Dokument-Nr. 16289
Kessler, Josef Alois an Pacelli, Eugenio
Berlin, 24. Februar 1926

Eure Exzellenz,
Kennen bereits die Stellung, die ich der "Fürsorge für Russland" gegenüber einnehme. Um aber ein Urteil betreffs Unterstützung des Bittgesuchs der "Fürsorge" beim hl. Stuhl zu geben, muss ich kurz wiederholen, was ich schon mündlich einmal <in>1 der Hauptsache mitgeteilt habe.
Die "Fürsorge für Russland Diözese Tiraspol" wie sie sich noch immer nennt, ungeachtet meiner Einsprache gegen das "Diözese Tiraspol", war dem Deutschen kath. Caritasverband Berlin Oranienburgerstr. 13/14 angegliedert. Sie sollte unter ihm arbeiten. Bald nach ihrer Eröffnung wurde eine andere Organisation "Hilfswerkwerk 2 für das Schwarzmeergebiet" in sie aufgenommen, so dass letzteres in der Fürsorge aufgieng [sic]. Das wurde unter meinem Vorsitz protokolliert. Wesentlich ist dem Caritasverband, dass er unter den [sic] deutschen Episkopat steht. So sollte auch die "Fürsorge" unter meiner Oberleitung stehen. Bald nach der Aufnahme des "Hilfswerkes" stellten die Büroleute der Fürsorge, alle Zivilpersonen und meine Diözesanen (ausgenommen Herrn Lamboj), eigene Satzungen auf und liessen die Fürsorge als selbständigen Verein bei der Staatsbehörde eintragen. Dies geschah ohne mein Wissen und gegen meinen Willen. Man hätte glauben sollen, dass jene Herren, die mich zuvor gebeten hatten um Aufnahme in die "Fürsorge" mindestens ohne mein Wissen nicht die Satzungen ändern und die "Fürsorge" in einen selständigen [sic] Verein hätten umtauschen sollen. Da dies eigenmächtig geschah, legte ich durch einen notariellen Brief an die " 3 neue "Fürsorge" alle Verantwortung, die etwas 4 aus der Tätigkeit dieses Vereins entstehen konnten [sic], von mir ab. Ich wurde durch den Schritt dieser Herren statt Oberleiter ein primus inter pares. Ein solcher wollte ich unter diesen Herren, sämtlich Laien, nicht sein und schied aus der "Fürsorge" aus, indem ich verlangte, dass die Fürsorge das Prädikat "Diözese Tiraspol" niederlege. Die Leiter der "Fürsorge" verweigerten dies. Gleich darauf entzog auch Herr Direktor des Caritasverbandes der "Fürsorge" das Recht der Zugehörigkeit zum Caritasverband, da er die Verantwortung für einen Verein, der sich selbständig gemacht, nicht tragen wollte, umsomehr, da alle massgebende und leitende Herren Zivilpersonen waren.
Wenn die Herren Leiter der "Fürsorge" schreiben, sie hätten vom hl. Vater wiederholt bedeutende Geldsummen für unsere Diözesanen und Geistliche erhalten und weitergeleitet, so erhielten sie diese nur auf Empfehlungen von höhergestellten geistlichen Personen und besonders auf meine Empfehlung, weil der hl. Stuhl stets der Überzeugung war, dass die "Fürsorge" unter meiner Oberleitung stehe. Letzteres kann ich durch die Schreiben des HOchw-sten [sic] HH. Staatssekretärs an mich beweisen. Alle Summen wurden an mich ge-
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richtet, auch jene 4500 Dollars, die ich meinen Geistlichen verteilen sollte, die aber die "Fürsorge" vom Deutschen Auswärtigen Amt erhielt und gegen meine Ensprache [sic] an die Gläubigen und Geistlichen der Diözese verteilte! Ich wollte dieses Geld, wie ich jetzt stets tue, durch den Caritasverband (Messstipendien) nach Russland senden. Der hl. Vater selber hat bei der Audienz, die er Prälat Glaser und Curat Kappes gegeben, besonders betont, dass es ihm sehr gefalle, dass ich die "Fürsorge" dem Deutschen katholischen Caritasverband angeschlossen und unterstellt habe. Wenn man nun noch in Erwägung zieht, dass in der Diözese Tiraspol eine Partei, an deren Spitze Bischof Zerr und mehrere unzufriedene geistliche Herren standen, bestand, die stets Opposition gegen den Ordinarius, also zuerst gegen meinen Vorgänger, dann gegen mich machte, dann wird man die Lage verstehen, in der sich der Ordinarius seit 1904 befand. Ich erwähnte davon in allen meinen Relationes ad ss. Congregationem Consistorialem. Dieser selbe Geist des sich der Autorität des Ordinarius Entziehens ist wirksam in dem [sic] meisten Geistlichen meiner Diözese, die Russland verlassen haben seit den [sic] Jahre 1919; er ist auch sichtlich in den Herren, die an der Spitze der "Fürsorge" stehen. Dies geht aus obigen Erörterungen hervor. Herr Bischof Zerr hätte nicht resignieren sollen, wenn er dennoch die Diözese leiten wollte! Denn besser träge und nachlässig verwalten, als die Einigkeit bedrohen!
Aus obigen Auseinandersetzungen können Ew. Exzellenz ersehen, ob man die Bitte der "Fürsorge" beim hl. Vater befürworten könne oder nicht. Ich bin indessen weit davon entfernt, die Herren der "Fürsorge" der absichtlichen Ungerechtigkeit oder einer Unterschlagung von Geldern für fähig zu halten. Indessen, ziehen diese Herren zu grosse Prozenten [sic] für ihre Mühen von den einlaufenden Spenden ab, wogegen ich immer Einsprache erhoben habe. Ich erlaubte nur 5, sie nahme [sic] aber 12 vom Hundert. Ihre Gehälter bestimmten sie sich selber und zwar 250 Mk. monatlich. Darum konnte es nicht fehlen, dass ihre Einnahmen selten ausreichten, sodass ich bei einer Prüfung ihrer Ein- und Ausgaben sehen mussten 5, dass in der Kasse ein Defizit von ca 150 Dollars war! Es ist wahr, dass nun die letzten, die 1921 Russland des Hungers wegen verlassen haben, nach Hause dürfen. Diesen sollte gewiss geholfen werden. Indessen, dies kann ebensogut wie die "Fürsorge" der kath. Caritasverband. Herr Direktor Wienken wird sich dieser Sorge gerne unterziehen.
Indem ich obige Ausführungen Eurer Exzellenz unterbreite verharre ich in vorzüglichster Hochschätzung Hochderselben
ergebenster
+ Joseph Kessler
Bischof von Tiraspol
1Hds. vermutlich vom Verfasser eingefügt.
2Hds. vermutlich vom Verfasser gestrichen.
3Hds. vermutlich vom Verfasser gestrichen.
4Hds. vermutlich vom Verfasser gestrichen.
5Hds. vermutlich vom Verfasser gestrichen.
Empfohlene Zitierweise
Kessler, Josef Alois an Pacelli, Eugenio vom 24. Februar 1926, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 16289, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/16289. Letzter Zugriff am: 26.04.2024.
Online seit 29.01.2018.