Dokument-Nr. 3728
Matt, Franz an Pacelli, Eugenio
Gotteszell, 26. August 1920
Euere Exzellenz!
Bei der jüngsten Besprechung Euerer Exzellenz mit mir über den Modus procedendi zur Gewinnung geeigneter Unterlagen für die weiteren Verhandlungen zwischen dem Hl. Stuhle und des Freistaates Bayern in Sachen einer neuen Vereinbarung über die Verhältnisse der katholischen Kirche in Bayern habe ich Euerer Exzellenz zugesagt, Ihnen meine zunächst nur persönliche und unverbindliche Auffassung über die Punktationen mitzuteilen, die Euere Exzellenz unterm 4. Februar ds. Js. der bayerischen Staatsregierung im Auftrag des Hl. Stuhles überreichten.
Ein Benehmen mit dem Ministerrate habe ich zunächst noch unterlassen. Den geeigneten Zeitpunkt dafür halte ich nämlich erst dann für gegeben, wenn die Verhandlungen über die möglichen einzelnen Vertragspunkte soweit geklärt sind, dass wenigstens unüberwindlich scheinende Schwierigkeiten beseitigt und somit Grundlagen gegeben erscheinen, gegen die nicht von vornherein ein Widerstand der weiter beteiligten Faktoren mit Sicherheit zu erwarten ist.
Euere Exzellenz haben ja die gegenwärtige Fassung der einzelnen Vorschläge selbst nicht als endgültig erachtet, vielmehr bei ihrer Überreichung als die Meinung des hl. Stuhles bezeichnet, dass mit den Vorschlägen nur die Verhandlungen über jene Gegenstände eröffnet werden wollten, an deren Regelung
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dem hl. Stuhle besonders gelegen ist.Zunächst darf ich nun erinnern an einen Punkt, den ich bei unseren wiederholten Besprechungen stets betonte: Bayern ist ein Glied des Deutschen Reiches und als solches gewillt und verpflichtet, die jeweilige Reichsverfassung und Reichsgesetzgebung zu beachten und zu vollziehen. Eine neue Vereinbarung zwischen dem hl. Stuhle und Bayern muss sich also in den Grenzen halten, die dem Freistaate Bayern durch die Verfassung und die Gesetzgebung des Deutschen Reiches gezogen sind. Es werden daher Wendungen und Fassungen zu vermeiden sein, die sich als unzulässige Änderungen oder Ergänzungen usw. reichsrechtlicher Bestimmungen darstellen.
Die künftige Vereinbarung sollte ferner nur solche Gegenstände einbeziehen und ihre Regelung in solcher Fassung und mit solchem Abmaße vorsehen, dass im Landtag eine weitere Debatte über Einzelheiten tunlichst vermieden werden und die Annahme der Vorlage als ganzes erfolgen könnte. Beide Vertragsteile wünschen doch der neuen Vereinbarung eine möglichst lange Lebensdauer.
Es dürfte sich daher empfehlen, Angelegenheiten, die bereits in der Reichsverfassung ihre Regelung gefunden haben, aus dem abzuschließenden Vertrage ganz auszuschalten oder doch nur in einer mit der Reichsverfassung übereinstimmenden, nicht mit einer von dieser abweichenden Fassung aufzunehmen. Solange die Reichsverfassung und die Reichsgesetzgebung die Regelung des betreffenden Gegenstandes aufrechthalten, genießt die kathol. Kirche davon den Vorteil ohne Rücksicht darauf, ob der Punkt in
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der neuen Vereinbarung wiederholt ist oder nicht. Wenn aber einmal die Gegnerschaft eine Mehrheit erhalten sollte, dann besteht die Gefahr, dass eine solche politische Mehrheit kaum Bedenken trägt, eine Vereinbarung mit solchen nicht genehmen Punkten als Ganzes abzuschütteln; es könnten dann nicht nur die Teile des Vertrages, auf deren Regelung ohne Bedenken hätte verzichtet werden können, sondern zugleich jene verloren gehen (z. B. finanzielle Conzessionen), die sonst ungestörter Besitz der katholischen Kirche, ihrer Institute und ihrer Mitglieder geblieben wären.Von solchen und ähnlichen Erwägungen aus habe ich zu den einzelnen Nummern der curialen Punktationen zunächst nur in der Form von Bemerkungen und unter Verzicht auf eigene Fassungsvorschläge Stellung genommen. Einen Teil dieser Bemerkungen gestatte ich mir Euer Exzellenz in der Anlage zu unterbreiten. Den Rest derselben werde ich demnächst nachbringen, wenn ich aus einem kurzen Urlaube, den ich auf dem Lande verbringe, nach München zurückgekehrt sein werde.
Eine Äußerung über die Wünsche, die staatlicherseits geltend gemacht werden wollen bezüglich vertragsmäßiger Regelung einiger kirchlicher Angelegenheiten, habe ich noch zurückgestellt.
Euer Exzellenz darf ich hiernach bitten, die Bemerkungen gefälligst prüfen und gegebenenfalls nach vorgängigem Benehmen mit dem hl. Stuhle die weiteren Vorschläge darnach bemessen zu wollen.
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Mit Vergnügen benütze ich auch diese Gelegenheit zur Versicherung der ausgezeichnetsten Hochschätzung, womit ich die Ehre habe zu bestehen als
Euerer Exzellenz
ergebenster
(gez.) Dr. Matt.