens,
4) Anleihen, die nicht bloss zur voruebergehenden Aushilfe dienen und aus den Ueberschuessen der Einnahmen ueber die Ausgaben der gleichen Voranschlagszeit zurueckerstattet werden koennen,
5) Erhebung von Klagen und bei Abschluss von Verlgeichen ueber den Betrag von 100.000 Mark,
6) Neubauten oder Ausbesserungen von Baulichkeiten im Betrage von mehr als 50.000 Mark,
7) Ausschreibung von Kirchensteuern,
8) Einfuehrung oder Veraenderungen von Gebuehrenordnungen,
9) Ausstattung neuer und dauernder Verbesserung bestehender Stellen und Umwandlung von veraenderlichen Einnahmen der Kirchendiener in feste Hebungen oder von Naturaleinkuenften in Geld,
10) ausserplanmaessigen Verwendung des kirchlichen Vermoegens,
11) Feststellung des Haushalts und der Voranschlagszeit,
12) Abnahme der Jahresrechnung und Erteilung der Entlastung.

§ 14.
Der Vorsitzende beruft die Verwaltungskoerper, so oft die Erledigung der Geschaefte es erfordert. – Er hat sie zu berufen auf Verlangen 1) der bischoeflichen Behoerde, 2) der Staatsbehoerde, 3) eines Drittels der Mitglieder, 4) des anderen Ver-
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waltungskoerpers. – Wenn der Vorsitzende diesem Verlangen nicht entspricht oder ein Vorsitzender und ein Stellvertreter nicht vorhanden sind, so koennen die genannten Behoerden die Berufung vornehmen und den Vorsitzenden bestimmen.

§ 15.
Zu den Sitzungen sind saemtliche Mitglieder einzuladen. Die Einladung hat schriftlich unter Angabe des Gegenstandes spaetestens am Tage vor der Sitzung zu erfolgen. Bei nicht vorschriftsmaessiger Einladung kann eine Beschlussfassung nur dann erfolgen, wenn die Mitglieder vollzaehlig versammelt sind, und nicht widersprechen. – Die Gemeindevertretung kann beschliessen, zu gemeinsamer Sitzung mit dem Kirchenvorstand zusammenzutreten.

§ 16.
Die Sitzung ist beschlussfaehig, wenn mehr als die Haelfte der Mitglieder anwesend ist. Sie ist stets beschlussfaehig, wenn sie zum zweitenmale mit der gleichen Tagesordnung einberufen und dabei auf diese Folge ausdruecklich hingewiesen worden ist. – Die Beschluesse werden durch Stimmenmehrheit der Erschienen gefasst. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden, bei Wahlen das Los. – Mitglieder, die an den Gegenstaenden der Beschlussfassung persoenlich beteiligt sind, sind nicht stimmberechtigt und duerfen bei der Vertretung und Abstimmung nicht anwesend sein. – Die Beschluesse sind unter Angabe des Tages und der Anwesenden in ein Sitzungsbuch einzutragen. Die Eintragungen sind von dem Vorsitzenden und einem Mitglied zu unterschreiben.

§ 17.
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Die Beschluesse werden durch Auszuege aus dem Sitzungsbuche bekundet, die der Vorsitzende beglaubigt. Die Willenserklaerungen des Kirchenvorstandes verpflichten die Gemeinde und die vertretenen Vermoegensmassen nur dann, wenn sie von dem Vorsitzenden oder seinem Stellvertreter und 2 Mitgliedern unter Beidrueckung des Amtssiegels abgegeben sind. Hierdurch wird die Ordnungsmaessigkeit der Beschlussfassung festgestellt.

§ 18.
Die Beschluesse der Verwaltungskoerper beduerfen der Genehmigung der Staatsbehoerde bei
1) Veraeusserung von Gegenstaenden, die einen geschichtlichen wissenschaftlichen oder Kunstwert haben,
2) Anleihen im Sinne des § 13 N. 4,
3) Anlegung oder Veraenderung der Benutzung von Begraebnisplaetzen einschliesslich der Gebuehrenordnungen fuer ihre Benutzung,
4) Haus- und Strassensammlungen,
5) Verwendung des Kirchenvermoegens zu anderen als den bestimmungsgemaessen Zwecken. Ausgenommen sind Bewilligungen aus der Kirchenkasse, sofern sie einzeln 2 v. H. und im Gesamtbetrag fuer ein Jahr 5 v. H. der Solleinnahmen nicht uebersteigen. In diesem Falle ist die Genehmigung erteilt, wenn die Behoerden nicht innerhalb eines Monats nach Mitteilung des Beschlusses widersprechen.

§ 19.
Die Staatsbehoerde ist berechtigt, von der Vermoegensverwaltung Einsicht zu nehmen.
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§ 20.
Wenn sich die Verwaltungskoerper weigern, gesetzliche Leistungen auf den Haushalt zu bringen, festzusetzen oder zu genehmigen oder begruendete Ansprueche gerichtlich geltend zu machen, so kann die bischoefliche Behoerde im Einvernehmen mit der Staatsbehoerde die Eintragung der Leistungen in den Haushalt bewirken und die weiter erforderlichen Massnahmen treffen. – Bestreitet der Kirchenvorstand die Gesetzlichkeit der beanstandeten Posten oder die Verpflichtung zu den Leistungen, so kann er Klage beim Oberverwaltungsgericht erheben.

§ 21.
Wenn ein Verwaltungskoerper wiederholt seine Pflicht groeblich verletzt, so kann ihn die bischoefliche Behoerde ausloesen [sic]. Mit der Aufloesung sind sofort die erforderlichen Neuwahlen vorzunehmen.

§ 22.
Wenn die Wahl der Mitglieder ueberhaupt nicht zustande kommt, oder der nach Aufloesung neugewaehlte Verwaltungskoerper aufgeloest werden muss, so ist die bischoefliche Behoerde im Einvernehmen mit der Staatsbehoerde befugt, einen Bevollmaechtigten zur Verwaltung der kirchlichen Vermoegensangelegenheiten zu bestellen.

§ 23.
Macht die bischoefliche Behoerde in den Faellen der § 20 und 22 von ihrer Befugnis keinen Gebrauch, so kann die Staatsbehoerde nach Anhoerung die erforderlichen Massnahmen selbst treffen. Auf Widerspruch der bischoeflichen Behoerde entscheidet der fuer
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kirchliche Angelegenheiten zustaendige Minister.

§ 24.
Die Bischoefliche Behoerde kann nach Benehmen mit der Staatsbehoerde den Verwaltungskoerpern Anweisungen ueber die Geschaeftsfuehrung erteilen und solche aendern.

§ 25.
Hinsichtlich der fuer die Bischoefe, Bistuemer und Kapitel bestimmten Vermoegensstuecke sowie der unter Verwaltung kirchlicher Organe stehenden Anstalten, Stiftungen und Vermoegensstuecke, die nicht von § 1 betroffen werden, gelten folgende Bestimmungen:
1) die Verwaltungsorgane beduerfen der staatlichen Genehmigung in den Faellen des § 18. Einmal im Jahr braucht eine Haussammlung fuer beduerftige Gemeinden der Dioezese nur angezeigt zu werden.
2) die Staatsbehoerde ist befugt, von der Vermoegensverwaltung Einsicht zu nehmen.
Die Bestimmung des § 20 findet auf die Verwaltungsorgane mit der Massgabe entsprechende Anwendung, dass die Staatsbehoerde zu den vorgesehenen Massnahmen befugt ist.

§ 26.
Die Gesetze vom 20. Juli 1875 ueber die Vermoegensverwaltung in den katholischen Kirchengemeinden (G. S. S. 241) und vom 7. Juni 1876 ueber die Aufsichtsrechte des Staates bei der Vermoegensverwaltung in den katholischen Dioezesen (G. S. S. 149) werden aufgehoben; die §§ 39 u. 40 des ersten Gesetzes bleiben bis
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zur anderweitigen Regelung des Patronatsrechts in Kraft. – Die in diesem Gesetz angeordneten Veraenderungen in den Verwaltungskoerpern treten mit dem Ablauf der gegenwaertigen Zusammensetzung in Kraft.

§ 27.
Die in dem Gesetz vom 20. Juli 1875 beigefuegte Wahlordnung bleibt mit folgenden Aenderungen bestehen:
1) In Art. 2 faellt der Satz: Letzteres hat im Einvernehmen mit dem Regierungspraesidenten (Landdrosten) die Entscheidung zu treffen, fort.
2) In Art. 13 Satz 2 fallen das Wort "ablehnenden" und der Satzteil: welche im Einvernehmen mit dem Regierungspraesidenten (Landdrosten) die Entscheidung zu treffen hat, fort.
3) In Art. 14 fallen die Worte: im Einvernehmen mit dem Regierungspraesidenten (Landdrosten) fort.

§ 28.
Das Staatsministerium bestimmt die Behoerde, die die oben bezeichneten Rechte des Staates auszuueben hat. Es wird ferner ermaechtigt, die in diesem Gesetz bezeichneten Geldbetraege entsprechend dem jeweiligen Geldwerte anderweitig festzusetzen.

§ 29.
Der fuer die kirchlichen Angelegenheiten zustaendige Minister wird mit der Ausfuehrung des Gesetzes beauftragt.
Empfohlene Zitierweise
[Vertreter der preußischen Diözesen], Gesetz ue ber die Verwaltung des katholischen Kirchen - V erm oe gens vom vor dem 30. April 1923, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 12300, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/12300. Letzter Zugriff am: 24.11.2024.
Online seit 24.10.2013.