Dokument-Nr. 18543

[Sonntag, Josef]: Kapital und Wirtschaft. Tägliche Sonderinformationen. Nr. 25. Berlin-Steglitz, 30. Januar 1925

Als Manuskript gedruckt.
Nachdruck verboten.
Börse.
Wenn auch noch fast bis zur letzten Börsenstunde des zu Ende gehenden Monats die Lage des Marktes unsicher bleiben dürfte, so hat er doch eine gewisse Erleichterung durch die erledigte Prämienerklärung erfahren, nach der sich alsbald Ansätze zu einer Erholung bemerkbar gemacht haben. Daher glaubt man, daß die mancherseits gleichwohl immer noch gehegten Besorgnisse wegen der Ueberwindung des Ultimo sich schließlich nach alter Erfahrung zum mindesten als übertrieben, wenn nicht als grundlos herausstellen werden. Immerhin bleibt die Geldnachfrage noch sehr belangreich. Manche Geldgeber verhalten sich aber bereits entgegenkommender, und gegen gute Unterlagen ist der Geldbedarf auch in ansehnlicher Höhe ziemlich leicht zu befriedigen. Es ist kaum daran zu zweifeln, daß im neuen Monat die seitherige Geldflüssigkeit bestehen bleiben wird und daß hierdurch das Börsengeschäft von neuem angeregt werden dürfte. Für diese Annahme spricht auch die Tatsache, daß die Industriekonzerne sowie das Ausland auch weiterhin Käufer für die Aktien der Schwerindustrie bleiben.
Für diese anhaltenden Käufe der westdeutschen Industrie scheinen zum großen Teil die Entschädigungen für die Besetzungsschäden verwandt zu werden, die allein an den Ruhrbergbau in Höhe von 550 Millionen M. ausgezahlt worden sind, wie im Reichstagsausschuß von der Regierung mitgeteilt wurde. Bemerkenswert für die innere Grundlage der Börse ist ferner die Beobachtung, daß durch die letzthin zur Schwäche neigende Tendenz des Marktes sich das Publikum nicht hat zu Verkäufen verleiten lassen. Man hat bei der Bankenkundschaft vielfach eher die Neigung zu weiteren Käufen zu den nachgebenden Kursen wahrnehmen können, und daraus müßte man folgern, daß die Kauflust des Publikums auch im Februar kräftiger hervortreten wird, besonders wenn der letzte Börsentag im Januar ohne Schwierigkeiten ablaufen würde und wenn der Geldmarkt, wie zu erwarten, flüssig bleibt. Es wird nicht für ausgeschlossen gehalten, daß auch die deutschen Anleihen sich wieder von ihrem Tiefstand erholen werden, zumal
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die Aufwertungsfrage noch sehr lebhafte Erörterungen hervorrufen wird.
In den Generalversammlungen der Deutschen Petroleum-A.-G. und der Rütgerswerke ist eine Opposition nicht hervorgetreten, wie nach den vorangegangenen Aufkäufen in Rütgers-Aktien zu erwarten gewesen wäre, die tatsächlich, wie hier bereits früher mitgeteilt, für Rechnung der Stadt Berlin erfolgt sind. Ausgeführt wurden die Käufe durch die mit der Stadt in engeren Beziehungen stehende Bankfirma Jacquier u. Securius, deren Inhaber der frühere Stinnes-Direktor Minoux ist. Es hat offenbar vor den Versammlungen und hinter den Kulissen eine Verständigung stattgefunden, so daß die Versammlungen glatt verliefen. Vertreter der Berliner Städtischen Gaswerke A.-G. sowie Herr Minoux wurden in die Aufsichtsräte beider Gesellschaften gewählt. An der Uebernahme des ganzen umgestellten Aktienkapitals der Deutschen Petroleum-A.-G. durch die Rütgerswerke, die zu diesem Zweck eine Kapitalerhöhung beschlossen haben, wurde von keiner Seite Kritik geübt, obwohl das Geschäft für die Rütgerswerke vielfach nicht gerade als vorteilhaft angesehen wird, die anscheinend unter einem gewissen Zwang gestanden haben, als sie sich zur Uebernahme der Deutschen Petroleum-A.-G. bereit finden ließen.
Die Erklärung hierfür wurde in der Generalversammlung durch den Vorsitzenden, Direktor Dr. von Stauß von der Deutschen Bank, verraten, der mitteilte, daß die Gesellschaft eine nicht unerhebliche Bankschuld gehabt habe. Die Gläubigerin, die Deutsche Bank, hat nun die Notlage der Rütgerswerke benutzt, um diesen die Deutsche Petroleum-A.-G. aufzudrängen. Es bleibt abzuwarten, wie die Fusion auf den Kurs der Rütgerswerke-Aktien wirken wird, nachdem die Aufkäufe durch die Stadt eingestellt worden sind. Gegenwärtig wird allerdings der Markt der Petroleumwerte wieder beherrscht durch Gerüchte von einer Annäherung der Deutschen Erdöl-A.-G. an Rütgers-Petroleum. Anderseits aber sagt man der Deutschen Erdöl-A.-G. auch Absichten auf die Rheinische Braunkohlen-A.-G. nach, da die erstere Gesellschaft ja bekanntlich eine Ausdehnung ihrer Braunkohleninteressen und eine Abtrennung der Petroleumgeschäfte plant. In allen diesen Aktien waren rheinische Käufe zu beobachten.
Die Verwaltung der Vereinigten Metallwarenfabriken A.-G. vorm. Haller u. Co. in Altona-Ottensen beabsichtigt eine Zusammenlegung des 20 1/2 Millionen betragenden Aktienkapitals auf 4 1/2 Millionen Rm. Das Vorkriegskapital betrug nur 3 Millionen und wurde während der Inflation mehrfach erhöht, wobei der Gesellschaft ca. 1/2 Millionen Goldmarkt zugeflossen sein dürfte. Die Vorkriegs-Hypotheken-Schuld stellte sich auf 140.000 M. Es ergibt sich also ein erheblicher Substanzzuwachs, der namentlich auf gute Beschäftigung in den letzten Jahren zurückzuführen ist und auch darin zum Ausdruck kommt, daß sich der Umfang des Grundbesitzes verdoppelt hat.
Die Vereinigten Deutschen Petroleumwerke in Delheim bei Peine, deren Aktienkapital sich zum größten Teil in Händen der Deutschen Erdöl-A.-G. befindet, legen ihr unverwässertes Vorkriegskapital von 1.006.000 M. im Verhältnis 50:1 auf 20.120 Reichsmark zusammen. Der Substanzverlust ist darauf zurückzuführen, daß die Gesellschaft eine wertvolle Vorkriegsbeteiligung an der Petroleum-A.-G. Karpathen durch den Krieg verloren hat. Auch der Betrieb in Delheim, der früher gut ging, liegt darnieder.
Bei der Ludwig Wessel A.-G. für Porzellan- und Steingutfabrikation in Bonn wird das Aktienkapital von 10 Millionen Mark auf 1 Million Rm. zusammengelegt und kommt dabei wesentlich unter das Vorkriegskapital von 2.625.000 M. Die Vorkriegsobligationsschuld stellte sich auf 1.162.000 M., so daß sich ein Kapitalsverlust von etwa 2/3 des Aktienkapitals ergibt.
Ziemlich unbemerkt vollzieht sich am Markt der Bahnaktien, insbesondere der deutschen Kleinbahnen, eine Aufwärtsbewegung. Einerseits ist hierfür die günstige Geschäftslage dieser Unternehmungen, die aus den hohen Reichsbahntarifen Nutzen ziehen, maßgebend, andererseits sollen staatliche Aufkäufe vorliegen, was aber bisher von den zuständigen Stellen stets in Abrede gestellt worden ist.
Eine langsame Aufwärtsbewegung erfahren die Aktien des Warenhauses Rudolf Karstadt in Hamburg. Es sollen angeblich Käufe seitens einer amerikanischen Gruppe erfolgen.
Wenn die Roggenrentenbriefe nicht in demselben Maße gestiegen sind wie die Getreidepreise, so ist dies darauf zurückzuführen, daß die Zinsscheine erst am 1. April fällig sind und man bis dahin mit einem Sinken der Preise der landwirtschaftlichen Produkte rechnet.
In Wallstreet war das Gerücht verbreitet, daß eine Anzahl bisher unabhängiger Oelgesellschaften einen großzügigen Zusammenschluß unter dem Namen American Petroleum Company planen. Die im Zusammenhang damit genannten Konzerne sind die Pan-American-Petroleum and Transport Company, die Maryland Oil Company, Cosden und Co., die Philipps Petroleum Company, Simms Petroleum, die Pierce Oil Corporation und die Skelly Oil Company.
Aus Spanien wird gemeldet, daß die Dividende von 4 Prozent der Deutschen Ueberseebank großes Interesse in Spanien hervorgerufen habe. Mit einem Kapital von 30.000.000 Goldmark und einer Reserve von 7.000.000 wird die Lage der Bank als höchst befriedigend angesehen, besonders wenn man bedenkt, daß die meisten deutschen Banken gar keine Dividende verteilt haben. Diese Tatsache sei um so erfreulicher, als gerade Spanien wirtschaftlich schwere Zeiten durchgemacht habe.
Handel.
Zwischen deutschen und französischen Industriegruppen finden zurzeit Verhandlungen statt zwecks Bildung von Interessentenkartellen. So wird bereits von einem neuen Kartell der Sammetfabriken Frankreichs und Deutschlands berichtet, und zwar mit weitgehendem Uebereinkommen. Auch zwischen der Gruppe der metallurgischen Produkte in Pont-à-Mousson und deutschen Kontrahenten finden ähnliche Verhandlungen statt, ebenso zwischen der französischen Elektrizitäts-Industrie und der AEG., die bereits vor dem Abschluß stehen sollen. Alle diese Verhandlungen sind rein private, von den Industriellen selbstständig geführte, die Preiskautelen für den Fall einer Zollkriegsbewegung schaffen sollen, um den Absatz (durch Export) und somit die Produktion nicht zu gefährden.
Industrie.
Auf die Mängel des Industrie-Belastungsgesetzes und dessen besondere Härte für Firmen des besetzten Gebietes macht ein großes Industriewerk in folgender Zuschrift aufmerksam:
"Nach den gesetzlichen Vorschriften wegend der Industriebelastungen wird bei Aktiengesellschaften das Eigenvermögen nach dem Steuerkurs vom 31. Dezember 1923 errechnet, gleichgültig ob gegen diese für die Vermögenssteuer zugrunde gelegten Ermittlungen Beschwerde eingelegt ist oder nicht. Diese Art der Errrechnung ergibt für unsere Gesellschaft ein Eigenvermögen von 18.000.000 Goldmark, unsere Goldmark-Eröffnungsbilanz, wie sie nach bestem Wissen aufgestellt ist, zeigt jedoch einen Ueberschuß der Aktiven über die Passiven von nur 3,5 Millionen G.-M. Die örtlichen Steuerbehörden erkennen auch wohl die unrichtige Veranlagung nach dem Maßstabe des Steuerkurses an, sind jedoch nicht in der Lage, irgendwelche Zugeständnisse zu machen, sondern durch die Bestimmungen des Gesetzgebers gezwungen, von uns die Anerkennung einer Obligationsschuld von 17,1 Prozent von 18 Millionen G.-M. zur fordern; sie weisen darauf hin, daß für die für die Verzinsung und Amortisationen in Frage kommenden Beträge durch Heranziehung weiterer (im Industrie-Belastungsgesetz als Obligationsträger jedoch nicht erscheinenden) Gewerbe eine Entlastung der Obligationsschuldner eintreten wird. Sie weisen weiter darauf hin, daß das Gesetz vorsieht, von Jahr zu Jahr oder in größeren Zwischenräumen, neue Feststellungen wegen des Eigenvermögens zu machen, um so eine gerechtere Verteilung der Lasten zu erreichen.
Da auf Grund der Errechnungen durch den Steuerkurs das Eigenvermögen unserer Gesellschaft 13 Millionen G.-M. übersteigt, werden wir in den Kreis jener Obligationsschuldner einbezogen, die aufgefordert werden können, an Stelle der Gesamt-Obligation zur Verfügung des Treuhänders Einzel-Obligationen auszustellen. Da wir hierzu auch nur dem Buchstaben nach, nicht aber nach den Wünschen des Gesetzgebers und den Absichten des Treuhänders verpflichtet sind, weil ja unser wirkliches Eigenvermögen weit hinter M. 13.000.000,- zurückbleibt, gibt es angeblich die Möglichkeit, sich der Ausstellung dieser Einzelobligationen zu entziehen, indem man nach Aufforderung durch den Treuhänder
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beim Reichsfinanzhof Einspruch erhebt, um so eine Schätzung des wirklichen Eigenvermögens herbeizuführen, worauf man unter Umständen von der Ausstellung der Obligationen entbunden werden kann.
Es bleibt also das nach kaufmännischen Gesichtspunkten außerordentlich merkwürdig anmutende Bild, daß der Gesetzgeber die Anerkennung einer Schuld in Form eines Schuldversprechens fordert, daß er gleichzeitig das schriftliche Versprechen für bestimmte Amortisationen und Zinsen auf Grund der Ausführungsbestimmungen erzwingen will, auch wenn ihm der Beweis angeboten wird, daß die zu übernehmenden Verpflichtungen entsprechend dem tatsächlichen Eigenvermögen um ein Vielfaches zu groß sind. Das Zugeständnis, daß nachträglich eine Berichtigung vorgenommen werden kann, mutet sonderbar an; denn durch Vollziehung der Unterschrift liefert sich der Obligationsschuldner zunächst den Gläubigern voll und ganz aus und ist letzten Endes darauf angewiesen, in dem dornenvollen Wege des Gesuchs eine Erleichterung seiner Lage zu suchen.
Den Eindruck einer besonderen Härte erweckt diese unglückliche Art der Lastenverteilung auf Firmen des besetzten Gebietes, deren Eigenvermögen unbeschadet von Börsenkursen und Sonstigem doch auch durch die Verhältnisse der Jahre 1923 und 1924 in vielen Fällen erhebliche Einbußen erlitten hat, Verluste, die die Industrie im Interesse des Reichs getragen und deren Rückvergütung nur mit wenigen Prozenten zu einem noch nicht näher umrissenen Zeitpunkte erwarten werden kann."
Der Leiter eines großen Industriewerks schreibt mir: "Ich habe Ihre Aufmerksamkeit schon einmal auf das Verhältnis der Deutschen Werke zum Staate gelenkt, jedoch leugnen die Deutschen Werke jede staatliche Unterstützung. Heute nun lese ich in der Zeitschrift "The Motor Cycle" (in einem Auszug des A.D.A.C.-Sportblattes Nr. 6) die Bemerkung eines Engländers über die Deutsche Automobilausstellung, "das 500-Kubikzentimeter-D-Rad, welches von einer staatlich unterstützten Fabrik hergestellt wird..." So weiß also auch das Ausland über die Verhältnisse Bescheid."
Aus Amerika wird berichtet, daß das neue Oelfeld Worthem [sic] in Texas eine Rekordproduktion von 170.000 Barrels erreichte. Dieser Erfolg ist auf die große Beschleunigung zurückzuführen, mit der dieses Feld aufgeschlossen wurde. Bohrungen wurden innerhalb von 16 bis 18 Tagen niedergebracht. Augenblicklich schweben Verhandlungen mit einem Landeigentümer, um ein weiteres großes Oelfeld in Texas in einer Größe von 160.000 Acker aufzuschließen. Im übrigen vermehrt sich der Weltölbedarf andauernd derartig stark, daß die Mehrförderung durch den Aufschluß neuer Felder keine Ueberschwemmung des Oelmarktes hervorrufen kann.
Nach einer neuerlichen Meldung aus New York drohen aber die Quellen in Wortham zu versiegen. Die Tagesausbeute geht ständig zurück und beträgt nur noch 80.000 Faß.
Landwirtschaft.
Die Kreditnot der Landwirtschaft hat die Preußische Hauptlandwirtschaftskammer veranlaßt, bei dem zuständigen Reichs- und Staatsbehörden auf eine vorübergehende anderweitige Regelung bei der Erbteilung hinzuwirken. In den Gegenden, in denen Kapitalauszahlung im Erbfall üblich ist, wird der gutsübernehmende Erbe unter den schwierigen Geldbeschaffungsverhältnissen bei einer dahingehenden Forderung der Miterben in schwerste Bedrängnis gebracht und die Existenz des Wirtschaftsbetriebes in Frage gestellt. Es wird daher empfohlen, hypothekarische Sicherheiten zu bieten, und für die deutschen Verhältnisse eine ähnliche Regelung anzubahnen, wie sie sich in der Schweiz seit fast drei Jahrzehnten bewährt hat.
Australien und Neuseeland haben die Belieferung des englischen Marktes mit Butter verstärkt in Angriff genommen. Seit Anfang Dezember sind 1.250.000 Kisten Butter nach England gebracht worden, d.h. 2 1/2 mal mehr als im vorigen Jahre. Hierdurch sind die Preise auf dem englischen Markt gesunken. Dänemark, bisher der Hauptlieferant, fühlt diese Konkurrenz sehr stark, da die neuseeländische Butter der dänischen an Güte nicht nachsteht. England bevorzugt die Erzeugnisse der Dominions, so daß zu erwarten steht, daß die dänische Butter nunmehr in größerem Maße auf den deutschen Markt kommt. Hierdurch würden die Preise für Inlandsbutter weiter sinken. Eine starke Zunahme hat der finnische Butterexport im Jahre 1924 zu verzeichnen. Es wurden 8.100.000 Kilo exportiert, d.h. 1.700.000 Kilo mehr als im Vorjahre. Diese Ziffern bewegen sich aber noch stark unter denen des Jahres 1913, in welchem Finnland 12,6 Millionen Kilo exportierte. Die Qualität der finnischen Exportbutter ist gut. Die Engrospreise weisen in letzter Zeit eine schwächere Tendenz auf.
Ausland.
Nach dem Monthly Journal der Johannesburger Handelskammer betrug die Gesamteinfuhr und Ausfuhr der südafrikanischen Union in der ersten Hälfte des Jahres 1924 31.591.325 Lstr. bezw. 38.946.917 Lstr., verglichen mit 26.886.374 Lstr. bezw. 36.398.591 Lstr. in derselben Zeit 1923. Die Einfuhr wurde in folgenden Artikeln vermehrt: Regierungslieferungen 1.500.000 Lstr., Motorwagen 700.000 Lstr., Maschinen 540.000 Lstr., Textilwaren 550.000 Lstr., Eisen und Stahl 300.000 Lstr., Oel 100.000 Lstr., Leder und Lederwaren 100.000 Lstr. und elektrische Bedarfsartikel 60.000 Lstr. Eine Vermehrung war praktisch in allen Textilgruppen zu verzeichnen, ausgenommen in Hosen, deren Einfuhr um 380.000 Lstr. abnahm, so daß insgesamt, abgesehen von der erwähnten Abnahme, die Textileinfuhr um 970.000 Lstr. zunahm.
Dem Werte nach war die Einfuhr von Nahrungsmitteln und Getränken unverändert, dagegen sind verschiedene Umgruppierungen in diesen Artikeln erfolgt. Die Buttereinfuhr stieg um 613 Tonnen und die von Butterersatzstoffen um 250 Tonnen. Die Weizeneinfuhr war um 2121 Tonnen größer, dagegen die von feinem Weizenmehl um 4138 Tonnen geringer. Außerdem nahm die Einfuhr zu: von Käse um 100 Tonnen, von Perlgraupen um 150 Tonnen, von Hafergrütze, Konserven, Schweinefleisch, konservierten Fischen und Zuckerprodukten. Die Einfuhr von Zucker nahm um 2.372 Tonnen ab, außerdem die von Reis, kondensierter Milch, Kaffee, Tee und Spirituosen. Besonders stark sank die Einfuhr gewisser Rohmaterialien, wie Rohglyzerin, Stickstoffprodukte, Teer und Wachs, während die Einfuhr von Talg und Schmiermittel sich erhöhte.
Die Vermehrung der Ausfuhr um 2 1/2 Millionen ist dem Export von Wolle, Gold und Diamanten und den höheren Preisen für geringwertige Metalle zuzuschreiben. Geringer war die Ausfuhr von Fellen und Häuten, frischen Früchten, Asbest und Korund. - Unter der Ausfuhr von Nahrungsmitteln und Getränken nahm die von konservierten und frischen Fischen und die von Maismehl zu. Dagegen nahm ab die von Mais, Zucker, Hafer und Butter.
Die Ukrainische Berufsvereinigung für Handel und Industrie gibt über die Handelslage der Ukraine einen viel ungünstigeren Bericht, als es kürzlich im Sowjetparlament der Fall war. Die Anstrengungen, die gemacht wurden, um die Kohlenförderung der Ukraine zu beleben, mußten aufgegeben werden, und die Produktion ging auf ein Minimum zurück, weil die Kohle wegen ihres hohen Preises nicht verkauft werden konnte und es gleichzeitig unmöglich war, die Produktionskosten genügend zu reduzieren. Aehnlich steht es in der Metall- und Zuckerindustrie. Von 90 Zuckerfabriken mußten 65 geschlossen werden, und die Produktionskosten für Zucker sind dreimal so hoch als vor dem Kriege. - In der Landwirtschaft ist es nicht besser. Die Farmer sind nicht in der Lage, ihr gesamtes Land auszunutzen, und ihre Produktivität hat erheblich nachgelassen, besonders wegen des Fehlens von Zugtieren. Während Arbeitslosigkeit früher nur in den Städten bekannt war, tritt sie jetzt in erhöhtem Maße bei der ländlichen Bevölkerung in die Erscheinung. Es kann nichts getan werden, um sie zu mildern, da es an Mitteln fehlt, um öffentliche Arbeiten zu finanzieren.
Ein Vergleich der gegenwärtigen Kohlenförderung mit der vor dem Kriege ist einfach entmutigend. 1913 betrug die Produktion 29.000.000 Tonnen, 1916 trotz der Abtrennung Polens, 34,5 Millionen Tonnen, jetzt beträgt sie nur etwa 20 Prozent von der von 1913. 1913 betrug die Erzproduktion über 10,6 Millionen Tonnen, 1917 ca. 7,2 Millionen Tonnen, obwohl zu dieser Zeit der Export ganz aufgehört hatte. 1918 und 1919 hörte die Förderung auf, und während der folgenden 4 Jahre betrugen die Produktionszahlen nur noch 160.000, 144.000, 225.000 und 487.000 Tonnen, so daß also die letzte größte Zahl nur 4,56 Prozent der Vorkriegsförderung darstellt. Die Roheisenproduktion in der Ukraine betrug 1913 4,23 Millionen Tonnen, 1919 144.000 Tonnen, 1922 186.000 und 1923 386.200 Tonnen, während jetzt die Produktion noch stärker eingeschränkt wurde, besonders wegen der hohen Gestehungskosten.
Pizzardo fügte seinem Schreiben zwei weitere Exemplare der Denkschrift bei. Diese liegen auf 208v-209v des gleichen Faszikels. Die Exemplare sind jeweils als Anlage einem Schreiben Josef Sonntags beigefügt (Dokument Nr. 18542).
Empfohlene Zitierweise
[Sonntag, Josef], Kapital und Wirtschaft. Tägliche Sonderinformationen. Nr.25, Berlin-Steglitz vom 30. Januar 1925, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 18543, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/18543. Letzter Zugriff am: 26.04.2024.
Online seit 24.06.2016.