Dokument-Nr. 1778
[Matt, Franz]: Allegato al Rapporto N. 23244. [München], vor dem 10. Februar 1922
Art. 141 der RV. sieht vor, daß "soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen sind".
Die Fassung der Ziff. XVI geht viel weiter. Sie fordert die "Einrichtung einer regelmäßigen Seelsorge" in diesen Fällen und zwar, soweit es sich um Anstalten des bayerischen Staates handelt, auf Kosten des bayerischen Staates und außerdem die oberhirtliche Befugnis zur Aufstellung der entsprechenden Anzahl von Geistlichen.
Nach der heutigen Rechtslage im Reiche besteht ein gesondertes bayerisches Heereskontingent nicht mehr; es gibt vielmehr nur eine Reichswehr als Reichseinrichtung. Vorkehrungen für entsprechende Seelsorge gegenüber den Angehörigen der Reichswehr bilden mithin nicht mehr eine Sorge des Staates Bayern, sondern des Reiches. Für eine Bestimmung über die Seelsorge im Heere fehlt daher in dem neuen Konkordate zwischen dem Hl. Stuhle und Bayern die tatsächliche Unterlage. Für das Gebiet der Anstaltsseelsorge machen sich ähnliche Erwägungen geltend, soweit Erholungs-, Versorgungs- usw. Anstalten in Frage stehen, die auf reichsgesetzlicher Grundlage beruhen, z. B. Versicherungsanstalten, reichsrechtliche Fürsorge-, Erziehungsanstalten udgl.
Soweit es sich um Anstalten handelt, deren Unternehmer nicht der bayerische Staat, sondern Kommunen oder Kommunalverbände, Stiftungen, Privatpersonen usw. sind, könnten solche Leistungen und
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ein kirchliches Anstellungsrecht in Bezug auf Hausgeistliche
nur auferlegt werden, wenn die Reichs- oder Landesverfassung dafür eine Grundlage bieten
würde. In keiner der beiden Verfassungen findet sich jedoch eine solche. Ob sich für die
Schaffung einer solchen Grundlage über den Art. 141 der Reichsverfassung hinaus im
Reichs- oder Landtage eine Mehrheit finden würde, dürfte fraglich erscheinen.Soweit an solchen Anstalten bisher schon Anstaltsgeistliche vorhanden sind, handelt es sich entweder um Stellen mit pfründerechtlicher Grundlage, deren Besetzung sich teils im Wege der "libera collatio", teils durch Präsentation vollzog, oder um Stellen mit vertragsmäßiger Grundlage, deren Übertragung durch vertragsmäßige Vereinbarung zwischen dem Anstaltsunternehmer und dem betreffenden Geistlichen geschieht. Hieran wird durch ein Konkordat schwerlich etwas geändert werden können.
Soweit Anstalten des Staates Bayern in Frage kommen, ist die Sachlage im Wesentlichen folgende:
Wo ein Bedürfnis besteht ist schon jetzt eine entsprechende Anstaltsseelsorge eingerichtet, wenn die Anstaltsinsassen den allgemeinen Pfarrgottesdienst nicht besuchen dürfen, wie bei Strafanstalten, Zwangserziehungsanstalten usw. Die Anstaltsgeistlichen befinden sich im Dienste des Staates, haben daher auch die Eigenschaft und die Rechte von Staatsbeamten oder Staatsangestellten. Eine Einvernahme der kirchlichen Oberbehörde bei der Besetzung dieser Stellen liegt in der Natur der Sache. Die Einräumung eines Anstellungsrechtes an die kirchlichen Oberbehörden begegnet, soweit es
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sich um Beamte für die Anstaltsseelsorge handelt, denselben
Bedenken, die schon bei Ziff. II, III, IV Satz 2 geltend gemacht wurden. Da die Anstaltsseelsorge grundsätzlich einen Teil der allgemeinen Pfarrseelsorge bildet, und soweit nicht besondere Anstaltsgeistliche bestellt sind, von der Pfarrgeistlichkeit auszuüben ist, dürfte der Zweck, der mit Ziff. XVI der Vorschläge angestrebt ist, im Wesentlichen durch eine konkordatmäßige Zusicherung des Inhaltes erreicht werden können, daß der Staat sich verpflichtet, in seinen Anstalten je nach Bedarf für entsprechende seelsorgliche Bedienung der Anstaltsinsassen, sei es durch eigens bestellte Geistliche oder auf sonstige Weise auf seine Kosten zu sorgen, und bei der Genehmigung von Anstalten anderer Unternehmer tunlichst dafür Sorge zu tragen, dass die Anstaltsinsassen dem jeweiligen
Bedürfnis entsprechend seelsorglich bedient werden.
Ziff. XVII und XVIII.
Ziff. XVII.
"Der Staat verpflichtet sich, die Anordnungen der kirchlichen Behörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit anzuerkennen und im Bedarfsfall zur Ausübung seine Unterstützung zu gewähren, wenn dieselbe erbeten wird."
Ziff. XVIII.
"In Ausübung ihres Amtes genießen die Geistlichen den Schutz des Staates, der Verunglimpfungen ihrer Person und Störungen ihrer Amtshandlungen nicht zuläßt bzw. ahndet".
Nach Art. 137 Abs. III der Reichsverfassung "ordnen die Religionsgesellschaften ihre Angelegenheiten selb-
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ständig
innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes". Mit dieser Abgrenzung ist damit
die staatliche Anerkennung der kirchlichen Anordnungen zum Ausdruck gebracht. Das besondere
Kirchenhoheitsrecht des früheren Staatskirchenrechtes und die darauf beruhende Befugnis zu
besonderem religionspolizeilichem Eingreifen, zu einem jus. advocatiae (vgl.
Tit. IV § 9 Abs. 5 und 7 der Ver. Urk. von 1918 und §§ 51, 52,
56, 71, 80 ff. der II. Verf. Beil. von 1818) bestehen nicht mehr und können
auch vertragsmäßig nicht mehr aufgerichtet werden. Eine Mitwirkung des Staates bei
Durchführung kirchlicher Anordnungen über den Rahmen des gemeinen Rechtes hinaus kann daher
nicht zugestanden werden. Auch die Religionsdiener der einzelnen Religionsgesellschaften haben nur Anspruch auf den staatlichen Schutz "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes".
Auf dem Gebiete, das durch die Fassung der Ziff. XVIII berührt ist, kommt in der Hauptsache nur die Reichsstrafgesetzgebung und zum aller geringsten Teile die Landespolizeistrafgesetzgebung in Frage.
Mit der II. Verfassungsbeilage von 1918 ist auch ihr § 30 gefallen. Bei der Beratung der neuen Landesverfassung in Bamberg 1919 wurde ein Versuch, die Wiederaufnahme einer Bestimmung im Sinn des § 30 der seitherigen II. Verfassungsbeilage durchzusetzen angesichts der hiegegen erhobenen Einwendungen wieder aufgegeben.
Auch Art. XIV des Konkordats von 1817 hatte keine unmittelbar praktische Bedeutung; die Möglichkeit einer
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Verhaftung, einer Beschlagnahme, einer Strafverfolgung oder
Bestrafung hat sich nicht nach seinem Inhalte bemessen, vielmehr lediglich nach dem
jeweiligen Reichs- und Landesstrafrechts.Soweit gegenüber Geistlichen Delikte begangen werden, die nur auf Antrag verfolgbar sind, ist es Sache der betreffenden Geistlichen durch Strafantrag diese Verfolgung herbeizuführen. Soweit Delikte in Frage kommen, die von amtswegen verfolgt werden, wird die Anklagebehörde das Geeignete veranlassen. Eine privilegierte Behandlung der Geistlichen der katholischen Kirche läßt sich daher mit der heutigen Rechtslage nicht vereinigen.
Schon erscheint mir eine Aufnahme der Vorschläge unter Ziff. XVII und XVIII in das abzuschließende Konkordat aus rechtlichen Gründen nicht angängig.