Dokument-Nr. 2891

Lama, Friedrich Georg Ritter von: Papst, Kurie und Weltkrieg. Historisch-kritische Studie von einem Deutschen, Berlin, S. 19-20. Berlin, 1918

[Abschrift]
Wie ungleich die Rechte der verschiedenen Nationen im Kardinalskollegium vertreten sind, ergibt eine Zusammenstellung der Anzahl der Katholiken in den verschiedenen Ländern (nach "Die Religion in Geschichte und Gegenwart", Tübingen 1913) und der Anzahl der diesen Nationen angehörigen Kardinäle (nach den Angaben des "Annuario Pontificio" Rom 1917):
Italien 34,4 Millionen Katholiken, 35 Kardinäle
Frankreich 38,5 Millionen Katholiken, 8 Kardinäle
Österreich-Ungarn 38,6 Millionen Katholiken, 5 Kardinäle
Nordamerika 11,0 Millionen Katholiken, 4 Kardinäle
Großbritannien 5,5 Millionen Katholiken, 4 Kardinäle
Spanien 19,4 Millionen Katholiken, 4 Kardinäle
Deutschland 23,8 Millionen Katholiken, 2 Kardinäle
Portugal 5,4 Millionen Katholiken, 2 Kardinäle
Brasilien 16,0 Millionen Katholiken, 1 Kardinal
Belgien 7,4 Millionen Katholiken, 1 Kardinal
Holland 1,7 Millionen Katholiken, 1 Kardinal

Nach dem Stand der kriegführenden Völker bedeuten diese Zahlen, dass in dem berufenen Obersten Rate des Papstes die Entente durch 55 Kardinäle die Mittelmächte durch 7, die Neutralen durch 5 vertreten sind. Nach dem Tode des Kardinals von Bettinger in München (+ 12. April 1917) zählt Deutschland nur noch einen Vertreter im Kardinalskollegium, steht also auf einer Stufe mit Belgien oder Holland. Die Zahl der Vertreter Österreich-Ungarns sank mit dem Tode des Kardinals v. Hornig (+ 10. Februar 1917) auf 4, die der Mittelmächte also auf 5.
In Deutschland wird, in der Absicht, diese Dinge geschämig zu beschönigen, häufig versucht, die Tragweite der Zustände im engeren Senat des Papstes zu entkräften durch die Behauptung, der Einfluss der Kardinäle sei
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nicht so hoch zu bewerten, der Papst treibe durchaus selbständige Politik.
Soweit hier der Kardinalstaatssekretär in Frage kommt, haben wir dessen Stellung und Einfluss schon oben (S. 17) besonders besprochen. Im Allgemeinen darf nicht vergessen werden, dass in den Dingen, die im Zusammenhang mit dem Kriege zur Sprache kommen, das unfehlbare und unabhängige Magisterium des Papstes meist nicht in Frage steht. Es handelt sich für Benedikt XV. jetzt nicht darum, in Sachen des Glaubens und der Sitten Lehrentscheidungen abzugeben, sondern in politischen Dingen Ratschläge zu erteilen und Vermittlungen zu versuchen. Dies kann er nicht ausschließlich nach rein persönlichem Empfinden tun, sondern muss die Traditionen und Interessen der Kurie berücksichtigen. Zu diesem Zwecke ist ihm das Kollegium der Kardinäle als beratende Instanz und mitwirkende Organisation zur Seite gestellt. Schon aus Klugheit wird er es vermeiden müssen, sich zu der Mehrzahl dieser Ratgeber und angesehenen Mitarbeiter in ernsten Gegensatz zu bringen. Diesem romanisch-englisch-amerikanischen Kardinalskollegium nachzusagen, dass es von nationalem Empfinden frei sei und über dem Streite stehe, geht auf Grund der Tatsachen nicht an. Kardinal Amette von Paris steht an der Spitze des berüchtigten Comité catholique de propagande française, Kardinal Mercier, der ungekrönte König der belgischen Rebellen, die Kardinäle Gasquet und Bourne als unermüdliche Zwischenhändler Englands, Kardinal Maffi, der begeisterte Patron der italienischen Nationalisten, haben ein politisches Temperament bewiesen, dem gegenüber der Papst sein ganzes diplomatisches Geschick aufbieten musste, um den die Kurie beherrschenden politischen Kurs nicht allzu deutlich in Erscheinung treten zu lassen.
Empfohlene Zitierweise
Lama, Friedrich Georg Ritter von, Papst, Kurie und Weltkrieg. Historisch-kritische Studie von einem Deutschen, Berlin, S. 19-20, Berlin vom 1918, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 2891, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/2891. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 04.06.2012.