Dokument-Nr. 19501

Sowjetismus und Katholizismus. Zur Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen Moskau und dem Vatikan. Die Mission Msgr. Bedes (Von unserem Vertreter), in: Germania, Nr. 360, 06. August 1929
Im "Oberschlesischen Kurier" veröffentlicht heute ein ehemaliger interner Mitarbeiter des "Osservatore Romano", Monsignore Dr. Viktor Bede, der sich zur Zeit in Kattowitz aufhält, einen aufsehenerregenden Artikel über die Möglichkeit einer Wiederanknüpfung der seit der Ausweisung d'Herbignys völlig abgerissenen Fäden zwischen dem Vatikan und Sowjetrußland. Msgr. Dr. Bede hat Lenin sehr nahgestanden und hat auf Grund seiner Gespräche mit ihm im Jahre 1924 mehrere Artikel im "Osservatore Romano" veröffentlicht, die damals den Gegenstand lebhafter Erörterung bildeten.
Msgr. Bede geht dabei von einem Ausspruch Lenins aus, der ihm im Laufe einer heißen Diskussion gesagt hat: "Nach einem Jahrhundert werden von den heute bestehenden staatlichen und religiösen Einrichtungen der Kulturvölker nur mehr zwei existieren: der Sowjetismus und der Katholizismus!" "Ich gestehe," bemerkt er dazu, "daß ich nicht weit davon entfernt bin, als katholischer Priester den gleichsam prophetischen Ausspruch Lenins, meines einstigen Journalistenkollegen, mit Ueberzeugung zu teilen. Ich muß dabei dem unleugbaren Genie des Abgotts der Sowjets die Würdigung zugestehen, daß er sich durch sein eigenes Ideal nicht von der Anerkennung der Stärke und der unbesiegbaren historischen Entwicklung des Katholizismus abbringen ließ." Lenin ist im Gespräch mit Msgr. Dr. Bede übrigens noch weiter gegangen. "Das Christentum hat", so bekannte Lenin ihm gegenüber, "namentlich in der Form des römischen Papsttums die größte moralische Umwandlung der Menschheit vollbracht und mit der Lehre des Kreuzes und der freiwilligen Entsagung die allmächtige Heidenwelt des Genußmenschen niedergerungen. Warum sollte es uns nicht gelingen, den heute allmächtigen Kapitalismus und individuellen Egoismus zu bezwingen und die zweite größte Umwandlung der Kulturvölker zu vollbringen? Unsere Ideale und deren Märtyrer müssen ähnlich denen der Kirche zum Triumphe führen..."
Dr. Bede wirft dann die Frage auf, wie sich der Vergleich zwischen den Märtyrern des Kommunismus und denen des Christentums verträgt, und beantwortet sie dahin, daß nur ein oberflächlicher und voreingenommener Beobachter die werbende Kraft des Märtyrertums verkennen dürfte, die auch dann vorhanden sei, wenn es einer so großen Verirrung diene, wie dem Kommunismus, dessen Ideale in einer kleinen Schar Auserwählter, nach Veredelung und Vollkommenheit Strebender möglich und ausführbar seien, wie man das gerade in den Ordensgemeinschaften der katholischen Kirche täglich vor Augen sehe, die aber bei der Korruption der Massen immer ein Unding bleiben müßten. Christentum und Katholizismus haben, so stellt Msgr. Dr. Bede fest, die Welt durch Verbesserung und Veredelung erobert; dem Kommunismus fehlen jedoch die hierzu führenden Mittel und Wege, und aus diesem Grunde werden letzten Endes die "Ideale und Märtyrer" des Kommunismus die große Weltumwandlung nie vollenden können.
"Wie wäre es aber", fragt Msgr. Dr. Bede weiter, "wenn man sich eine Art von Alliance zwischen Kommunismus und der größten moralischen Macht, dem Papsttum, vorstellen könnte? Er gibt zu, daß schon der Gedanke einer solchen Alliance aus der Feder eines katholischen Priesters als eine unmögliche Utopie erscheinen wird; trotzdem glaubt er wagen zu dürfen, eine Lanze für ihn zu brechen. Er will zunächst nur die Möglichkeit eines friedlichen Einvernehmens zwischen dem Kommunismus un der katholischen Kirche auf dem Gebiete der Sowjetrepubliken selbst ins Auge fassen. Die Kirche habe ihrerseits kaum einen sehnlicheren Wunsch, als ihre friedliche und caritative Wirksamkeit wieder in die Reihen der Hunderte von Millionen der Bewohner Sowjetrußlands tragen zu dürfen. Auf Seiten der Sowjets sieht er formell gleichfalls kein Hindernis. Man könnte, so meint er, auch in Sowjetrußland den günstigen Einfluß des Beispiels emsigen, uneigennützigen Fleißes von Niederlassungen katholischer Mönche auf die zum größten Teil landwirtschaftliche Bevölkerung nicht verkennen. Man gebe den verhaßten Kapitalisten in Rußland Konzessionen und Land. Warum sollte man das gleiche den friedlichen katholischen Mönchen, Vorbildern des wahren Kommunismus, versagen?
Daß den Sowjets Beziehungen zum Papsttum und die Anerkennung des Heiligen Stuhles erwünscht sein müssen, dafür glaubt Msgr. Bede ausreichende Argumente zu haben. Er traut sich zwar nicht, sofort einen beiderseitig befriedigenden Erfolg zu prophezeien; aber er fürchtet ebenso wenig, durch die Ereignisse Lügen gestraft zu werden, als dies vor zwei Jahren in einem damals ebenfalls noch unlösbarer scheinenden Problem, der römischen Frage, der Fall gewesen ist. In der Tat kann sich Msgr. Dr. Bede darauf berufen, daß er vor zwei Jahren im "Oberschlesischen Kurier", dessen Mitarbeiter er aus liebevollem Interesse für die Lage der deutschen Katholiken in Ost-Oberschlesien bereits während seiner römischen Zeit geworden war, entgegen den mussolinischen Ausspruch "die römische Frage ist unlösbar!" mit genauer Bestimmung des Datums die Lösung für das Jubiläumsfest des Hl. Vaters angekündigt hat.
Msgr. Dr. Bede sieht nun in dem von ihm geplanten Versuch, mit einer Berichterstattung über die religiösen Verhältnisse in den Sowjetstaaten zu beginnen und sich zu diesem Zweck nach Rußland zu begeben, die erste Möglichkeit, wieder, zunächst ganz unverbindlich und ganz inoffiziell, Beziehungen zu den jetzigen Machthabern in Rußland
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zu gewinnen. Man muß rückhaltlos den Mut des nunmehr bereits Sechzigjährigen, der soeben von einer Reise nach Argentinien zurückgekehrt ist, die er in wichtiger Mission unternahm, bewundern, mag man zu dem Plan stehen, wie man will. Es bleibt, auch wenn der Einwände noch so viele sind, ein ganz verlockender Gedanke. Gerade der zunächst rein persönliche Charakter des Planes wird das amtliche Mißtrauen nicht in gleichem Maße zum unüberwindlichen Widerstand steigern, wie irgendeine offizielle Mission. Aus persönlicher Kenntnis des Verfassers des Artikels kann obendrein gesagt werden, daß seine in vielen Fällen bewiesene geradezu erstaunliche politische Gewandtheit ihn für eine Aufgabe prädestiniert, deren Lösung auch nur zu beginnen von höchster Bedeutung ist.
Pacelli schickte den gleichen Artikel auch an Giuseppe Pizzardo (Dokument Nr. 20802).
Empfohlene Zitierweise
Anlage vom 06. August 1929, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 19501, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/19501. Letzter Zugriff am: 28.12.2024.
Online seit 20.01.2020.