Dokument-Nr. 2624
Rantzan, Nicodemus an Pacelli, Eugenio
[Rositten], 17. Mai 1918

Die frühere "Terra Mariana" oder Lettgalien (Latgola), (olim Livonia) hat im XVI. Jahrhundert einen großen Teil seiner katholischen Gemeinde verloren, denn die lettischen Einwohner des Landes, von dem Baltischen Meer, bis Luban See und von Wolmar (in Livland) bis zur Düna, wurden zur Zeit der Reformation dem lutherischen Glauben angeschlossen.
Nur in dem Gouvernement Witebsk, in den drei Kreisen: Ljuzyn, Rositten und Dünaburg (genannt "Polnisch Livland") ist noch der katholische Glaube erhalten geblieben. Aber der Zustand des katholischen Glaubens in den genannten drei Kreisen oder in Lettgalien ist bedauernswert.
Früher waren in Lettgalien (d. h. in Livonien) und in Kurland einige Bischöfe, welche dem Erzbischof in Riga untergeordnet waren.
Im XVII. und XVIII. Jahrhundert war für Lettgalien der Bischof aus Wenden (in Livland), der den Titel des Livonischen Bischofs trug, angestellt. Mehr wie ein Jahrhundert haben die katholischen Letten keinen lettischen Bischof gehabt, denn die drei genannten Kreise wurden dem Erzbistum Mohilew zugeteilt. Bei der großen Ausdehnung der Erzdiözese Mohilew vergehen Jahrzehnte bis die Letten ihren höheren Geistlichen, den Bischof, zu sehen bekommen. Katholische Letten gibt es ungefähr 400.000 Seelen (300 tausend in Lettgalien und 100 tausend in Kurland) und so viele Gemeindeglieder haben keinen Bischof ihrer Nationalität. Der Erzbischof zu Mohilew ist in Petersburg wohnhaft und außer Lettgalien hat er die größte Diözese der Welt und deshalb hat er zu wenig Zeit, um Lettgalien zu gedenken. "Pluribus intentus minor est ad singulo sensus." So ist es auch mit den katholischen
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Letten geschehen. Orthodoxe Letten gibt es ungefähr nur 50 tausend Seelen, welche ihren eigenen Bischof, der sie oft besuchen kann, haben. Außerdem spricht der orthodoxe Bischof lettisch. Wenn der katholische Bischof einmal nach Lettgalien kommt, kann er in der Volkssprache nicht sprechen und deshalb ist er wie stumm, was wirklich eine Schande für die katholische Kirche ist.
Im Geistlichen Seminarium in Petersburg wurde früher die lettische Sprache nicht gelernt. Erzbischof Klopotowsky hat ungefähr vor 16 Jahren die Sprache als Unterrichtsfach eingeführt. Die lettische Sprache wurde aber nicht so gut, wie andere Fächer erteilt, und Erzbischof Klintschinsky hat sie wieder aus dem Seminarium zeitweilig ausgeschlossen.
Die russische Regierung hat immer die katholischen Einwohner verfolgt, besonders aber die katholischen Letten. Andere Völker Russlands, auch katholische, hatten die Pressefreiheit, die katholischen Letten haben dieses Recht erst im Jahre 1904 erhalten. Die Geistlichen hatten immer von der Regierung zu leiden. Als die sozialistischen Maximalisten (Bolschewisten) in Russland und auch hier herrschten, wurden die Geistlichen in solcher Art verfolgt, wie es nur zur ersten Zeit des Christentums geschehen ist. Den Märtyrertod starben: Xaverius Martinenas, Pfarrer der Gemeinde Nautrany (Rogowka) und John Bikschis, Pfarrer der Gemeinde Lianskorona; Pavel Medschiss, Pfarrer der Gemeinde Jamosches, ist vor Schrecken am Herzschlag gestorben. Viele von den Pfarrern wurden gezwungen, einen sicheren Zufluchtsort aufzusuchen. Den Gerüchten nach sind achtzehn katholische Geistliche von den Bolschewisten hingerichtet worden. Die einzige lettische (katholische) Zeitung "Drywa" (Acker) wurde von den Bolschewisten geschlossen, und den Redakteur, Pfarrer Skrinda, wollten sie verhaften und später töten. Auch der, von ihm herausgegebene katholische Kalender wurde konfisziert und verbrannt.
Zu dieser Zeit sind die deutschen Heerestruppen in Lettgalien eingerückt. Wenn sie nur etwas später gekommen wären, hätte die Hälfte von allen Pfarrern den Tod gefunden. Wir können noch vermerken, dass auch von den katholischen Letten fast in jeder Gemeinde einige von der maximalistischen Lehre verführt worden sind, denn sie schämten sich nicht
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gegen ihre eigenen Pfarrer die Hand anzulegen und sie zu verfolgen. Sogar jetzt drohen sie noch, sobald die Deutschen unser Land verlassen, alle Geistlichen, Adligen und Gebildeten töten zu wollen.
Die Einwohner hier zu Lande sind ungebildet. In den Schulen wurde der Unterricht mit Tendenz erteilt, die Kinder sollten ihren katholischen Glauben und ihr lettisches Volk verleugnen, um sich der russischen Regierung und Sprache und dem orthodoxen Glauben anzuschließen. Für die Sittlichkeit und Wissenschaft wurde fast gar nicht gesorgt.
Es gibt Gemeinden, wo die Leute 25-35 Werst (Kilometer) zur Kirche fahren müssen. Der Religionsunterricht wird in den Schulen sehr schlecht erteilt. Die zukünftigen Geistlichen werden unter der strengsten Aufsicht der russischen Regierung erzogen. Es ist wirklich ein Wunder, dass wir noch lettische Pfarrer haben und dass man bei solchen Umständen lettische Pfarrer erziehen konnte, denn die Volkssprache wurde sogar in den Volksschulen verboten. Die Verhältnisse sind in Lettgalien sehr traurig. Dass einige Pfarrer erschossen worden sind, den anderen damit gedroht wird, ist kein Wunder, – das ist die Folge der russischen Erziehung. Dorthin wurde das Volk schon seit langem geführt, und jetzt sehen wir die Früchte.
Da Lettgalien jetzt von den deutschen Heerestruppen eingenommen wurde, sind wir von unserem Bischof in Petersburg getrennt worden und sind ohne jeden höheren Geistlichen geblieben. In vier Pfarreien wird kein Gottesdienst gehalten, da keine Pfarrer da sind. Wir haben keinen, der Fürsprache für uns einlegen kann. Daher bitten alle lettischen katholischen Pfarrer Ihre Eminenz, unsere traurigen Verhältnisse und unser Unglück Seiner Heiligkeit dem Papst Benedikt XV. zu melden.
Wir bitten ergebenst Seine Heiligkeit den Papst für unsere katholische Kirche eine Intervention aushändigen zu wollen, damit wir in der Zukunft von einem vielleicht noch schwereren Schicksal behütet werden. Wir möchten auch für Lettgalien einen lettischen Bischof haben. Mit derselben Bitte haben wir uns an den Erzbischof von Mohilew gewendet. Damals hat der Bischof John
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Cieplak, dem römischen Papst den Canonicus des Mohilewschen Bistums Anton Springowitsch, Pfarrer der Gemeinde Liksna, als einen Kandidaten für diesen Posten empfohlen.
Wir möchten ihn als unseren Bischof sehen.
Dec. [ein Wort unlesbar] Kath. Pfarrer von Rositten.
N. Rantzan
Pfarrer Kasimirus Skrinda, Redacteur der lettischen Zeitung "Drywa".
[Ein Name unlesbar]
[Ein Name unlesbar]
Empfohlene Zitierweise
Rantzan, Nicodemus an Pacelli, Eugenio vom 17. Mai 1918, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 2624, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/2624. Letzter Zugriff am: 25.04.2024.
Online seit 17.06.2011.