Dokument-Nr. 19514

Zebrikoff, Georg: Benediktinermönche und die orthodoxe Kirche, in: Vozroždenie, Nr. 994, 21. Februar 1928
Übersetzung.
Auf Wunsch des verstorbenen Kardinals Mercier war vor 2 1/2 Jahren in dem kleinen belgischen Ort Amay ein Kloster gegründet worden, in dem einige Benediktinermönche sich voll und ganz dem Studium der Kirchenunionsfragen gewidmet hatten.
Die Unionsmönche erklärten gleich in den ersten Tagen ihrer Existenz, daß das friedvolle und von Liebe erfüllte Studium des kirchlichen Lebens nicht-katholischer Kirchen ihre Hauptaufgabe bilden wird, um auf diese Weise alles Gemeinsame, was diese Kirchen mit der römischen Kirche besitzen, hervorzuheben, und alle Vorurteile, auf die sich die Kirchentrennung stützt, zu beseitigen. Die Mönche von Amay hatten sich zum Hauptziele ihrer Tätigkeit das Studium der orthodoxen, anglo-katholischen und der armenisch-gregorianischen Kirchen gestellt; dabei verwarfen sie alle proselytischen Tendenzen und alle individuellen Bekehrungen, da solche der friedvollen Annährung [sic] und Verständigung der Kirchen nur schaden. Die Monatszeitschrift "Irenicon", die von dem Kloster herausgegeben wurde, und an der neben Katholiken auch orthodoxe und anglikanische kirchliche Kreise sich beteiligten, bestätigte vollauf diese Gesinnung der Unionsmönche. Zahlreiche Versammlungen im Kloster selbst sowie auch in verschiedenen Städten Belgiens, die den Fragen der Kirchenvereinigung gewidmet waren, hinterliessen bei den Anwesenden stets den besten und erfreulichsten Eindruck. Die Tatsache, daß in den Universitätszentren
790r
Belgiens sich Jugendvereine bilden, die mit Eifer die Tiefe und Schönheit der Orthodoxie studieren, allein die Tatsache, daß dank der Wirksamkeit dieser Mönche in verschiedenen Kreisen des katholischen Belgiens eine freundschaftliche und von tiefer Achtung, vielleicht auch von Liebe erfüllte Stellungnahme der orthodoxen Kirche gegenüber hervorgerufen wird, gibt ein beredtes Zeugnis von dem guten Einfluß den die Mönche von Amay auf ihre katholischen Glaubensgenossen ausüben.
Die in den letzten zwei Jahren erfolgte Tätigkeit der Unionsmönche gegenüber den Orthodoxen, und deren Predigten können in nachstehender Weise gekennzeichnet werden: die Unionsmönche wollten den christlichen Westen über den christlichen Osten aufklären und der katholischen Welt all die Schätze sichtbar machen, die im östlichen Christentum enthalten sind; sie wollten die innere, geistige Gemeinschaft der beiden großen Kirchen deutlich zu Tage bringen und die Welt davon überzeugen, daß das gegenseitige Mißverstehen und die daraus entstehende Feidschaft [sic] in ihrem Grunde nicht die religiösen, sondern die psychologischen, historischen und politischen Unterschiede haben; sie wollten ein für alle Male klarstellen, daß für die Annährung [sic] der Kirchen nur die Liebe in Christus Jesus, den beide Kirchen gleich verehren, erforderlich ist. Das Fördern des orthodoxen Bewußtseins bei den Orthodoxen und des katholischen Bewußtseins bei den Katholiken bildete nach Ansicht der Mönche und deren Freunde den allein wahren Weg zur Vereinigung der Kirchen, denn nur dieser Weg führt zu der Fülle des Christentums, und die Fülle des Christentums bedeutet die Fülle der Liebe. Zum besseren gegenseitigen Verständnis sollte, nach Ansicht der Unionsmönche, ein Jeder das bleiben, was er bis jetzt war, denn die katholische und die orthodoxe Kirche seien in der Fülle ihrer Gnade vor Gott gleichwertig; aus diesem Grunde wurde jede Proselytenmacherei
791
für schädlich und unerwünscht erklärt. Die Mönche von Amay betrachteten die Kirchenvereinigung vom mystischen Standpunkt aus; sie wird ein Werk Gottes sein. Von uns werden nur Liebe und Frieden verlangt. Sobald wir würdig erfunden werden, wird der Heiland die Vereinigung zustande kommen lassen. Unsere Pflicht ist nur, mit einander vertraut zu werden, um eine gleiche Gesinnung zu gewinnen; hat man diese erlangt, so wird auch die gegenseitige Liebe nicht fehlen.
Diese Predigt war von den Katholiken in zweifachem und von den Orthodoxen in dreifachem Sinne aufgefaßt worden. Ein Teil der Katholiken erblickte hierin eine neue Bewegung im kirchlichen Leben, eine Rückkehr zu den ersten christlichen Jahrhunderten und begrüsste diese neue Strömung mit Enthusiasmus. Ein anderer Teil derselben aber äußerte sein Mißtrauen und sogar eine Verdächtigung dieser Bewegung. Für zahlreiche Katholiken waren die Mönche von Amay nichts anderes als "Modernisten", um nicht noch Schlimmeres zu sagen.
Auch unter den Orthodoxen, die mit der Tätigkeit des Klosters vertraut geworden waren, hatten sich drei verschiedene Meinungen gebildet: für die Einen bedeutete die Gründung des Klosters von Amay ebenfalls eine neue Strömung in der katholischen Kirche, die den Orthodoxen freundschaftlich und sympatisch [sic] gesinnt ist; für die Anderen war dies ein edler Gedanke der Anhänger des Cardinals Mercier, eine Idee, die der jahrhundertalten Politik Roms widerspricht und die nun, früher oder später, sobald die Begeisterung für die orthodoxe Kirche einen zu großen Umfang angenommen hat, unterbrochen werden wird. Für Dritte endlich bedeutete diese Gründung eine neue Abart der traditionellen Politik Roms, deren Endzweck doch die angewohnte Proselytenmacherei sein würde. Eine persönlche Bekanntschaft mit den Unionsmönchen ließ mehr zu der ersten Annahme neigen, die Verfolgung aber,
792r
die diese Mönche in verschiedenen katholischen Kreisen zu erleiden hatten, sprach mehr für die zweite Ansicht.
Auch dieser dritten Meinung muß eine gewisse Berechtigung zuerkannt werden, so gerne wir dieses auch bestreiten möchten. Trotz besten Willens muß ein Jeder auf den sonderbaren Widerspruch aufmerksam werden, der zwischen den Erklärungen der Mönche von Amay und der Tätigkeit verschiedener anderer Vertreter der Kirche und ihrer Parteien besteht. Dieser sonderbare Widerspruch in der von der katholischen gegenüber der orthodoxen Kirche eingenommenen Haltung, verwirrte zahlreiche Orthodoxe, die gewohnt waren, die katholische Kirche als eine einheitliche, disciplinierte kirchliche Organisation zu betrachten.
Die Vorgänge der letzten Wochen geben allen Orthodoxen, die mit der Tätigkeit des Klosters von Amay und der aus diesem Kloster hervorgehenden Bewegung vertraut sind, zu ernsten Bedenken Anlass. Die päpstliche Enzyklika "Mortalium animas" vom 6. Januar 1928, die die Kirchenunion behandelt, scheint in vollem Widerspruch zu dem zu stehen, was wir von den "Unionsmönchen" gehört haben. Die orthodoxe Kirche wird in dieser Enzyklika ausdrücklich als eine "Sekte des Photius" bezeichnet und wird dem Protestantismus gleichgestellt; ebenso ausdrücklich wird darin erwähnt, daß die Kirchenvereinigung nichts Anderes sein darf als eine Rückkehr aller Getrennten zur Gehorsamleistung gegenüber dem römischen Papst als dem Vikar Jesu Christi. Kurz gesagt - die Enzyklika ist eine Wiederholung dessen, was die katholische Kirche während langer Jahrhunderte behauptet und die orthodoxe Kirche stets verneint hatte.
Gleichzeitig ist eine spezielle Verfügung des Vatikans veröffentlicht worden, durch die dem Kloster verboten wird, irgend welche Beziehungen mit den Anglo-Katholiken oder Orthodoxen mit Ausnahme der Russen (?) zu unterhalten. In derselben Verfügung wird auch
793r
eine ganze Reihe verschiedener Punkte zum Ausdruck gebracht, durch die dem Kloster von Amay jede Handlungsfreiheit genommen und es unter strenge Aufsicht gestellt wird. Wir wissen, daß einige katholische Theologen wiederholt die Meinung geäußert haben, daß die Kirchentrennung nur zwischen Rom und Konstantinopel erfolgte und daß die russische Kirche von diesem Bann nicht getroffen war und folglich zu jeder Zeit zu Rom zurückkehren kann. Es wird wohl überflüssig sein zu beweisen, daß dieser Gedanke unrichtig ist und daß die griechische und die orthodoxe Kirche ein unzertrennliches Ganzes bilden.
Die Frage steht nun in ihrer ganzen Schärfe vor uns. Wie ist zu vereinigen die Erklärung, daß eine Vertiefung des Orthodoxismus unter den Orthodoxen und des Katholizismus unter den Katholiken zur Vereinigung der Kirchen notwendig ist mit der Forderung zur erneuten Gehorsamleistung an den Vatikan? Wie ist zu vereinigen die Erklärung, daß beide Kirchen dieselbe Gnadenfülle besitzen, mit der Erklärung der Enzyklika, die Vorfahren der "sectatores Fotii" seien dem römischen Bischof gehorsam gewesen, während deren Nachkommen diesen Gehorsam leider gebrochen haben? Man könnte hier noch zahlreiche andere Zitaten [sic] aus der Enzyklika anführen, die im direkten Widerspruch zu dem stehen, was von den "Unionsmönchen" verkündet worden war.
Welche Folgerung ist nun hieraus zu machen? Wir enthalten uns noch, irgend welche kategorische Schlüsse zu ziehen und können nur unserem aufrichtigen Bedauern Ausdruck geben, daß der wahrhaft christliche Geist und die aufrichtige Freundschaft, die vom Kloster in Amay ausgingen, bei weiten [sic] nicht von der ganzen römischen Kirche geteilt werden. Wir möchten nicht denken, daß die Entstehung des Klosters von Amay nur eine neue Art römischer Politik ist, obwohl dieser Gedanke
794r
bei Manchen wohl entstanden sein mag. Wir wollen auch nicht denken, daß die Benediktiner von Amay vom Wege abgewichen sind, der ihnen noch im Jahre 1925 vom Vatikan vorgeschrieben worden war. Wir wollen lieber der Meinung bleiben, daß die Mönche von Amay unsere aufrichtigen Freunde sind, leider gering an der Zahl, die aber nie und unter keinen Umständen die Orthodoxen mit dem verächtlichen Namen "sectatores Fotii" bezeichnet haben würden.
Gez. Diakon Georg Zebrikoff.
Brüssel.
Empfohlene Zitierweise
Zebrikoff, Georg, Benediktinermönche und die orthodoxe Kirchein: Vozroždenie, Nr.994 vom 21. Februar 1928, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 19514, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/19514. Letzter Zugriff am: 28.12.2024.
Online seit 20.01.2020, letzte Änderung am 01.02.2022.