Dokument-Nr. 18675

Brockdorff-Rantzau, Ulrich Graf: [Kein Betreff]. Moskau, 27. April 1927

Aufzeichnung
Zu dem in dem Schreiben des Herrn Ministerialdirektors Wallroth vom 14. d. M. bezw. in dessen Anlagen beregten Fragen beehre ich mich Folgendes auszuführen:
1.) Hilfeleistung an die verfolgten Katholiken im Allgemeinen und den Priester Ilgin im Besonderen.
Daß die Deutsche Botschaft in Moskau und insbesondere Seine Exzellenz der Herr Botschafter den Katholiken ebenso wie den Protestanten in der U.d.S.S.R. im Rahmen des Möglichen jeden Schutz und jede Hilfe bereits hat angedeihen lassen und noch ständig angedeihen läßt, ist über jeden Zweifel erhaben.
Zur Vorgeschichte der Verhaftung und Bestrafung des sowjetrussischen Priesters Ilgin sei folgendes bemerkt:
Am 3. Dezember 1925 wurde auf dem Bahnhof in Charkow ein Sowjetbürger Josef Klass (deutschstämmiger Kolonist) sistiert. In seinem Besitze wurden Zeitungen und Journale gefunden, die nach darauf befindlichen Klebezetteln von dem Deutschen Generalkonsulat in Charkow herrührten. Beim Verhör gab Klass an, daß er diese Literatur von dem Kanzler des Generalkonsulats Charkow, Walden, erhalten habe.
Die Verbreitung von nicht ausdrücklich zugelassener oder nicht zensurierter Literatur – um solche handelte es sich nach russischer Auffassung – ist auf dem Gebiete der U.d.S.S.R. verboten und stellt eine kriminell strafbare Handlung dar. Über das weitere Schicksal des sistierten Josef Klass bezw. über seine etwaige Bestrafung ist der Botschaft nichts bekannt geworden.
Am 7. Februar d.J. sprach mich anläßlich eines Empfanges auf der hiesigen Schwedischen Gesandtschaft das Mitglied der hiesigen Französischen Botschaft, Comte de la Chauvinière,
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an und erzählte mir von dem Fall eines katholischen Priester Ilgin, der im Zusammenhang mit der Beschlagnahme verbotener Literatur bei dem obengenannten Klass verhaftet und zu 3-jähriger Verschickung nach Solovki verurteilt worden sei. Comte de la Chauvinière bat mich zu prüfen, inwieweit eine Einflußnahme der Botschaft zu Gunsten des Priesters Ilgin möglich sei. Auf meine Frage, auf welche Weise die Französische Botschaft für diese Angelegenheit interessiert worden sei, erwiderte mir Comte de la Chauvinière, ein Bekannter des Priesters Ilgin habe ihm die Angelegenheit mitgeteilt und die Intervention der Französischen Botschaft erbeten. Nachdem aber die Verhaftung des Priesters Ilgin durch eine Verkettung unglücklicher Umstände auf das Deutsche Generalkonsulat in Charkow zurückzuführen sei, habe er geglaubt, daß es vielleicht der Deutschen Botschaft eher möglich sein würde, zu Gunsten Ilgins einzugreifen. Da Comte de la Chauvinière über diese Zusammenhänge keine genaue Auskunft zu geben vermochte, bat ich ihn, mich zunächst entsprechend zu dokumentieren oder besser noch, den Bekannten des Priesters Ilgin zu veranlassen, mich auf der Botschaft aufzusuchen, damit er mir alles Wissenswerte mitteile. Immerhin müsse ich jedoch bemerken, daß, wenn sich nicht eine plausible Begründung für etwaige Schritte der Botschaft finden ließe, eine derartige Demarche leicht zum Nachteil des verhafteten Sowjet-Staatsangehörigen ausgelegt werden könnte und damit die gute Absicht in das Gegenteil verkehren würde.
Ich habe seitdem von der Angelegenheit nichts mehr gehört; weder hat Comte de la Chauvinière mich dokumentiert, noch ist der Bekannte des Priesters Ilgin bei mir erschienen.
Die Frage, ob nunmehr eine Intervention der Botschaft für Ilgin opportun und möglich ist kann erst nach Befragung des Generalkonsulats in Charkow entschieden werden.
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2.) Einreiseerlaubnis für Dr. Aloys Mauderer.
Am 25. Februar 1926 hat das Katholische Auslandssekretariat in Hamburg an Seine Exzellenz den Herrn Nuntius Pacelli eine Eingabe gerichtet, in welcher unter Hinweis auf die seelsorgliche Not von etwa 20.000 deutschsprachigen Katholiken, die weit zerstreut in Südsibirien leben und bei denen sich nur zwei Priester befinden, die Bitte ausgesprochen wurde, einen in Charbin tätigen deutschen Ordenspriester zu dem erforderlichen russischen Einreisesichtvermerk zu verhelfen. Diese Eingabe, die Exzellenz Pacelli dem Auswärtigen Amt zur Kenntnis gebracht hat, ist danach der Botschaft zur Prüfung und Äußerung zugegangen.
Die Botschaft hat sich unter dem 17. April 1926 dahin geäußert, daß bei der Erwirkung der Einreiseerlaubnis für einen katholischen Priester angesichts der bekannten Haltung der Sowjetbehörden auf ein Entgegenkommen kaum zu rechnen sein wird. Da insbesondere die Person des betreffenden Priesters zur Beurteilung der Aussichten für die etwa zu beantragende Einreisegenehmigung wesentlich sei, wäre die Bekanntgabe des Namens dieses Priesters erwünscht. Hierbei wurde angedeutet, daß es sich vielleicht um den Jesuitenpater Wierzynski handeln könnte, der vor dem Kriege bereits in Moskau tätig war, seinerzeit wegen Unierungsbestrebungen zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche ausgewiesen wurde und sich jetzt in Charbin aufhält.
Diesem Schreiben der Botschaft ist seitens der interessierten Stellen keine weitere Folge gegeben worden.
Eine Verwendung der Botschaft mit dem Ziel, für den deutschen Reichsangehörigen Dr. Aloys Mauderer das russische Visum für einen längeren Aufenthalt in Rußland zu erwirken, erscheint leider völlig aussichtslos. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres hat sich die Botschaft hart
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näckig und nachdrücklich für die Erteilung des russischen Einreisevisums an die protestantischen Kandidaten Samuel Kleemann und Gotthold Gocht eingesetzt, die zur Unterstützung des hiesigen Bischofs Meyer nach Moskau entsendet werden sollten. Trotz monatelanger Verhandlungen ist es nicht möglich gewesen, den diesseitigen Wünschen Gehör zu verschaffen. Ein weiteres Bestehen auf unseren Wünschen wurde endlich dadurch unmöglich, daß am 15. Oktober 1926 der Botschaft vom Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten nachstehender Beschluß des Rats der Volkskommissare mitgeteilt wurde:
"Die Regierung der U.d.S.S.R. hat eine Entscheidung getroffen, bis auf weiteres ausländische Diener der Kirche, die in die U.d.S.S.R. zu religiösen Zwecken oder zur Leitung der in der U.d.S.S.R. bestehenden religiösen Gesellschaften oder Organisationen einzureisen beabsichtigen, nicht zuzulassen".
Gleichzeitig teilte das Volkskommissariat der Botschaft mit, mit Rücksicht auf diese Entscheidung der Regierung sei das Volkskommissariat gezwungen, die Erteilung des Einreisevisums in die U.d.S.S.R. an Gocht zu verweigern (Schreiben der Botschaft vom 15. Oktober 1926 Pa 51 an Auswärtiges Amt).
Es versteht sich, daß bei den Verhandlungen über diese Frage die Botschaft zur Begründung ihres Standpunktes sich auf das Niederlassungsabkommen (Artikel 9) berufen hat. Diese Auffassung begegnete indessen russischerseits dem Einwand, daß zwar Freiheit in der Religionsübung vertraglich zugesichert sei, daß aber die in der Sowjetunion amtierenden Geistlichen Sowjetbürger sein müßten. Damit stellt sich die Sowjetregierung auf den gleichen Standpunkt, den auch die ehemalige Kaiserliche Russische Regierung einnahm, indem sie die Geneh-
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migung zur Ausübung des geistlichen Berufes von der Annahme der russischen Staatsangehörigkeit abhängig machte.
Mit dieser Auffassung stimmt die Tatsache überein, daß der bekannte katholische Priester d'Herbigny, als er in Moskau zu celebrieren begann, die Aufforderung erhielt, sofort das Land zu verlassen.
3.) Eröffnung eines Priesterseminars in der Diözese Tiraspol.
Seit etwa einem Jahr besteht in Leningrad ein Seminar zur Ausbildung von Geistlichen evangelischen Bekenntnisses. Der erste Kursus wird voraussichtlich in etwa 2 Jahren abgeschlossen sein.
Die Frage, inwieweit es möglich sein wird, die Erlaubnis zur Eröffnung eines katholischen Priesterseminars in der Diözese Tiraspol zu erlangen, wird erst nach eingehender Prüfung aller hiermit zusammenhängenden Fragen beurteilt werden können. Bisher hat sich – wie ausdrücklich hervorgehoben werden muß - niemand an die Botschaft gewandt, der im Besitze eines entsprechenden Mandats gewesen wäre, um diese Fragen vorzubringen und die Möglichkeit ihrer praktischen Durchführung zu besprechen. Dann erst wird zu erwägen sein, inwieweit eine Mitwirkung der Deutschen Botschaft in Moskau überhaupt in Frage kommen kann. Der Umstand, daß Tiraspol unmittelbar an der bessarabischen Grenze liegt, fällt politisch jedenfalls äusserst erschwerend ins Gewicht. Die Errichtung des Seminars in Leningrad hat ohne diesseitige Mitwirkung stattgefunden. Auch sind amtliche deutsche Stellen mit dem Leningrader Seminar, dessen Kandidaten Sowjetangehörige sind und das in erster Linie als reine russische kirchliche Angelegenheit betrachtet wird, bisher niemals befaßt worden.
Empfohlene Zitierweise
Brockdorff-Rantzau, Ulrich Graf, [Kein Betreff], Moskau vom 27. April 1927, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 18675, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/18675. Letzter Zugriff am: 27.04.2024.
Online seit 25.02.2019.