Dokument-Nr. 15537
Burkhardt, Georg an Schreiber, Georg
Davos-Dorf, 12. Februar 1924

Hochgeehrter Herr Professor!
Bei der Besichtigung unseres deutschen charitativen [sic], der tuberkulosekranken unbemittelten deutschen Bevölkerung gewidmeten Sanatoriums erkundigten Sie sich über die Erfolge der bei uns auf Grund einer hochherzigen Stiftung Seiner Heiligkeit des Papstes untergebrachten Kinder.
Ich erlaubte mir, Ihnen bereits zu sagen, dass diese Stiftung durch Se. Heiligkeit im Verfolg einer Bitte des Herrn Reichsarbeitsministers Dr. Dr. Brauns erfolgte, nachdem das Reichsarbeitsministerium wegen der fürchterlichen Valutakatastrophe sich ausserstande erklären musste, die vorher bereits mehrere Jahre durchgeführten und von ausserordentlichem Erfolg begleiteten Kuren tuberkulöser Waisenkinder im Kriege Gefallener oder ihren Krankheiten Erlegener fortzusetzen. An Hunderten von derartigen Kindern, bei denen Kuren in Deutschland ohne Erfolg geblieben waren, und die zum grossen Teil als dem Siechtum verfallen betrachtet werden mussten, hatte die ausserordentliche Heilkraft des Hochgebirges nachhaltigen Erfolg, in den meisten Fällen Heilung bewirkt. Es war nach diesen Erfahrungen anzunehmen, dass auch die hochherzige Stiftung Seiner Heiligkeit einen dem Opfer entsprechenden Wert entfalten würde.
In drei Kurperioden von je drei Monaten Dauer sind bis jetzt auf Kosten der sogenannten Papstspende 155 Kinder im Deutschen Krieger-Kurhaus Davos-Dorf seit Mitte Juli 1923 untergebracht worden. Es handelte sich ausschliesslich um solche tuberkulosekranke Kinder, in der Mehrzahl Waisen, die ohne charitative Fürsorge nach Erschöpfung der Kurmöglichkeiten der Heimat dem gewöhnlichen Lauf der ohne Erfolg
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behandelten Tuberkulose verfallen gewesen wären. Dem ausdrücklichen Wunsche Seiner Heiligkeit entsprechend, spielte die Konfession bei der Auswahl der Kinder keine Rolle. Die Leitung der Kinder im Hause erfolgte aber nach christlichen Grundsätzen, und die Geistlichen der beiden Konfessionen hielten regelmässige Gottesdienste und Unterrichtsstunden bei ihnen ab.
Von den bisher untergebrachten 155 Kindern waren 87 Mädchen und 68 Knaben. 80% wiesen ein zum Teil erhebliches Untergewicht als Folge qualitativer Unterernährung auf. Der Durchschnitt desselben betrug ins Verhältniss [sic] zur Durchschnittlänge [sic] des entsprechenden Lebensalters gesetzt, 3,2 Kg. Der Blutfarbstoff war bei fast allen Kindern erheblich herabgesetzt, im Ganzen mehr bei den zahlreicheren Stadtkindern und bei allen mehr in den zur Winterszeit in Behandlung getretenen. Die ärztliche Untersuchung einschliesslich der Röntgendiagnostik ergab nur in 15% der Fälle das erste Entwicklungsstadium der Tuberkulose (Primärkomplex), bei allen übrigen Fällen war es bereits zur Ueberschwemmung des Körpers unter ausgesprochenen Zeichen des Abwehrkampfes mit Neigung zum Erliegen gekommen. Bei 21 Kindern waren bereits Zerstörungen des Lungengewebes nachweisbar, 12 davon in stärkerem Masse mit Ausscheidung von Tuberkelbazillen und elastischen Fasern. Zu den leichten Lungenfällen gehören 7 Kinder, bei denen eine andere Lokalisation der Tuberkulose-Erkrankung im Vordergrund stand, der Knochen, der Haut und der Augen. Mit den Erfolgen der letzten Gruppe zu beginnen, erzielten wir bei diesen sämtlichen der sogenannten äusseren Tuberkulose Heilung in allen Erscheinungen. Von den 12 bazillenausscheidenden Kindern verloren 8 die Bazillen, 5 davon bei gleichzeitiger Anlegung des Pneumothoraxverfahrens. Die übrige Mehrzahl der geschlossenen Tuberkulosen zeigten in ihrem Allgemeinzustand bei durchschnittlich 3,1 kg Gewichtszunahme und Zunahme des Blutfarbstoffes im Durchschnitt um 12% durchweg am Schlusse der Kur eine erhöhte Durchseuchungsresistenz in dem Sinne, dass die Widerstandskraft des Körpers im Kampfe gegen die Krankheit als überlegen für die Zukunft anzusehen ist. Die Behandlung bestand in der
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selbstverständlichen guten Ernährung mit reichlich Milch und Butter und mässigen Fleischmengen, in Freiluftliegekur, die über den ganzen Tag ausgedehnt und nur durch kurze Spaziergänge und Spiele unterbrochen wurde. Die meisten Kinder wurden ausserdem der Hochgebirgsbesonnung unterzogen. Es sei dabei betont, dass das Davoser Hochgebirgsklima im Gegensatz zu den Möglichkeiten des Tieflandes auch ausgedehnte Besonnung bei bestehender Schneedecke im Winter gestattet.
Mit den vorhandenen Mitteln wird es noch möglich sein, die Kinder bis Ende Januar in gleicher Zahl in unserem Hause der Genesung zuzuführen. Angesichts der überaus grossen Zahl der infolge des über Deutschland neuerlich hereingebrochenen Elends breiter Volksschichten Hochgebirgskuren benötigenden deutschen Kinder würde es überaus dankenswert sein, wenn Seine Heiligkeit sich in die Lage versetzt fühlen könnte, sein grossherziges Liebeswerk, sei es auch in bescheidenerem Masstabe als im letzten Jahre, weiter fortzuführen.
Auf alle Fälle glaube ich allen unseren Schützlingen und deren Angehörigen aus der Seele zu sprechen, wenn ich Sie, hochgeehrter Herr Professor, bitte, Seiner Heiligkeit den tiefsten Dank für die so Nachhaltiges wirkende Spende ausdrücken zu lassen. Dasselbe bitte ich Sie, hochgeehrter Herr Professor, dem Herrn Reichsarbeitsminister gegenüber zu tun, der ja die Anregung zu dem Liebeswerke gab.
Ihnen selbst danke ich verbindlichst für das grosse Interesse, das Sie unserem Hause, noch als Sie es nur durch den Mund Ihrer näheren Freunde kannten und jetzt ganz besonders, da wir Sie selbst begrüssen durften, entgegenbrachten und bin mit verehrungsvollen Wünschen für eine segensreiche weitere Tätigkeit und mit deutschem Gruss
Ihr dankbar ergebener
Dr. Burkhardt.
Empfohlene Zitierweise
Burkhardt, Georg an Schreiber, Georg vom 12. Februar 1924, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 15537, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/15537. Letzter Zugriff am: 04.05.2024.
Online seit 18.09.2015.