Die Preußische Staatsregierung ist neuerdings durch Meldungen beunruhigt, die sich auf
Verhandlungen zwischen dem Apostolischen Stuhl und der Tschechoslowakei beziehen und
befürchten lassen, daß bei diesen Verhandlungen selbst oder in ihrer künftigen Auswirkung
auf dem Wege über eine Abänderung der preußisch-tschechoslowakischen Diözesangrenzen der
Frage der auf tschechoslowakischem Boden belegenen Güter des fürstbischöflichen Stuhles von
Breslau in einer sowohl dem kirchlichen wie dem staatlichen Interesse abträglichen Weise
präjudiziert werden könnte. Nach den ihr bisher zugegangenen Mitteilungen glaubte die
Preußische Staatsregierung annehmen und vertrauen zu können, daß in Übereinstimmung mit dem
von preußischer Seite wiederholt vertretenen Standpunkt der Apostolische Stuhl etwaigen
tschechoslowakischen Wünschen auf Anpassung von Diözesan- an Landesgrenzen nur junctim mit
einer befriedigenden endgültigen Sicherung der in der Tschechoslowakei belegenen
preußisch-kirchlichen Güter näherzutreten bereit sei. Obwohl es der Preußischen
Staatsregierung nicht unbekannt ist, daß in einer Reihe von Fällen der Apostolische Stuhl
sich der angestrebten Angleichung von Diözesan- an Landesgrenzen schwer versagen kann, so
glaubt die Preußische Staatsregierung in diesem ganz einzigartigen Fall doch die
Aufrechterhaltung des Statusquo erwarten zu müssen. Während in den angedeuteten übrigen
Fällen es sich um eine Folgewirkung der nach dem großen Weltkriege neugeschaffenen
Ländergrenzen handelt, ist die hier in Betracht kommende Ländergrenze unverändert geblieben
und damit bezüglich der192v
Diözesanzirkumskription lediglich
ein Zustand erhalten, wie er seit Jahrhunderten besteht und trotz mehrfacher Änderungen der
politischen Lage unversehrt geblieben ist. Die Preußische Staatsregierung muß den Anspruch
erheben, daß an diesem Zustande ohne ihre förmliche Beteiligung in keiner Weise gerührt
werden darf und muß sich daher ihre Stellungnahme zu etwaigen Absichten, die in der Richtung
der oben erwähnten Meldungen und Gerüchte liegen könnten, lediglich vorbehalten. Sie kann
nicht zugeben, daß durch irgend eine noch so wohlgemeinte Abmachung des Apostolischen Stuhles
mit einem Dritten der Freiheit der Stellungnahme der Preußischen Staatsregierung
vorgegriffen werde.
Sollte in diesen politisch und kirchlich hochbedeutsamen Fragen
eine endgültige oder vorbereitende Entscheidung erfolgen, die das Vertrauen der Preußischen
Staatsregierung und die berechtigten Erwartungen der an der Ostgrenze ohnehin schon stark
beunruhigten deutschen Öffentlichkeit enttäuscht, so würden zweifellos die
allerungünstigsten Rückwirkungen auf die im Gange befindlichen Konkordatsverhandlungen
Preußens eintreten und die nach der Natur der Dinge ohnedies vorhandenen Schwierigkeiten für
die Preußische Staatsregierung voraussichtlich unüberwindlich werden.
Empfohlene Zitierweise
Preußische Regierung, [Kein Betreff] vom vor dem 22. Dezember 1927, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 18932, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/18932. Letzter Zugriff am: 24.11.2024.