Dokument-Nr. 2786
Pichler, Josef: [Kein Betreff]. München, 08. April 1919
Die Not der Zeit und die Wachsenden Schwierigkeiten der Seelsorge haben in den verflossenen Jahren beim Klerus das Gefühl der Solidarität mächtig geweckt und das Verlangen nach einer starken Organisation, welche alle Kräfte zusammenfasst zu gemeinsamer Arbeit für die gemeinsamen Ziele, immer stärker werden lassen.
Die im Jahre 1912 gegründete Priesterkongregation kann dieses Verlangen nur zum Teile befriedigen. Ihr Hauptzweck ist ein aszetischer [sic], den sie durch möglichst monatliche Konvente mit Ansprache und Segensandacht (Beichtgelegenheit!) in z. Z. 20 Bezirken zu erfüllen sucht. Daran schliessen sich freilich auch Referate mit Aussprache über wissenschaftliche und pastorelle [sic] Fragen.
Ausserdem besteht in der Erzdiözese noch ein Krankenunterstützungsverein sowie ein Brandversicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Es gibt aber noch manch andere gemeinsame Priesterinteressen, die nach einer - und zwar grösseren, über die Diözesangrenzen hinaus reichenden Organisation - rufen. Von Zukunftsmöglichkeiten, wie Aufhören des Staatszuschusses, Beschlagnahme des Kirchenvermögens, Einführung der Ständevertretung x soll vorerst gar nicht die Rede sein.
Was die Seelsorge betrifft: Sind nicht die Gefahren, Nöten und Mittel der Abhilfe überall so zimlich [sic] die gleichen? Wäre da nicht mehr Zusammenarbeiten, regerer schriftlicher und mündlicher Gedankenaustausch am Platze? Soll, was im Norden mit Erfolg erprobt wurde, nicht auch im Süden angewandt werden und umgekehrt?
Die Präsides der Gesellenvereine haben ihren Verband über alle Länder deutscher Zunge; die sozialen Vereine ihren süddeutschen Verband und Fühlung mit den norddeutschen Verbänden.
Aehnliches besteht auch bereits für kirchliche Vereine. Es besteht ein sehr rühriger Verband der Jungfrauenkongregationen mit dem Sitz in Bochum, dem z. B. auch die Diözese Freiburg i. B. angeschlossen ist. Die jüngst zu Fulda abgehaltene Bischofskonferenz hat den Zusammenschluss der Müttervereine zu Diözesaverbänden [sic] und zu einem Gesamtverband sehr empfohlen.
Als in den letzten Jahren ein Bayerischer Landesverband der Jungfrauenkongregationen und Müttervereine von den Präsides angestrebt wurde, fand der Gedanke leider wenig günstige Aufnahme und vereinzelt sogar direkte Ablehnung <seitens d. frz. Ordinariats>1, so das [sic] er nicht zur Ausführung kam.
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Eine Organisation des gesamten Klerus von Bayern, die alle die verschiedenen priesterlichen Berufss-und Standesinteressen zusammenfassen würde, könnte ungemein segensreich wirken, z. B. durch1. Veranstaltung von grösseren Kursen sowie Vorträgen in Diözesan- oder Bezirkskonferenzen für Priester;
2. Bereitstellung von geeigneter Literatur, Flugblättern, Austausch der Kirchenzeitungen. Standesorgane, Mitteilungen x zwischen den einzelnen Redaktionen, bzw. Verbands- oder Diözesanleitungen;
3. Einführung der Pfarrkartothek (gleiches Formular!) wenigstens an den grösseren Orten und Ueberweisung von wegziehenden Familien;
4. Einheitlich geschlossenes Zusammenwirken mit den kirchlichen Oberen gegenüber den Gefahren der neuzeitlichen Verhältnisse;
5. Schutz und Förderung der Standesinteressen des Klerus z. B. Rechtsschutz, Rechtsauskunft, Pressberichtigung;
6. Schaffung von Wohlfahrtseinrichtungen z. B. Spar- und Darlehenskassen, Erholungs- und Altersheimen für Priester;
(Ev. Anschluss an den "Pax" Verein, der in den unter 5 und 6 genannten Punkten bereits Mustergiltiges [sic] geschaffen hat.)
7. Weckung und Auswertung der im Klerus vorhandenen ideellen und materiellen Kräfte im Dienste der Kirche; insbesondere auch Herausholung von Fachleuten für bestimmte Arbeitsgebiete;
8. Schaffung und Bedienung eines den bezeichneten Zielen dienenden Standesorgans.
An der bestehenden kirchlichen Organisation (Diözese, Dekanat) und deren Befugnissen dürfte natürlich in keiner Weise gerüttelt werden und würde obiger Standesverein in völligem Einvernehmen mit der oberhirtlichen Stelle und in gehorsamer Unterordnung unter dieselbe seine Aufgaben zu erfüllen suchen. Sicher würde der bayerische Klerus sich des ihm geschenkten Vertrauens wert zeigen und durch Freihaltung des Standesvereins von unpassenden Tendenzen und Bestrebungen seine treue kirchliche Gesinnung erweisen.
Msgr. Jos. Pichler
Praeses
1↑Hds. von unbekannter Hand eingefügt.