Dokument-Nr. 16296
Lamboy, Johannes an Pacelli, Eugenio
Berlin, 21. Juni 1926

Eure Exzellenz!
Unterzeichneter kommt zu Ihnen im Auftrage des Hochwürdigen Herrn Prälaten Jos. Kruschinski. Bevor Sie mir gestatten, diese Aufträge Eurer Exzellenz gehorsamst zu unterbreiten, erlaube ich mir, eine dringende Bitte meines Auftraggebers vor Eurer Exzellenz zu wiederholen: alle schriftlichen Mitteilungen wie auch meine mündlichen Erläuterungen als streng vertraulich entgegennehmen zu wollen. Dieses "streng vertraulich" wird lediglich der Sache wegen erbeten.
Zur Sache selbst übergehend, erlaube ich mir Eurer Exzellenz im Namen meines Auftraggebers folgendes zu unterbreiten:
1.) Die religiöse Lage hat sich nicht gebessert, sondern es ist eher eine Verschlechterung festzustellen. So dürfen z. B. nicht nur die Beamten und die Arbeiter in den professionellen Verbindungen keine Kirche besuchen und keinerlei religiöse Zeremonien über sich ergehen lassen (wie Taufe, Trauung etc.) sondern es werden auch die Priester in den Städten verpflichtet, eine genaue Kontrolle über alle Kirchenbesucher zu führen.
2.) Meinem Auftraggeber ist strengstens untersagt mit Rom in irgend einer Weise zu verkehren. Bei dem letzten Besuch
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der Tscheka (G. P. U.), wohin mein Auftraggeber sehr oft verlangt wird, wurde ihm dies ganz ausdrücklich und unter Androhung von schweren Strafen auseinandergesetzt. Der kleinste Bewies [sic] eines Verstosses gegen diese Verordnung der Bolschewiken würde die schlimmsten Folgen nicht nur für die Administratoren persönlich, sondern auch in noch weit grösserem Masstabe für die Diözesen nach sich ziehen. Infolge der grossen Spionage, die im ganzen Lande herrscht, ist aus dieser Lage kein Ausweg zu finden, es sei denn, dass es dem hl. Stuhl gelänge, auf diplomatischem Wege dieses Hindernis zu beseitigen.
3.) Es ist für meinen Auftraggeber kein Geheimnis, dass die Sowjets durch diesen Druck auf die Leiter der Diözesen politische Vorteile erzielen wollen, indem sie im Stillen hoffen, durch solche Massregeln die Diözesen-Verwalter zu veranlassen, in Rom für eine Anerkennung der Sowjets de jure zu intervenieren. Die persönliche Stelleungnahme [sic] meines Auftraggebers in Frage der Anerkennung der Sowjets de jure durch den hl. Stuhl ist eine entschieden negative, da jedermann der die Sowjets auch nur einigermassen kennt, von der Nichteinhaltung der Sowjetversprechungen überzeugt ist.
4.) Um jedoch den Kontakt der Diözesenleiter mit dem hl. Stuhl aufrechterhalten zu können, erlaubt sich mein Auftraggeber Ew. Exzellenz folgenden Vorschlag zu unterbreiten:
Eine Vertrauensperson des hl. Stuhles als bischöflichen Ordinarisu [sic] unserer Diözese inoffiziell zu ernennen mit dem Sitz in Deutschland. Dieser unser Bischof wäre dann das Bindeglied zwischen den Diözesanleitern und dem hl. Stuhle. Am geeignetsten für dieses Amt findet mein Auftraggeber den Herrn Monsignore Dr. M. Glaser, Pfarrer von Kischineff, da er einerseits den Sowjets infolge der Angliederung Bessarabiens an Rumänien völlig unbekannt
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ist, und anderseits damit der heisseste Wunsch aller Priester der Diözese und des ganzen gläubigen Volkes in Erfüllung ginge. Dieser Vorschlag wurde von meinem Auftraggeber bereits einmal schriftlich unterbreitet.
5.) Betreffs Sr. Exzellenz Bischof Kessler ist mein Auftraggeber der festen Ueberzeugung, dass derselbe unter keinen Umständen mehr nach Russland zurückkehren darf, solange die Sowjets regieren. Infolge unvorsichtiger Briefe von seiten des Hochwürdigen Herrn Bischof Kessler [sic] an meinen Auftraggeber, kam letzterer oft in grosse Verlegenheit und Gefahr und wurde zur Verantwortung vor G. P. U. zitiert, wo er auch die Unmöglichkeit der Rückkehr des H. H. Bischof Kessler feststellen konnte.
Betreffs der materiellen Not der Kirchen, Geistlichen und eines Teils der Gläubigen der Diözese Tiraspol hat mich mein Auftraggeber gebeten, zu seinem Schreiben an Ew. Exzellenz nachstehende Erläuterungen abzugeben:
1.) Laut Gesetz der Sowjetregierung sind alle Kirchen verstaatlicht, werden aber den Gläubigen zur Benutzung überlassen unter der Bedingung, dass die Auslagen für Remont, Umzäunung etc. sowie eine ziemlich hohe Steuergebühr von den einzelnen Gemeinden bestritten werden. Sind die Gemeinden nicht imstande den vorschriftsmässigen Forderungen der Regierung nachzukommen, dann werden die Kirchen konfisziert und in Klubs und Kinos umgestaltet. Infolge der herrschenden Armut können die Gläubigen den Forderungen der Regierung nicht mehr nachkommen und besteht nun die grosse Gefahr, dass die Kirchen in den Städten und Industrieortschaften der Kon-
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fiskation anheimfallen, wie dieses mancherorts auch schon geschehen ist, z. B. Berdjansk, Enakiewo etc. Die Gläubigen dieser Ortschaften sind grösstenteils Arbeiter (Polen, Italiener, Armenier u. Deutsche), die eines kleinen Verdienstes sich erfreuen und gerne den Unterhalt ihrer Kirche und ihres Priesters durch monatliche Beiträge bestreiten. Die grossen Auslagen jedoch, wie Kapitalremont der Kirche, Umzäunung derselben etc. können die Gläubigen auch beim besten Willen nicht aufbringen. Die Umzäunung der Kirchen müsste auch aus dem Grunde noch durchgeführt werden, um verscheidene [sic] Entehrungen der Kirchen durch Aufklebung verschiedener Schmähschriften, Anhäufung von Kot und übelriechenden Unrat durch die Bolschewiken zu verhindern. Mein Auftraggeber bittet daher Ew. Exzellenz alle Mittel und Kräfte aufbieten zu wollen, um diese heiligen Stätten von der Konfiskation und dieser Entehrungen zu retten. Augenblicklich wäre diesem Unglück durch pekuniare [sic] Hilfe noch vorzubeugen und auch die bereits konfiszierten Kirchen könnten wieder zurückgewonnen werden.
2.) Im Falle einer Unterstützung des hl. Stuhles zu oben genannten Zwecken, gedenkt mein Auftraggeber den Remont der Kirchen folgendermassen durchzuführen:
in den Gemeinden werden Kollekten zwecks Remontierung der Kirchen veranstaltet. Zu den gesammelten Geldern fliesst eine Summe aus der Spende des hl. Stuhles nach Bedarf der zu remontierenden Kirche. Um bei der Regierung keinen Verdacht über die Herkunft der Gelder zu erwecken und keine Spur derselben in die Hände zu geben, werden diese nur durch eine einzige Vertrauensperson an die betreffenden Pfarrer persönlich übermittelt. Die Bestätigung der empfangenen Summen wird auf chiffriertem Wege durch die Geistlichen an meinen Auftraggeber eingesandt. Die allgemeine Empfangsbestätigung über die ganze Summe wird dem hl. Stuhl auf geheimem Wege durch
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meinen Auftraggeber zugestellt werden.
3.) Die materielle Lage der Priester ist sehr bedauernswert. Es ist wohl der Fall, dass die Gläubigen gerne nach Möglichkeit für den Unterhalt ihrer Priester aufkommen, aber zur Anschaffung der allernotwendigsten Kleidungsstücke, Wäsche und anderer Utensilien reicht es bei weitem nicht hin. Ich erlaube mir deshalb nicht im Namen meines Auftraggebers sondern aus eigener Initiative Ew. Exzellenz demütigst zu bitten, dem hl. Stuhl auch diese grosse Not unserer leidenden Geistlichen gütigst unterbreiten zu wollen.
4.) Zwei Teile der Diözese Tiraspol nämlich der Beresan bei Nikolaeff und der Kutschurgan bei Odessa sind im verflossenen Jahre durch eine totale Missernte heimgesucht worden. Infolgedessen haben diese Ortschaften sogar von der Sowjetregierung einige Privilegien erhalten. Schon seit vier Monaten haben die meisten Familien der genannten Ortschaften keinen Bissen Brot mehr. Ich konnte mich persönlich davon überzeugen, dass Brot aus Mais in genannten Gegenden als eine Seltenheit angesehen wird. Die Not daselbst ist eine verzweifelnd grosse. Mein Auftraggeber bittet Ew. Exzellenz ergebenst und fleht, dieser Armen beim hl. Stuhl besonders gedenken zu wollen.
Diese traurigen Umstände unserer schwergeprüften Diözese im Namen meines Auftraggebers Ew. Exzellenz in tiefster Demut unterbreitend, wage ich die grosse und inständige Bitte auszusprechen, Eure Exzellenz mögen gütigst bei unserem hl. Vater als Fürsprecher sich verwenden für jene Schäflein Seiner Herde, die zwar räumlich von Ihm entfernt,
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aber durch ihre unerschütterliche Treue ihm [sic] heiligen Glauben, durch ihre kindliche Liebe und Verehrung und nicht zuletzt durch ihre grosse Not Seiner Heiligkeit um so näher stehen.
Johannes Lamboi.
Empfohlene Zitierweise
Lamboy, Johannes an Pacelli, Eugenio vom 21. Juni 1926, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 16296, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/16296. Letzter Zugriff am: 24.11.2024.
Online seit 29.01.2018, letzte Änderung am 10.09.2018.