Dokument-Nr. 20567
Hürth SJ, Franz
: Mayer, Dr. Joseph; Gesetzliche Unfruchtbarmachung Geisteskranker
(Freiburg i. Br. 1927. Herder u. Co.).. [Valkenburg], vor dem 21. Oktober 1928
Grundsätzlich ist dem Staate das Recht der direkten Sterilisation all derjenigen zuzusprechen, von denen mit moralischer Sicherheit nur minderwertige Nachkommen zu erwarten sind. Der tatsächliche Gebrauch dieses Rechtes ist aber erst dann zulässig, wenn sich der Staat nicht mehr auf andere Weise gegen das Überhan
Der erste Satz dieser These ist irrig, unbewiesen; baut auf irrigen Voraussetzungen auf; führt zu widersittlichen Folgerungen, steht in mehreren Punkten mit allgemein anerkannten Sätzen der kath. Sittenlehre in Widerspruch; ist objektiv geeignet ein Anlaß zu Aergernis und widersittlichem Tun zu werden; ist objektiv unvereinbar mit der Entscheidung des S. Officium vom 22. Mai 1895, die die Erlaubtheit der direkten Sterilisation (der Frau) verneint; (Collectanea S. Congr. de Prop. Fid., 2 Vol. pag. 321., n. 1897).
Zur Erhärtung dieses Gesamturteils ist es notwendig, die hauptsächlichsten Einzelthesen und Beweise anzuführen und zu beurteilen, mit denen der Verfasser seine Grundthese darzutun versucht. Es sind im wesentlichen folgende:
1.- Die genannten Minderwertigen haben kein Recht auf Ehe und Zeugung. Das ergibt sich aus der Natur der Sache und der Autorität des hl. Thomas.
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2.- Weil diese Minderwertigen kein
Recht auf Ehe und Zeugung haben, bedeutet die direkte Sterilisation keinen Eingriff in deren
persönliche Recht.3.- Der Staat hat dem Einzelmenschen gegenüber im wesentlichen die gleiche Stellung, die der Mensch den Einzelgliedern seines Körpers gegenüber hat. Der Staat kann darum die Persönlichkeit des einzelnen antasten, (auch wenn kein schuldhaftes Verhalten vorliegt), wo immer dem Staat von dem einzelnen eine Schädigung droht, gegen die der Staat sich auf andere Weise nicht schützen kann. Diese [sic] Eingriffsrecht des Staates ergibt sich aus den gleichen Gründen, mit denen das Recht des Staates dargetan wird, die Persönlichkeit des schuldhaften Verbrechers anzutasten. Vor allem ist für den Fall eines Notstandes des Staates zuzugeben, daß dem Staate von Gott die Gewalt und Berechtigung gegeben wird, entgegenstehende Recht jeder einzelnen beiseitezuschieben, wenn sonst dem Notst
4.- Der Wille de
1.
Der Verf. sprich allen, von denen mit moralischer Gewißheit nur minderwertige Nachkommen zu erwarten sind, das natürliche Recht der Ehe und Zeugung ab; er beschränkt seine Behauptung nicht auf minderwertige [sic], die als "Geisteskranke im eigentlichen Sinn" eines menschlichen Handelns nicht fähig sind (S. 32 ff.
In der vorliegenden Allgemeinheit ist der Satz gegen die weitaus vorherrschende Auffassung der Moraltheologen; mit Unrecht nimmt der Verf. die Autorität des hl. Thomas für sich in Anspruch. Der Satz ist
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auch nicht zu vereinbaren mit dem von Leo XIII. in
seiner Encyclica "Rerum Novarum" ausgesprochenen Satz: "Jus coniugii naturale et primigenium
homini adminere, causamve nuptiarum praecipuam, Dei auctoritate initio constitutam, quoque
modeo circumscribere lex hominum nulla potest" 2.
Der Verf. folgert aus dem von ihm behaupteten Mangel des Rechtes auf Ehe und Zeugung, daß der gesetzlichen Sterilisierung kein Recht der genannten Minderwertigen entgegenstehe, und dieser Eingriff darum keine Rechtsverletzung darstelle, (S. 106 ff).
Insofern dieser Satz auf dem behaupteten Mangel eines Rechtes zur Zeugung aufbaut, gilt das soeben zu Satz 1 Gesagte. Aber selbst wenn den genannten Minderwertigen ein solches Recht mangelte, ist die Schlußfolgerung, die der Verf. daraus zieht, unzulässig; denn etwas anderes ist das Recht, ein Organ zu gebrauchen, etwas anderes das Recht, das betreffende Organ überhaupt zu haben. Darum folgt aus dem Recht, den Gebrauch eines Organs endgültig zu verbieten, noch nicht das Recht, das Organ selbst zu zerstören oder physisch funktionsuntüchtig zu machen. - Derartige Beweisführungen sind in Dingen des praktischen Lebens nicht ohne Gefahr.
Insofern in diesem Satz eine Überspannung der Gewalt enthalten ist, die dem Staate dem einzelnen gegenüber zusteht, gilt das sogleich unter 3 zu Sagende.
3.
Bezüglich des Verhältnisses der Einzelpersönlichkeit zum Staat stellt der Verf. die Behauptung auf:
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a) Der Staat hat dem einzelnen gegenüber die gleiche
Stellung, die der Mensch den Einzelgliedern seines Körpers gegenüber hat.
(S. 121 ff).Der Satz übersieht, daß zwar eine große Ähnlichkeit, aber keine volle Gleichheit besteht bezüglich der Beziehung zwischen Einzelmensch und Staat und der Beziehung zwischen Einzelglied und Gesamtorganismus. Die Einzelglieder sind in keiner Weise Zweck für den Gesamtorganismus, sondern nur Mittel; die Menschen aber sind Zweck für den Staat; da der Staat für die Menschen da ist, nicht die Menschen für den Staat. Der Satz des Verfassers widerspricht darum in der genannten Übertriebenen [sic] Ausdehnung der christlichen Lehre über das Verhältnis von Mensch und Staat, wie sie vor allen in den Encyclicen Leos XIII. zum Ausdruck kommt; er enthält objektiv eine Wertung des Staates und einen Staatsbegriff, die Pius XI. in dem geheimen Konsistorium vom 20. Dezember 1926 zurückgewiesen hat mit den Worten: "... iterum praeferri videtur illa Civitatis seu Status notio, quae ab catholica doctrina plane abhorret: Civitatem seu Statum sibi ipsum finem esse ultimum; civem nisi ad Civitatem non ordinari; ad eam omnia oportere conferri, in ea absumi omnia" (AAS 18 (1926) 523).
Der Satz ist darum irrig und, namentlich in der Jetztzeit, gefährlich.
Thomas gebraucht zwar den Vergleich des physischen Organismus; aber er gibt ihm nicht die weite Ausdehnung, wie der Verfasser. Darum beruft sich der Verfasser mit Unrecht auf die Autorität des Doctor Angelicus; diese Berufung ist aber geeignet, eine Irreführung der Leser zu erleichtern und wirksamer zu machen.
b) Der Verf. stellt, was das Eingriffsrecht des Staates in die Persönlichkeitsrechte des einzelnen angeht, der Substanz nach eine schuldlose
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Schädigung oder Bedrohung der staatlichen Gemeinschaft auf eine Stufe mit einer
schuldbaren durch einen Verbrecher (S. 109 ff). Dieselben Beweise, die
das Recht des Staates dartun, den schuldhaften Verbrecher an Leib und Leben zu strafen,
sollen auch das Recht beweisen, die körperliche Integrität des schuldlosen Schädlings
anzutasten.Die These und Bewei<s>führung6 verkennt den wesentlichen Unterschied, der zwischen "Verbrechen" und "schuldloser Schädigung oder Gefährdung" liegt, und den darin begründeten wesentlichen Unterschied in dem Eingriffsrecht des Staates. Die Erörterungen des Verf. sind irrig und irreführend namentlich auch durch die Berufung auf die Lehre und Autorität des hl. Thomas, der im Gegensatz zum Verf. klar unterscheidet zwischen dem staatlichen Eingriffsrecht gegen Verbrecher und dem gegen schuldlose Schä
c) Um dem Staate das Recht zur direkten Sterilisierung zuschreiben zu können, stellt der Verf. den ganz allgemeinen Satz auf: "Wenn irgend etwas zur Erhaltung eines Einzelkörpers oder des Staatskörpers unbedingt notwendig ist, dann ist es der Natur jenes Körpers angemessen, also von Gott gewollt, d. i. gut. Gott kann nicht zulassen, daß etwas in sich Schlechtes einem Wesen zu seiner Erhaltung unbedingt notwendig wird." – "Der Patient hat von sich aus keine unbeschränkte Herrschaft über seine Glieder; diese Herrschaft hat Gott allein. Die Not aber scha
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Nach übereinstimmender Lehre der Moraltheologen hat weder
der Staat noch irgendein Privater ein direktes Verfügungsrecht über das Leben eines
Schuldlosen; noch wird ihm ein solches von Gott zugestanden, wenn er sonst das eigene Dasein
nicht erhalten kann. - Wäre das Gegenteil der Fall, so müßten die Entscheidungen des
S. Offficium über Craniotomie und directa procuratio abortus (vom: 28. Mai 1884;
19. Aug. 1889; 24. Juli 1895) als irrig bezeichnet werden; da sie gerade für den
Fall des Notstandes der Mutter die Erlaubtheit der genannten direkten Eingriffe in Abrede
stellen. – Der oben angeführte Satz des Verf. muß darum als in sich irrig, als unbewiesen
bezeichnet werden, als in Widerspruch stehend mit kirchlichen Entscheidungen, und als
gefährlich für die Praxi4.
Der Verf. vertritt der Sache nach den Satz: der Wille des Gesetzgebers, der – (zum Schutze des Gemeinwohls) – auf die Sterilisierung eines eventuellen Geschlechtsverkehrs direkt abzielt, ist rücksichtlich dieser Absicht sittlich nicht zu beanstanden (S. 369 ff).
Der Satz ist irrig, irreführend und gefährlich, da er letzten Endes die direkte Verhütung der Empfängnis bei Vornahme geschlechtlicher Betätigung als nicht in sich und unter allen Umständen verwerflich erklärt. Der Verf. erklärt zwar ausdrücklich, daß auch der Staat keinen onanistischen Verke<h>r10 erlauben könne; aber der Verf. übersieht, daß er tatsächlich dem Gesetzgeber eine derartige onanistische Gesinnung zumutet. Denn wie der Verf. selbst ausführt, soll die gesetzliche Sterilisierung einen Schutz bieten für den Fall, in dem der Minderwertige gegen den Willen des Gesetz-
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gebers geschlechtlichen Verkehr vornimmt, damit für
den Fall die Gefahr einer Empfängnis ausgeschlossen werde. Die Maßnahme des
Gesetzgebers zielt also direkt auf die Unfruchtbarmachung eines eventuellen
Geschlechtsverkehrs ab; das aber ist das Wesentliche eines onanistischen Verkehrs bezw.
einer onanistischen Absicht. Gegen den vom Verf. aufgestellten Satz gelten also alle gegen
den Onanismus coniugalis von den kirchlichen Stellen erteilten Antworten, und steht die
einstimmige Lehre der kath. Moraltheologie über die unbedingte Unerlaubtheit jeder direkten
Sterilisierung des geschlechtlichen Verkehrs. – Aus eben diesem Grunde verwirft auch die
Entscheidung des S. Officium vom 22. Mai 1895 die direkte Sterilisierung der Frau,
wenn gleich dieser Grun1↑Hds.
gestrichen und eingefügt von Hürth.
2↑Hds. gestrichen und eingefügt von Hürth.
3↑Hds.
gestrichen und eingefügt von Hürth.
4↑Masch.
gestrichen.
5↑Hds. gestrichen
und eingefügt von Hürth.
6↑Hds. eingefügt von
Hürth.
7↑Masch.
gestrichen.
8↑Masch. gestrichen und eingefügt.
9↑Masch. gestrichen und
eingefügt.
10↑Hds. eingefügt von Hürth.
11↑Hds. gestrichen und eingefügt von
Hürth.
12↑Hds. eingefügt von
Hürth.