Dokument-Nr. 16465

Stiegele, Felix: Reichsgericht und Abbau bei Religiosengesellschaft, in: Deutsches Volksblatt, Nr. 30, 05. Februar 1924
Nach dem Erscheinen meines Artikels im „D. Volksbl.“ Kam mir eine neue Artikelserie des jetzigen Generalstaatsanwaltes in Stuttgart, Röcker, auf den Tisch geflogen. Darin behandelt Röcker noch einmal in drei Artikeln im „Schwäb. Merkur“ (Nr. 24,26 und 27 vom 29. Und 31. Jan. und 1. Februar 1924) die rechtliche Seite der Pfarrbesoldung in Württemberg. Eingehend widerlegt er darin erneut mit sachlich durchschlagenden Gründen die von Ministerialrat Mending vertretene Ansicht einer nur „teilweisen“ rechtlichen Verpflichtung des Staates zur Pfarrbesoldung. Die Artikel Röckers Verdienen, wie seine frühere Studie im August und September letzten Jahres, auch auf katholischer Seite eingehenste Beachtung; denn Röcker stellt ein= wandfrei die volle Besoldungspflicht des Staates fest.
Sein Urteil faßt Röcker schließlich im dritten Artikel ( „Schwäb. Merkur“ Nr. 27 vom 1. Febr.  1924) dahin zusammen:
Als auf „Gesetz“ und als auf „besonderem Rechts= titel“ beruhend, genießt deshalb die staatliche Besol= dungspflicht für die Geistlichen den Schutz des Art. 188 Abs. 1 und des Art. 178 der Reichs= verfassung; sie bleibt, ohne daß die aus ihr ent= springenden Leistungen von den Ländern verringert werden dürfen, so lange bestehen, bis dereinst die nach Art. 188 auf Grund eine Ausführungsgesetzes des Reiches vorzunehmende allgemeine Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen vollzogen sein wird. Aus diesem Grunde sind die Kirchen auch gegen die in § 68 der Württ. Personalab= bauverordnung vom 29. Dez. 1928 ver= fügte zwangsweise Kürzung der Leistun= gen des Staates zur Besoldung der Geist= lichen geschützt; diese Anordnung der württ. Ge= setzgebung ist mit der Reichsverfasssung unvereinbar und daher ungültig.
Dieses Urteil Röckers deckt sich vollauf mit der von mir hier vertretenen Rechtsauffassung, daß das Vorgehen der württ. Regierung, den personel= len aufwand der Kirchen um 15 Prozent zu kürzen, im Widerspruch mit der Reichsverfas= sung steht. Nach dem Urteil Röckers dürfte wohl die Regierung von der Durchführung ihres Vorgehens Abstand nehmen, da sonst vielleicht ein Appell an das Reichsgericht nach dem Vor= Gang von Sachsen nicht ausgeschlossen sein könnte.l Wenn einst das Reich von einem „Abbau“ auch bei den Religionsgesellschaften sprach, so hatte das= selbe dabei nur die neuesten freiwilligen Zu= schüsse im Auge, welche das Reich selbst in der letzten Zeit angesichts der ungenügenden Steuer= quellen der Länder den Religionsgesellschaften ge= währte. Nicht aber dachte es dabei an einen irgendwelchen Abbau der rechtlichen Verpflichtungen der Länder gegen die Kirchen, welche gerade die Reichsverfassung vor jedem zu frühen Abbau schützt.
Wenn bei der anerkannten Notlage der Staa= ten eine Religionsgesellschaft von sich aus dem Staat durch einen etwaigen freiwilligen Ab= Bau finanziell entgegenkommen will bzw. kann, so ist das in erster Linie ihre eigene Sache. Auf jeden Fall aber sollte sie dann, um ihre eigene finanzielle Bewegungsfreiheit sich nicht zu sehr durch das Entgegenkommen an den Staat einengen zu lassen, eine Erhöhung der Landeskirchensteuer vom Staat gewährt erhalten, und nur unter dieser Vorausetzung auf einen Abbau eingehen. Außerdem könnte natürlich ein Entgegenkommen der Kirchen nur stattfinden unter ausdrücklicher und voller Wahrung des Rechtsstan= des, damit den Kirchen aus dem eventuellen jetzi= gen Abbau nicht für später eine Schmälerung ihrer finanziellen rechtlichen Ansprüche an den Staat erwachsen kann.
Empfohlene Zitierweise
Stiegele, Felix, Reichsgericht und Abbau bei Religiosengesellschaftin: Deutsches Volksblatt, Nr.30 vom 05. Februar 1924, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 16465, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/16465. Letzter Zugriff am: 24.11.2024.
Online seit 18.09.2015.