Dokument-Nr. 12568
Chołoniewski, Andrzej an Pacelli, Eugenio
Rokiškis, 30. Oktober 1924
Zu Beginn des Sommers hatte ich die Ehre an Euere Exzellenz ein Gesuch um Audienz aus Dresden zu richten, die mir auch gütigst gewährt wurde. Ich konnte jedoch mich nicht persönlich vorstellen, da mich Familienangelegenheiten nach Litauen geführt haben, wo ich auch jetzt verbleibe.
Ich erlaube mir deshalb mein Anliegen Euerer Exzellenz schriftlich darzulegen. Seit mehreren Jahren habe ich mich der Forschung auf dem Gebiete der politischen Verhältnisse im Osten Europas gewidmet, hauptsächlich derselben in Russland, und besonders der politischen und sozialen Erscheinung, welche der Bolschewismus ist. Dieser Gegenstand fesselte meine Aufmerksamkeit seit vielen Jahren, und ich hatte auch Gelegenheit die Verhältnisse in Russland gründlich und vielseitig zu studieren, als ständiger Bewohner dieses Staates.
59v
Ich tat es ohne durch
irgendwelche politische, oder soziale parteiische Begriffe geleitet zu sein, indem ich die
Sache von einem möglichst weiten, wissenschaftlichen und positiven Standpunkte zu betrachten
versuchte.Was meine persönlichen Grundsätze anbetrifft, so sind dieselben streng katholisch und demokratisch. Die Kenntnis der Verhältnisse und der Menschen in Westeuropa, wo ich viel verkehrte, bietet mir die Möglichkeit dar die Verschiedenheit zu ermessen, die manchmal unüberbrückbar ist zwischen Westeuropa und demjenigen, was dem Einflusse Russlands unterworfen ist, grundsätzlich verschiedenem von dem Begriffe der Civilisation und Kultur in Westeuropa, besonders aber verschiedenem von demjenigen der katholischen Kirche, und feindseligen gegen dieselbe. [sic]
Vor dem bolschewistischen Umsturze war ich Grossgrundbesitzer in der Ukraine, was mir eine völlige Unabhängigkeit gab. Gegenwärtig jedoch bin ich nicht mehr in der Lage mich gänzlich den Forschungen auf dem genannten Gebiete zu widmen. Andererseits, da ich diese Frage für sehr aktuell halte, und der Meinung bin, dass dieser Gegenstand noch keineswegs gründlich und radikal bearbeitet worden ist, weder in der Litteratur [sic], noch in den Begriffen im
60r
Westen Europas, und unmöglich gleichgiltig [sic] für die
kulturelle Welt und besonders für die Kirche bleiben darf, möchte ich mir eine Möglichkeit
des Wirkens auf diesem Gebiete ausfindig machen, was mich sehr lockt, um in dem Kampfe gegen
diesen feindlichen und mit dem Begriffe der demokratischen Freiheit unversöhnlichen, und
dabei mächtigen und tückischen Gegner, welcher das moskowitische Reich ist, mitarbeiten zu
dürfen. Indem ich auf die Gütigkeit Eurer Exzellenz vertraue, bitte ich Eure Exzellenz mir Ihren geschätzten Rat und hohe Unterstützung nicht zu verweigern, damit ich die Möglichkeit erlange, als Berichterstatter oder Sachkundiger, entweder selbständig, oder kollegial an der Bearbeitung dieses Problems eine Anwendung meiner Befähigung zu finden; entweder in einer politischen Abteilung, wissenschaftlichen Institution, oder in der Presse in kirchlichen, oder weltlichen katholischen Kreisen, die sich mit diesem Problem befassen, oder dasselbe erforschen wollen.
Ich muss nochmals betonen, dass ich trotz meines besten Willens der Möglichkeit beraubt bin in dieser Richtung selbständig zu wirken, bin aber tief überzeugt, dass wenn mir dieselbe ge-
60v
geben wäre, ich den
entsprechenden Nutzen bringen könnte, desto mehr dass im gegenwärtigen Augenblicke das
russische Problem zweifellos eins der wichtigsten und aktuellsten ist.In der Hoffnung, dass Eure Exzellenz die Freiheit meines Gesuches entschuldigen werden, bitte meinen untertänigsten Handkuss und den Ausdruck meiner innigsten Verehrung entgegennehmen zu wollen.
Eurer Erzbischöflichen Gnaden
ergebenster Diener
Andreas Graf Chołoniewski