Dokument-Nr. 17389
Referententwurf eines Gesetzes über die Verwaltung des Vermögens der Religionsgesellschaften (Kirchenvermögensgesetz), vor dem 08. Februar 1926
I. Bestimmungen für alle Religionsgesellschaften.
§ 1.
1. Jede Religionsgesellschaft ist innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes berechtigt, ihre Vermögensangelegenheiten durch eigene Satzung selbständig zu ordnen und nach Massgabe dieser Satzung zu verwalten.
2. Für die Satzung sind die §§ 2-5 massgebend.
§2.
Die Satzung muss den allgemeinen Anforderungen an eine geordnete Vermögensverwaltung entsprechen und auf die Interessen der Steuerpflichtigen gebührende Rücksicht nehmen. Sie darf mit staatlichem Recht nicht in Widerspruch stehen.
§ 3.
1. Die Religionsgesellschaft hat die Satzung vor ihrer Verkündung dem Ministerium des Kultus und Unterrichts zur Kenntnisnahme vorzulegen.
2. Dieses kann innerhalb eines Monats seit der Vorlegung Erinnerung bei der Religionsgesellschaft erheben. Die Erinnerung ist zu begründen; die Begründung kann sich nur darauf stützen, dass die Satzung dem § 2 dieses Gesetzes nicht entspreche.
3. Erfolgt keine Einigung zwischen dem Ministerium des Kultus und Unterrichts und der Religionsgesellschaften, so kann letztere innerhalb der Notfrist von einem Monat seit Eingang der Erinnerung gegen das Ministerium des Kultus und Unterrichts verwaltungsgerichtliche Klage vor dem Verwaltungsgerichtshof erheben. Der § 1 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes
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ist sinngemäss
anzuwenden. Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet über den Streitgegenstand unter Würdigung
aller in Betracht kommenden Tat- und Rechtsfragen.4. Neben oder statt der verwaltungsgerichtlichen Klage kann die Religionsgesellschaft innerhalb der Notfrist von einem Monat seit Eingang der Erinnerung auch Beschwerde an das Staatsministerium einlegen.
§ 4.
Die Religionsgesellschaft kann die Satzung wirksam erst verkünden, wenn entweder das Ministerium des Kultus und Unterrichts der Religionsgesellschaft schriftlich erklärt hat, dass es keine Erinnerung erhebe, oder wenn die Erinnerungsfrist (§ 3 Abs. 2) ohne Erinnerung verstrichen ist oder wenn vor oder nach Einlegung der Erinnerung eine Einigung zwischen dem Ministerium des Kultus und Unterrichts und der Religionsgesellschaft stattgefunden oder wenn das Ministerium des Kultus und Unterrichts seine Erinnerung der Religionsgesellschaft gegenüber zurückgezogen oder wenn der Verwaltungsgerichtshof oder das Staatsministerium festgestellt hat, dass die Erinnerung unzulässig oder sachlich unbegründet ist.
§ 5.
Sobald eine der in § 4 gesetzten Bedingungen erfüllt ist, kann die Religionsgesellschaft verlangen, dass das Ministerium des Kultus und Unterrichts die Satzung sowie den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens im staatlichen Gesetz- und Verordnungsblatt zur Kenntnisnahme bekanntgibt.
§ 6.
Das Ministerium des Kultus und Unterrichts ist berechtigt, Gesetzwidrigkeiten bei Verwaltung des Vermögens der Religionsgesellschaften zu beanstanden und auf deren Beseitigung hinzuwirken.
§ 7.
Die Erwerbung, Veräusserung und Belastung von Vermögen - auch von Grundstücken - durch die Religionsgesellschaften sowie die Veränderung
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des
Grundstocks bedürfen als solche keiner staatlichen Genehmigung; die entgegenstehenden
Vorschriften werden aufgehoben mit Ausnahme der Bestimmungen des Stiftungsgesetzes, welche
bestehen bleiben, soweit nicht in § 12 des gegenwärtigen Gesetzes etwas anderes bestimmt
ist.§ 8.
Die Religionsgesellschaften dürfen bewegliche Gegenstände, die einen geschichtlichen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Wert haben und deren Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt, bei Vermeidung der Ungültigkeit des Vertrags nur mit Genehmigung des Ministeriums des Kultus und Unterrichts oder der von diesem zu bezeichnenden Behörde veräussern, verpfänden, wesentlich verändern oder aus dem Reichsgebiet ausführen.
II. Besondere Uebergangsbestimmung für die römisch-katholische, für die vereinigte evangelisch-protestantische und für die alt-katholische Kirche.
§ 9.
Die in § 10 Abs. 1 des Kirchengesetzes vom 4. Juli 1918 angeordnete gemeinsame Leitung der kirchlichen Vermögensverwaltung durch Staat und Kirche und die darauf beruhenden staatlichen Vorschriften treten für eine einzelne Kirche ausser Wirkung, sobald diese die aussschliesslich kirchliche Leitung der Vermögensverwaltung durch Satzung und Massgabe der §§ 2 bis 4 dieses Gesetzes angeordnet hat. Den Zeitpunkt des Ausserkrafttretens der gemeinsamen Leitung gibt das Ministerium des Kultus und Unterrichts auf Antrag und im Einverständnis mit der Kirche durch Verordnung bekannt. Die Kirche kann ohne vorhergehende oder gleichzeitige Einführung der ausschliesslich kirchlichen Leitung andere Gegenstände der Vermögensverwaltung nicht durch eigene Satzung nach Massgabe der §§ 1-5 ordnen.
III. Schlussbestimmungen.
§ 10.
Die bisherigen oder die künftigen Vorschriften über die Ordnung oder Verwaltung der Vermögensangelegenheiten der Religionsgesellschaften gelten solange fort, bis sie nach den §§ 2-4 oder 9 dieses Gesetzes durch
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neue Vorschriften ersetzt sind.§ 11.
Die Vorschriften dieses Gesetzes gelten auch für das durch kirchliche Besteuerung eingehende Vermögen der Religionsgesellschaften.
§ 12.
Das Stiftungsgesetz vom 19. Juli 1918 wird wie folgt geändert:
1.) Bei § 1 ist a) in Absatz 2 "Reinwerte" statt "Werte" zu setzen;
b) folgender Absatz 3 anzufügen: Für den die Stiftungen begründeten privatrechtlichen Akt (§ 11 Abs. 3) gelten die Vorschriften der §§ 81-84 des bürgerlichen Gesetzbuches.
2.) § 6 erhält folgende Fassung: Eine neue rechtspersönliche Stiftung kann auch dann als einheitliche Stiftung genehmigt werden, wenn ihre Zwecke teils kirchlich, teils weltlich (gemischt; § 4 Abs. 1) sind, oder wenn die - ausschliesslichen oder neben dem kirchlichen Zweck gewollten - weltlichen Zwecke so verschiedenartig sind, dass im Fall einer nachträglichen Trennung der Stiftung nach ihren Zwecken gemäss § 10 eine Beteiligung verschiedenartiger weltlicher Verwaltungsbehörden in Frage käme. Die genehmigte staatliche Behörde entscheidet auch darüber, welche Behörde die neue Stiftung verwaltet. Hat der Stifter einer neuen gemischten Stiftung in dem Stiftungsgeschäft (§ 1 Abs. 3) oder nachträglich schriftlich erklärt, dass die Verwaltung der kirchlichen Behörde zustehen soll, so ist dies massgebend; im übrigen entscheidet die staatliche Behörde, soweit keine bindenden Vorschriften bestehen, nach pflichtgemässem Ermessen; sie kann ihre Entscheidung auch nachträglich wieder ändern.
3.) Bei § 10 ist a) in Abs. 3 die Wendung "nach den Vollzugsbestimmungen zu § 10 des Kirchengesetzes v. 9. Okt. 1860" zu streichen;
b) folg. Abs. 4 anzufügen: Die Zusammenlegung solcher kirchlicher Stiftungen, welche innerhalb desselben Pfarrbezirks bestehen und für Gottesdienst und Seelsorge, kirchliche Bauten, Kirchenämter und
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andere Seelsorgestellen, Kirchenmusik und
Religionsunterricht bestimmt sind, richtet sich nach den Grundsätzen des kirchlichen Rechts
und steht der Kirchenbehörde ohne Mitwirkung des Staates zu.4.) In § 11 Abs. 2 Ziff. 2 ist statt "(§§ 4 und 6)" zu setzen: "(§ 4) oder infolge der Entscheidung nach § 6".
§ 13.
1. Was in diesem Gesetz hinsichtlich der Verwaltung des Vermögens der Religionsgesellschaft selbst bestimmt ist, gilt auch für die Verwaltung des Vermögens ihrer Unterorganisationen.
2. Das in den §§ 1-5 geregelte Recht, eine eigene Satzung zu erlassen, steht nur der Religionsgesellschaft selbst zu; die Satzung der Religionsgesellschaft bindet aber in den Schranken dieses Gesetzes auch die Unterorganisationen.
§ 14.
Das Ministerium des Kultus und Unterrichts wird - soweit erforderlich im Benehmen mit dem Ministerium des Innern - mit dem Vollzug dieses Gesetzes beauftragt.
§ 15.
Dieses Gesetz tritt mit dem Tag in Kraft, welcher auf die Verkündung folgt.