Dokument-Nr. 1961
Berg, Ludwig: Bericht über eine Audienz bei dem Grossfürsten Kyrill und der Grossfürstin in Coburg am 26. November 1924, vor dem 28. November 1924
Unterzeichneter, der mit der russischen Seelsorge in Berlin betraut ist, hörte von den vorhergehenden Mitteilungen die Einzelheiten durch den russischen Baron von Oettingen, dessen Gemahlin sehr caritativ tätig ist für die Russen in Berlin. Auch er bedauerte, dass die günstige Gelegenheit, gegebenenfalls für die katholische Kirche wertvolle Anknüpfungspunkte gelegentlich einer solchen Audienz zu finden, unversucht vorübergegangen seien. In einer eingehenden Besprechung mit Herrn Pater Rauterkus S. J., Pfarrer an St. Klemenskirche in Berlin, wurde es für ratsam gehalten, das Versäumte nachzuholen. Eine vorherige Anfrage bei einer kirchlichen Behörde schien untunlich, um eventuell kirchliche und politische Weiterungen zu verhüten. Direkt bei dem Grossfürsten um Audienz nachzusuchen, schien aussichtslos. Auf der Suche nach Vermittlung für
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eine Audienz bei dem Grossfürsten glaubte
man bei Sr. Majestät König Ferdinand von Bulgarien anfragen zu dürfen; denn
Sr. Majestät hätten grundsätzlich für tieferliegende katholische Gedanken das
Verständnis, der König wohne ferner wie auch er Grossfürst in Coburg, die Grossfürstin sei
eine Nichte des Königs, zudem sei der Unterzeichnete durch seine frühere Stellung – drei
Jahre katholischer Feldgeistlicher im deutschen Grossen Hauptquartier – Sr. Majestät
persönlich näher bekannt geworden.Da Pfarrer Mayer aus den angegebenen Gründen auch jetzt die Audienz nicht nachsuchen konnte, so übernahm <Unterzeichneter>1 auf Wunsch des H. H. Pater Rautercus [sic] die Erledigung der Angelegenheit, betonte jedoch, dass die ganze Angelegenheit streng vertraulich bleiben müsse, ferner dass eine vorherige Anfrage bei der kirchlichen Behörde zwar nicht zweckmässig sei, aber eine Orientierung Sr. Excellenz des Apostolischen Nuntius erfolgen müsse vor dem eigentlichen Besuch des Grossfürsten, dessen Einladung man zunächst abwarte. Auf diese Weise habe der Besuch des Unterzeichneten einerseits einen ganz privaten Charakter, andererseits könnte gelegentlich der Audienz etwa von Sr. Excellenz ausgesprochene Wünsche und Gedanken unauffällig vorgebracht werden.
Auf die telegrafische Anfrage am Sonntag den 23. November an das Hofmarschallamt des Königs Ferdinand von Bulgarien in Coburg traf am 24. die Antwort ein: "Audienz Dienstag möglich. Bulgarisches Hofmarschallamt."
Dienstag, 25. November erbat Hofmarschall Weich (protestantisch) um Andeutung der in der Audienz bei dem König zu besprechenden Angelegenheit und teilte kurz darauf mit, dass Sr. Majestät den Unterzeichneten nachmittags um ½
Sr. Majestät zeichte [sic] wohlwollendes Verständnis für die Zweckmässigkeit der Audienz, glaubte aber, selbst nicht die geeignete Person für die Anbahnung der Audienz sein zu können: die früheren Kriegs-
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jahre hätten die Beziehungen zwischen dem König und
dem Grossfürsten verdunkelt, nur ein rein äusserlicher gesellschaftlicher Verkehr bestehe
sowohl mit dem Grossfürsten wie auch mit dem Grossherzog von Coburg, der ebenfalls in Coburg
sein Palais hat. Die Grossfürstin sei zwar die Nichte des Königs, aber diese
verwandtschaftliche Beziehung sei durch die Kriegsjahre getrübt, ähnlich wie die Beziehungen
zu der anderen Nichte, der Königin von Rumänien, die "geradezu feindlich" zu dem König
stehe. Tiefster Grund sei sein ausgesprochener Katholizismus, den er bei jeder Gelegenheit
gerne bekunde, und andererseits die streng orthodoxe Richtung des Grossfürsten, die noch
schärfere Einstellung religiöser Art der Grossfürstin und besonders der Umgebung, deren
"Fanatismus 6 mal grösser sei als bei Luther". Auswege wie Vorzeigen eines
Privatbriefes des Pfarrers Mayer, Vermittlung einer Person aus der Umgebung des
Grossfürsten, wurden als aussichtslos bezeichnet. Auch wenig glücklich schien folgender
vorgeschlagener Ausweg: Unterzeichneter sei Gast des katholischen Pfarrers von Coburg und
habe diesen um guten Rat gebeten; der Pfarrer habe sich an Sr. Majestät gewandt, da der
König öfters die katholische Kirche in Coburg besuche und dem Pfarrer zuliebe es übernommen
habe beim Grossfürsten mitzuteilen, dass Unterzeichneter einen Akt der Höflichkeit –
Entschuldigung des Pfarrers Mayer – setzen wolle. Majestät beehrte den Unterzeichneten in
dieser Audienz noch mit der Auffrischung von Erinnerungen aus dem deutschen Grossen
Hauptquartier. Unterzeichneter glaubte zum Ausdruck bringen zu dürfen, dass er sich der
angeführten Schwierigkeiten betreffend Audienz bei dem Grossfürsten nicht verschliessen
könne, dankte für allerhöchste Auszeichnung der Audienz und fügte hinzu, dass er am anderen
Tage wieder nach Berlin zurückzufahren gedenke.Mittwoch, 26. November ½ 9 Uhr besucht der Hofmarschall Weich den Unterzeichneten im Pfarrhaus und teilt mit, dass Sr. Majestät der König geruht, mein Anliegen gelegentlich eines gestrigen Besuches dem Grossfürsten und der Grossfürstin vorzutragen. Der Grossfürst und die Grossfürstin wünschen den Besuch des Unterzeichneten um 10 Uhr. Die frühe Stunde wurde gewählt, da die Grossfürstin gegen Mittag von Coburg abzureisen gedächte.
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Unter diesen Umständen war es dem Unterzeichneten
leider nicht möglich, vor dem Besuche beim Grossfürsten S. Excellenz, den Apostolischen
Nuntius in München aufzusuchen.Der Grossfürst Kyrill empfing den Unterzeichneten zuerst allein in seinem Arbeitszimmer, nahm von der Entschuldigung des Pfarrers Mayer Kenntnis. Daraufhin trat die Grossfürstin in das Zimmer, sehr hoheitsvoll, mit auffallend ernsten Gesichtszügen. Unterzeichneter wiederholte die bereits dem Grossfürsten gegebene Erklärung über den Zweck des Besuches, der einen Akt der Entschuldigung und nachzuholender Höflichkeit seitens des katholischen Pfarrers Mayer bedeuten soll. Die Erwähnung der Gewalttätigkeiten, die Pfarrer Mayer für seinen Bruder in Russland befürchten musste, veranlasste
In diesem Augenblicke der Unterhaltung tritt der kleine Sohn Wladimir Kyrill in das Zimmer – er ist etwa 6 Jahre alt – und eilte zu den Eltern. Diese weisen ihn an,
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Die Mutter erwähnt in deutscher Sprache –
bisheran wurde die Unterhaltung französisch geführt – dass ihr Kind auch ebenso gut russisch
spreche. Dann eilte der kleine Fürst zu seiner Mutter, schmiegte sich an sie und kletterte
auf ihren Schoss. Der Unterzeichnete bringt seine Freude über das natürlich liebe Wesen des
kleinen Fürsten zum Ausdruck und scheint auf diese Art auch der Mutter eine besondere Freude
zu bereiten. Die Grossfürstin erzählt freundlich lächelnd von den Fortschritten ihres
Kindes. Dann sprach sie in schmerzvollem Ausdruck von ihrer Flucht aus Russland, dass sie
ihr Kind unter äusserst armen Umständen fern von der Heimat in einem Privathause geboren
habe. Die Art der Unterhaltung erhielt einen mehr wärmeren Ton, der dem Unterzeichnetem
[sic] nahelegte auf das traurige Los der vielen Mütter hinzuweisen, die durch das
schreckliche Regiment der Bolschewiken Unsagbares gelitten hätten. Das Mitleid aller
Edelgesinnten sei stark erwacht. Es sei dem Unterzeichneten als katholischen Priester eine
besondere Ehre und Freude vor den Majestäten an dieser Stelle zum Ausdruck bringen zu
dürfen, dass auch der Heilige Vater in Rom eine grosse Sympathie für das russische Volk
hege, da es so tief religiös veranlagt sei und durch die Not der Zeit so Unerhörtes gelitten
habe. Der Heilige Vater habe nach besten Kräften durch Hilfsaktionen besonders auch zu
Gunsten der Kinder während der Zeit der Hungersnot geholfen und sei glücklich, dem
russischen Volke seine Sympathie erwiesen zu haben.Der Grossfürst und die Grossfürstin neigten zustimmend mit dem Kopfe ohne eine besondere Bemerkung zu machen. Die Grossfürstin erwähnte wie alle Konfessionen und Religionen in Russland so furchtbares gelitten hätten, es seien ihnen auch Fälle bekannt, wo katholische Priester Gefängnis und Tod erduldet hätten, das russische Volk litte ganz ungeheuer unter dieser Verfolgung seiner Kirche. Es seien auch protestantische Kreise von der Verfolgung in Russland betroffen worden. Die Grossfürstin betonte nochmals die tiefreligiöse Seele des russischen Volkes, das sehr stark an seiner Kirche hinge, während die Protestanten wohl auch religiös seien, aber doch weniger Bedürfnis zum Besuche der Kirche zeigten.
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Der Grossfürst wies nochmals
auf die gemeinsamen Aufgaben aller christlichen Völker hin für den Aufbau der christlichen
Kultur in Russland und sprach dann von den bevorstehenden Wahlen in Deutschland
(7. Dezember), die vielleicht dem deutschen Volke einen starken Schutz gegen die
gottlose Internationale geben können.Die Grossfürstin erwähnte ihre bevorstehende Abreise und fragte den Grossfürsten, ob die Berliner Adresse des Unterzeichneten bekannt sei; dies bejahte der Grossfürst durch den Hinweis auf die vor ihm liegende Besuchskarte des Unterzeichneten.
Der Unterzeichnete dankte nochmals für die allerhöchste Auszeichnung der Audienz, betonte, dass sein Besuch streng privaten Charakter habe, es handle sich nämlich um die Wiedergutmachung einer Unterlassung, und dass keine kirchliche Behörde zu dem Besuch Veranlassung gegeben hätte beziehungsweise von dem Besuche Kenntnis habe.
Die Grossfürstin führte ihren kleinen Sohn zu dem Unterzeichneten, damit er ihm zum Abschied die Hand gebe. Die Grossfürstin selbst reichte dem Unterzeichneten daraufhin die Hand. Ihr Wesen war bedeutend huldvoller als bei ihrem Eintritt in das Zimmer. Aehnlich huldvoll war auch der Grossfürst bei der Verabschiedung.
Ludwig Berg, Dr. theol.
1↑Hds. vom Verfasser eingefügt.
2↑Hds. vom Verfasser gestrichen.
3↑Hds.
vom Verfasser eingefügt.
4↑Masch. gestrichen.
5↑Masch. gestrichen.