Dokument-Nr. 15569
Stieglitz, Franz von an Pius XI.
Kassel, 16. Februar 1924

Heiligster Vater!
Ew. Heiligkeit wage ich eine alleruntertänigste Bitte zu unterbreiten.
Ew. Heiligkeit sind die traurigen Verhältnisse in Deutschland bekannt, haben ja Ew. Heiligkeit schon wiederholt die Gnade gehabt, namhafte Summen zur Linderung der Not nach Deutschland zu überweisen. Von dieser Not werden in besonderem Maße die kinderreichen Familien betroffen, so auch die meinige. Ich bin Vater von 5 Kindern im Alter von 9 bis 18 Jahren, die alle unter den Entbehrungen des Krieges und der Nachkriegszeit an ihrer Gesundheit Schaden gelitten.
Alle sind blutarm und skrofulös; meine beiden ältesten Söhne, brave und fromme Knaben, von denen der Ältere Neigung zum Priesterberufe zeigt, haben sich eine schwere Lungenkrankheit zugezogen, die zur Vermeidung der Schwindsucht uns Eltern sorgsamste Pflege der armen Kinder zur Pflicht macht. Während sich der 16jährige durch längeren Landaufenthalt wesentlich erholt hat, ist der Zustand meines zweiten Sohnes, der bereits über ein Jahr das schwere Leiden hat und das Gymnasium nicht besuchen kann, äusserst ernst und sein Körper vollständig abgemagert, sodaß er ganz besonderer Pflege und einer längeren Kur dringend bedarf.
Diese dem Kinde zu bieten, bin ich aus wirtschaftlichen Gründen gänzlich außer Stande. Bei meiner geringen Einnahme ist
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es mir nicht einmal möglich, die Kosten des Unterhalts meiner zahlreichen Familie zu bestreiten.
Während des Krieges hatten wir, neben dem Verlust meiner Stellung, finanzielle Nachteile zu beklagen, insbesondere auch den Verlust des Anspruchs auf ein in der Familie befindliches Majorat in Curland (Lettland), das die Lettische Regierung bis auf ein ganz geringes Besitztum, ohne jegliche Vergütung, der augenblicklichen Majoratsbesitzerin entzogen hat und das damit der Familie für die Zukunft verloren gegangen ist.
Da meine Tätigkeit auf industriellem Gebiet infolge des Niederganges unserer Industrie seit Monaten fast nichts einbringt, bin ich lediglich auf meine geringe Pension angewiesen, ein Umstand, der beweisen dürfte, daß es eine Unmöglichkeit ist, unter den heutigen Verhältnissen als Vater von 5 Kindern und bei den hohen Anforderungen, die die Pflege der Kranken bedingt, ohne Schulden durchzukommen. So war ich denn auch gezwungen, mehrere tausend Mark, unter hohen Zinsen, zu leihen, eine Tatsache, die meine wirtschaftliche Lage noch schwieriger gestaltet.
In dieser meiner Not wende ich mich an Ew. Heiligkeit mit der alleruntertänigsten inständigen Bitte um Hilfe.
In Anbetracht der geschilderten Notlage und angesichts des Umstandes, daß ich die Ehre habe, Ew. Heiligkeit "Cameriere segreto di spada e cappa" zu sein, glaube ich mich der Hoffnung hingeben zu dürfen, daß Ew. Heiligkeit die Gnade
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haben werden, mein demütiges Bittgesuch allergnädigst zu erhören.
Zu den Füssen Ew. Heiligkeit niedergebeugt, zeichne ich
Ew. Heiligkeit
alleruntertänigster Diener
Fr. von Stieglitz
Cameriere segreto di Sua Santità Papa Pio XI.
Major aD.
Empfohlene Zitierweise
Stieglitz, Franz von an PiusXI. vom 16. Februar 1924, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 15569, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/15569. Letzter Zugriff am: 03.05.2024.
Online seit 18.09.2015.