Dokument-Nr. 15626

Merkwürdige Zusammenhänge, in: Großdeutsche Zeitung, Nr. 73, 28. April 1924
M. Alphand, der Leiter der Pariser „Comoedia", schrieb in diesem Blatt am 21. Januar 1924 über einen Besuch im Vatikan: „Wir haben hier (also im Vatikan! Schriftl.) übrigens große Freunde, unter denen besonders Msgre. G a s p a r r i , der Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, zu nennen ist – er ist der Onkel unseres Varietèdirektors Samuel, der mehrere Male in seiner Gesellschaft unsere pikante Lavallère empfing,"
Also die Pariser Chauvinisten haben gute, sogar verwandtschaftliche Beziehungen zum Vatikan, sogar zur rechten Hand des Hl. Vaters! Das macht manches erklärlich. Als das Ausbeutungsdiktat der Sachverständigen bekanntgegeben wurde, das Deutschlands finanzielle Versklavung und Auslieferung an die internationale Hochfinanz für ewige Zeiten zur Folge haben muß, hat bekanntlich der „Osservatore Romano", das Kurierblatt, am 12. April voll Freude festgestellt, daß der „Sachverständigenbericht", wie man das irreführenderweise nennt, mit dem Schreiben, das der Pabst im Juli vorigen Jahres an den Kardinalstaatssekretär Gasparri richtete, eine Verblüffende Ähnlichkeit (!!) aufweist. Wir haben damals betont, daß uns diese Offenheit des Vatikans sehr freut, weil er damit erneut klar bekennt, auf wessen Seite er steht. Kein ernst zu nehmender Wirtschaftspoliker kann auch nur im entferntesten der Meinung sein, das Ausbeutungsgutachten der „Sachverständigen" sei etwas, das Deutschland zum Heil gereicht. Das beweist schon die Tatsache, daß die deutsche Regierung in ihrer parlamentarischen „Ehrlichkeit" die schwerwiegendsten und für jeden sachlich Betrachtenden niederschmetterndsten Punkte unterschlagen hat. Der gewiß fachmännisch eingestellte, nun verstorbene Helfferich hat es, wie wir schon vor ihm, ein „zweites Versailles" genannt. Nun hat zwar der Vatikan es nie klar und deutlich gewagt, den Versailler „Frieden", so wie er es verdient, einen Raub-, Schand- und Ausbeutungsfrieden zu nennen, wohl hat er aber jetzt durch sein Sprachrohr die Ähnlichkeit des „zweiten Versailles" mit seinen Vorschlägen voll Freude kundgetan. Wer Ohren hat , zu hören, der höre! Was besagen einer solchen Politik gegenüber alle die vielen Millionen Lire, die man uns Deutschen „zur Linderung der Not" und Besänftigung geschickt hat? Immer und immer wieder müssen wir hier feststellen, daß Deutschland zu „Reparationen" sittlich überhaupt nicht verpflichtet ist. Eine solche sittliche Verpflichtung anerkennen, heißt, sich auf den Standpunkt des rohen, unchristlichen Naturrechts stellen, nachdem der Überlegene dem Unterlegenen zu Tribut verpflichtet ist. Das ist so im Völkerleben; wenn aber der Vater aller sich zu diesem Standpunkt bekennt, so kommt das der Aufhebung der christlichen Moral gleich. Nach dieser kann nur d e r zur Wiedergutmachung verpflichtet sein, der den Weltkrieg angezettelt, nicht aber der, der den kürzeren gezogen hat.Wir Deutschen lehnen die Kriegsschuld ab, wer aber unsere sittliche Verpflichtung zu Reparationen anerkennt, der steht auf dem Standpunkt dieser Kriegsschuldlüge und damit im Lager unserer Feinde! Da beißt keine Maus den Faden ab! Und es ist für uns Deutsche nur erfreulich, wenn uns der Vatikan Gelegenheit gibt, klar zu sehen, was wir von ihm in dieser Hinsicht zu erwarten haben. Wir verkennen in keiner Weise, wie schwer es für den Hl. Vater ist, sich den Einflüssen jener Haßschürer gegen Deutschland am Vatikan zu entziehen, von denen der Kardinal Gasquet mit seinem Wort: „Wir hassen nur die Deutschen" den Vogel abgeschossen hat. Wir wissen, was wir von solchen Leuten zu erwarten haben. Nach obiger Meldung glauben wir aber auch, zu der Annahme berechtigt zu sein, daß der Onkel des Varietèdirektors Samuel, Herr Casparri, den Einflüsterungen seiner französisch-jüdischen Verwandten in Paris mehr sein Ohr leihen wird, als den etwa vorherrschenden, sicher recht schwachen deutschen oder deutschfreundlichen Stimmen. Da der Herr Nuntius Pacelli mit Herrn Gasparri in dauerndem Kontakt stehen muß, so kann man sich auch eine Vorstellung davon machen, welcher Art die Tätigkeit des Nuntius in Beziehung auf die französische Reparationsforderungen war. Hat doch bekanntlich die italienische Monatsschrift „Politika" mit Bestimmtheit versichert, Pacelli habe Ende 1920 Frankreich in seiner unnachgiebigen Haltung in der Reparationsfrage bestärkt. Der „Bayerische Kurier" glaubte dies dementieren zu müssen, als ob man derartige Dinge auch nur irgend jemand auf Nase binden würde!! Zehn Dementis reichen nicht aus, um dies glaubwürdig zu machen. Haben doch die Nuntiaturen im In- und Ausland schon lange vor dem Kriege unter Bismarck eine diplomatisch-politische Tätigkeit zugunsten Frankreichs entfaltet. (Man lese die „Diplomatischen Enthüllungen" des russischen Botschafters von Mohrenheim in Paris!) Politik und Diplomatie spielen sich eben immer in denselben Formen ab, in denen vor allem die kuriale Diplomatie von jeher Meisterin war. Diplomatie bleibt immer Diplomatie, auch wenn sie von Vertretern des Vatikans getrieben wird. Das sollen wir Deutsche uns endlich merken.
Empfohlene Zitierweise
Anlage vom 28. April 1924, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 15626, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/15626. Letzter Zugriff am: 02.05.2024.
Online seit 18.09.2015.