Dokument-Nr. 19726

Langer, Felix Johann: Rechtsdarstellung btr. Verweigerung der missio canonica für den kath. Religionsunterricht in Pr. Friedland (Grenzmark). Preußisch Friedland, 27. Juli 1926

Ostern 1925 wurde ich vom Fr.-Werder-G. zu Berlin hauptsächlich als kath. Religionslehrer an das Staatl. Gymn. in Pr. Friedland (Grenzmark) versetzt. (Lehrbefähigungen: R. H. L.; Gr. Sonstige Verwendung: D, G, Ek; Schw, Tu, Ru.) Vom PSK Berlin wurden meine Papiere der zuständigen geistlichen Behörde – Administratur Tütz – nicht eingereicht, auch sonst meinetwegen nicht angefragt. Auf meine persönliche schriftliche Meldung bei Tütz mit beigelegtem Freiumschlag vom 2.4.25 erhielt ich erst am 18. die vom 15. datierte Ablehnung, nachdem ich bereits am 15. den Dienst in Pr. Friedland angetreten hatte.
Am 19.4. schickte ich ein neues dringendes Schreiben an Tütz, worauf am 6. oder 7.5. die Antwort einlief, man würde gern für mich von der Praxis, nur Geistlichen den Rel.-U. an höheren Schulen zu übertragen, eine Ausnahme machen, wenn das PSK die Administratur nicht zur Uebertragung zu zwingen suchte. Diese Antwort habe ich dem PSK Schneidemühl eingereicht; sie muss bei meinen dortigen Akten liegen. Die Schneidemühler Antwort darauf ist als Anlage dem gleichzeitigen Gesuch an den Herrn Minister betr. Wohnungs- und Umzugskostenbeihilfe beigefügt und enthält den Tenor des Tützer Rescriptes.
Für eine weitere Aktion erbat ich die Unterstützung der Ap. Nuntiatur, die damals noch den Sitz in München hatte; deren zusagende Antwort lege ich bei.
Der endgültige Erfolg war die Einstellung des durch mich provisorisch erteilten Rel.-U. Ende August 1925. Ebenso wurde an der Aufbauschule der R-U, dessen zwei Stunden ich neben meinen 25 unentgeltlich übernommen hatte, eingestellt. Erst Mitte November übernahm Herr Pfarrer Hundrieser den R-U, bei dem er sich öfter durch den Vikar vertreten liess. Mitunter fiel er auch ganz aus; so fand z. B. im ersten Vierteljahr 26 volle 13 Tage kein R-U für VI–IV statt, wie ich aus den fehlenden Eintragungen der Klassenbücher ersah.
Als meine Entfernung von hier in Aussicht stand, knüpfte ich Verhandlungen mit dem Berliner Weihbischof an, in dessen Jurisdiktionsbereich ich 1921/23 unbeanstandet R-U erteilt habe, nachdem ich meine Meldung eingereicht hatte. Ich erhielt zunächst das Schreiben vom 22.2.26. Darin ist das Zugeständnis wichtig: "Seine wissenschaftliche Befähigung sowie kirchliche Gesinnung steht nach den vorgelegten Zeugnissen ausser Zweifel." Weiter Verhandlungen zeitigten eine Eingabe an den Breslauer Kardinal und die Antwort des Berl. Weihbischofs vom 22.3., die ich den PSK Schneidemühl und Berlin in beglaubigter Abschrift zugehen liess.
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Neben allen diesen amtlichen Bemühungen liefen mehr private Aktionen durch Mithilfe namentlich befreundeter Geistlicher (noch im Januar), die aber alle bei Tütz erfolglos waren.
Am 12. (?) Mai sandte ich eine von mehreren Geistlichen und früheren Schülern, deren ältester noch im Laufe dieses Studienjahres ordiniert wird, unterstützte neue Eingabe an den Herrn Kardinal in Breslau, die sich inhaltlich ungefähr mit den nachstehenden Ausführungen deckt.
Das neue kirchliche Gesetzbuch (Codex Juris Canonici) bestimmt in Canon 1329–1332 den Rel-U. als Pflicht des Pfarrers entsprechend dem Rechtssatze (CJC 8 § 2) "Lex non praesumitur personalis, sed territorialis, nisi aliud constet", da der Pfarrer der Jurisdiktionsträger innerhalb seiner Pfarrei ist. Er ist aber berechtigt und u. U. verpflichtet, sich Helfer zu nehmen. CJC 1333 § 1: ["]Parochus in religiosa puerorum institutione potest, imo, si legitime sit impeditus, debet operam adhibere clericorum, in paroeciae territorio degentium, aut etiam, si necesse sit, piorum laicorum, potissimum illorum qui in pium sodalitium doctrinae christianae aliudve simile in paroecia erectum adscripti sunt." Hier ist also die generelle Möglichkeit der Heranziehung von Laien (nicht-ordinierten Katholiken, mögen sie auch nach ihrer Ausbildung Theologen sein) zum R.-U. ausgesprochen, die bei Verhinderung des Pfarrers (und ev. sonstiger Kleriker) zur Pflicht wird (debet). Dieser1 R.-U. ist nicht ein besonderes Privileg, welches dieser Canon Nichtklerikern verleiht, sondern eines der wenigen aktiven Rechte, das - auf dem allgemeinen Priestertum beruhend – den Laien in der Kirche mit besonderem Priestertum zusteht. Daher sagt auch Fr. Albertus Blat O. P. Lect. S. Theologiae ac Juris Can. Doct. et Codicis Profeessor in Pentificio Collegio Internationali "Angelico" in seinem "Commentarium Textus Codicis Juris Canonici" (Romae 1920/23) liber III zu Canon 1333:"in religiosa puerorum institutione..., quia licita laicis". (Hier kann auch Scheeben "Handbuch der Dogmatik" IV,2 § 365,II zur Erklärung herangezogen werden: "Die Firmung... gewährt durch den von ihr eingeprägten Charakter eine besondere Teilnahme am Priestertum Christi.") In der Erklärung zu Canon 1333 fährt Blat fort: "operam... piorum laicorum, eo quod agatur de pietatis munere, potissimum... in hoc magisterium voluntaria propensione praeditorum." Diese propensio wird, da hier das pium sodalitium doctrinae christianae fehlt, durch Ablegung der entsprechenden Prüfung und dauernde Willenserklärung unzweifelhaft bewiesen. Bestimmmte wissenschaftliche Anforderungen an Rel–Lehrer kann (aus Gründen lokaler etc. Verschiedenheiten) der CJC nicht aufstellen und überläst [sic] deshalb das Urteil den Ordinariis locorum (Diözesanbischöfen und Klerikern mit gleicher oder ähnlicher Regierungsgewalt): 1381 § 3 "Eisden similiter ius est approbandi religionis magistros..." Diese approbatio ist bei mir durch die am 16.8.20 erfolgte Prüfung vor dem auch kirchlicherseits dazu bestimmten Herrn Dr. H. Kurfess (jetzt Oberschulrat in Koblenz) geschehen. Eine solche Prüfung verleiht – sonst hätte sie keinen Zweck – den Anspruch auf Erteilung2 von Rel.–U., die nicht quacumque de causa unterbunden werden kann, sondern nur gemäss CJC 1381 § 3: (Ordinariis jus est) "Itemque religionis morumve causa, exigendi ut tum magistri tum libri removeantur." Dieser Fall liegt bei mir nicht vor, da (Anlage 3) mir die Apostolische Administratur Tütz selbst meine wissenschaftliche Befähigung und kirchliche Gesinnung attestiert. Der Beweis der necessitas gemäss Canon 1333 § 1 (s. S. 2 oben) wird dadurch geführt, dass 1.) hier verfügbare geistliche Oberlehrer nicht vorhanden sind und die Erteilung des R-U durch den Pfarrklerus auf Schwierigkeiten stösst (s. S. 1 Mitte) und 2.) bei mir eine necessitas gravis temporalis <vorliegt> (magna iactura bonorum nach Noldin oder nach Lehmkuhl: quande ipsi imminet periculum magni mali (hier Verlust von Einkommen oder Stellung) quod sibi relictus vincere vix potest). Uebrigens legt der schon erwähnte Kommentator des CJC A. Blat kein Gewicht auf eine besondere necessitas. Es ist eben einfach eine kurze Parenthese: ["]wenn es nötig (wünschenswert, zweckmässig) sein sollte." Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhange: Pruner, Pastoraltheologie 3, Paderborn 1922, Band II S. 228, wo es zu den entsprechenden Canones heisst: "Die
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Beihilfe3 der Laien zum christlichen Unterricht wurde von der Kirche stets gern gesehen, gebilligt und anerkannt; sie bedarf auch nicht der missio canonica, da sie keine selbständige Lehrtätigkei [sic] darstellt, sondern sich ganz unter der Anleitung, Aufsicht u Verantwortung des Pfarrers vollzieht. ... Ganz besonders wertvoll ist es, wenn Angehörige des Lehrerstandes sich hierfür zur Verfügung stellen; aber nicht aus eigener Machtvollkommenheit noch auch auf Grund der Bestallung durch weltliche Behörden können sie die Erteilung des Religionsunterrichtes übernehmen, sondern nur im Auftrag und unter Aufsicht der Kirche." (Sogar Ablässe für Erteilung des Rel-U durch Lehrer und andere Laien. Vgl. Beringer-Hilgers, Ablässe 14 I. S. 407f.) Entsprechend den letztgenannten Grundsätzen habe ich den kirchlichen Behörden gegenüber mehrfach schriftlich erklärt, dass ich mich gemäss CVJ 1381 § 1 (Religiosa iuventutis institutio in scholis quibuslibet auctoritati et inspectioni Ecclesiae subicitur.) dem kirchlichen Aufsichtsrecht unterwerfe, auch zur Ablegung der Professio fidel Tridentina (-Vaticana) und des Jusjurandum contra errores Modernistarum bereit sei. In meinem letzen Schreiben (vom 12.5.; bisher ohne Antwort) an den Breslauer Kardinal erklärte ich mich ausserdem zur Ableistung einer Probelektion in Oberklassen vor einem dazu bestimmten Priester bereit, obwohl Herr Erzpriester Breuer (Bln NO 18 Palisadenstr. 72) an meiner pädagofischen [sic] Ausbildung mitgewirkt hat und auch meinen Unterricht kennt, sowie die pädagogische Arbeit begutachtet hat.
In die klare kirchliche Rechtslage, dass jedem Laien (Nichtkleriker) der auf der Grundlage des kirchlichen Glaubens steht und R-U erteilen will, sofern er seinen Kenntnissen nach dazu befähigt ist, den R-U erteilen will, sofern er seinen Kenntnissen nach da= zu befähigt ist, der R-U gestattet werden kann, bringt Prot. Nr. 42 der Fuldaer Bischofskonferenz (s. Anlage 3), "wonach an höheren Schulen nur Geistliche Religionsunterricht erteilen sollen", eine gewisse Unsicherheit. Den genauen Wortlaut dieses Protokolls kenne ich nicht. Auch dem Hochwürdigsten Herrn Fb. Delegaten und Weihbischof Dr. Deitmer in Bln. ist das Protokoll unbekannt, wie sich bei einer Unterredung im Anfang des Sommersemesters ergab. So besteht ein Zweifel, ob das Protokoll eine Soll- oder Mussvorschrift darstellt. Der von Tütz angeführte Wortlaut ("sollen" statt "dürfen") lässt die Deutung einer Sollvorschrift zu; sie wurde aber letzten Endes von Tütz mir gegenüber als Mussvorschrift gehandhabt, obwohl man zunächst (6.5.25) hatte eine Ausnahme machen wollen. Bezüglich der causa movens des Protokolls vermute ich, dass sie in der Absicht zu suchen ist, Personen mit ungenügenden theologischen Kenntnissen (z. B. Volksschullehrer) vom R-U an höheren Schulen fernzuhalten. (Trotzdem geben noch zahlreiche Volksschullehrer in Bln an höheren Schulen Religionsunterricht. Besonders dann eine Inkonvenienz, wenn mir als vollausgebildetem Theologen der R-U unterbunden wird!) Zu diesen Laien, denen der R-U nicht anvertraut werden soll, gehöre ich infolge meiner Prüfung als Religionslehrer nach vorhergehendem theol. Fachstudium aber nicht, sodass sinngemäss das Protokoll auch als Mussvorschrift keine Anwendung auf mich finden könnte.
Gegen das Protokoll als Mussvorschrift spricht die Tatsache, dass es nicht als Gesetz promulgiert ist. Sonst müsste sowohl der Berl. Weihbischof als auch ich davon wissen. (Trotz Suchens fand ich ebenso nichts in Handbüchern oder Spezialwerken.) Gegen die Tatsache der Promulgation spricht auch die andere, dass m. W. die kirchliche Behörde mit der weltlichen keine Vereinbarung traf, dass in Zukunft nur Kleriker die Rel.-Fakultas erwerben dürfen. Ich weiss sogar, dass im Gegenteil noch lange nach dem 20.8.20 k. R. II in Bln von Laien erworben wurde. Entsprechend CJC 8 § 1: "Leges instituuntur, cum promulgantur" hat das Protokoll also keine Gesetzeskraft. Es ist also gewissermassen eine interne Vereinbarung kirchlicher Vorgesetzter, den Rel-U durch Laien an Höheren Schulen (Praeter oder contra legem?) zu inhibieren. Eine analoge Vereinbarung, etwa innerhalb des Kultusministeriums, geistlichen Kandidaten des höheren Lehramtes besondere Schwierigkeiten, u. U. sogar unüberwindliche, zu machen, würde grosse Entrüstung auslösen.
Angenommen selbst der Fall, das Protokoll wäre wirkliches
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Gesetz4, was es wohl auch schon wegen eines Widerspruches gegen das allgemeine Kirchenrecht nicht sein kann, dann wäre 1.) wegen der überaus schwierigen Lage, in die ich dadurch gerate (necessitas gravis oder quasi-extrem), eine Dispensation am Platze, da es sich nicht um eine lex divina handelt, wobei u. U. diese dispens zur Behebung der necessitas eine Pflicht der christlichen Nächstenliebe sein kann, zumal es sich nicht einmal um ein allgemeines Kirchengesetz handelt und Dispense im Kirchenrecht ziemlich häufig sind, und 2.) wäre CJC 10 zu berücksichtigen: "Leges respi= ciunt futura, non praeterita, nisi nominatim in eis de praeteritis caveatur": das Protokoll Nr. 42 stammt vom 20.8.20; meine Religionsprüfung für die erste Stufe fand am 16.8.20 statt. Das5 durch die Prüfung erworbene Anrecht auf Erteilung des Rel-U, sofern ich nicht später von der Glaubens- und Sittenlehre der Kirche abweiche (CJC 1381 §2&3), kann mir durch einen nachträglichen Beschluss nicht entzogen werden, wenn nicht etwa Vorgänge in der Prüfung selbst (Durchstechereien etc.) den Grund für einen Aberkennungsbeschluss bilden.
Die Tützer Verweigerung der missio canonica entbehrt somit tatsächlich der rechtlichen Grundlage. Sie lässt sich nur erklären (vgl. Zitat aus Bruner, Pastoral, S. 3 oben), weil meine Versetzung nach PrFriedland und Bestellung als Rel.-Lehrer ohne jede Tützer Mitwirkung geschehen ist.
Bei meiner Rückkehr in den Jurisdiktionsbereich des Fb. Delegaten und Weihbischofs zu Berlin, indirekt in den des Breslauer Fürstbischofs und Kardinals, hätte ich wie früher R-U erteilen können, wenn nicht CJC 44 § 1 besagte: "Nemo gratiam a proprio Ordinaro denegatam ab alio petat, nulla facta denegationis mentione", sodass ich kirchenrechtlich korrekt mit Berlin und Breslau Verhandlungen anknüpfen musste, deren Niederschlag Anlage 4 ist, wonach ich <nur> mit <starker> Einschränkung R-U an höheren Schulen erteilen darf. (Eine neue Eingabe nach Breslau vom 12.5.26 ist bisher unbeantwortet.)
Da ich im innersten Wesen ein religiöser Mensch bin, trifft mich die Ablehnung für den R-U psychologisch sehr schwer, zumal ich stets für die Kirche und ihre Diener und die Religion viel mehr getan, als meine Pflicht war. Als ich Ende März 1919 wegen Arbeitsuntauglichkeit (infolge schwerer Verwundung) aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen werden sollte, blieb ich freiwillig 1/2 Jahr zurück, da ich die Seelsorge für meine Kameraden leitete und z. T. selbst mit bischöflicher Erlaubnis ausübte. Für private Arbeit an Schülern bevorzugte ich namentlich solche, die Priester werden wollten und mir z. T. durch Geistliche zugeführt wurden. Für kirchliche Zwecke verwandte ich oft einen grossen Teil meines Gehaltes (Herz-Jesu-Kirche, Bln). Jahrelang veranstaltete ich apologetische Abende.
Ich bitte um möglichste Unterstützung bei Verhandlungen mit den kirchlichen Behörden bzw. um Einigung zwischen diesen und dem Ministerium. Gehorsamst
gez: Felix J. Langer
Studienassessor am Fr-Werder-Gymn. in Bln.
4 Anlagen.
87r, hds. Anmerkung von Langer: "ad litteras F 451 d. 25. m. Jul. ad Sanctam Sedem datas. 5/8 29 L." Daneben hds. in pink oberhalb des Textkörpers notiert: "I" sowie Unterstreichung des Titels und der hds. Anmerkung Langers.
1Dieser Satz ist hds. am linken Rand vom Verfasser markiert.
2Hds. Markierung vom Verfasser am linken Rand.
3Hds. doppelte Markierung vom Verfasser am linken Rand.
4Satz hds. am linken Rand vom Verfasser markiert.
5Dieser Satz vom Verfasser hds. doppelt am linken Rnd markiert.
Empfohlene Zitierweise
Langer, Felix Johann, Rechtsdarstellung btr. Verweigerung der missio canonica für den kath. Religionsunterricht in Pr.Friedland (Grenzmark), Preußisch Friedland vom 27. Juli 1926, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 19726, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/19726. Letzter Zugriff am: 08.05.2024.
Online seit 20.01.2020.