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                        Der Deutsche Botschafter beim Vatikan ist beauftragt worden, die Vermittelung Seiner
        Heiligkeit des Papstes bei der Französischen und Belgischen Regierung zu Gunsten der
        deutschen Ruhrgefangenen und der in Zusammenhang mit der Ruhraktion Ausgewiesenen in
        folgender Richtung zu erbitten:
I. Zu Gunsten der in St. Martin de Ré im Dépôt des Forçats befindlichen Gefangenen, auf die sich der Bericht des Legationssekretärs von Rintelen bezieht:
a) Für das bevorstehende Weihnachtsfest die Erlaubnis zu einem gemeinsamen Zusammensein der Deutschen für wenige Stunden, so dass sie auf diese Weise zum ersten Mal wieder ihr Schweigen brechen können;
b) Berücksichtigung der Motive ihrer Straftaten in der Art der Vollstreckung der Strafe, insbesondere also eine strenge Sonderung von den gemeinen Verbrechern;
c) Abbeförderung aus St. Martin de Ré, um ihnen die ständige Bedrohung mit einer Verschickung nach den Strafkolonien zu nehmen;
d) Abbeförderung in deutsche Gefängnisse im besetzen Gebiet, wodurch sie die Möglichkeit erhalten würden, wieder von Zeit zu Zeit, wie alle übrigen Gefangenen, einen Besuch der Angehörigen zu erhalten.
                            
                            
III. Zu Gunsten der Ausgewiesenen.
Die Gesamtzahl der Ausgewiesenen beträgt 147.000 Personen. Noch nach Einstellung des passiven Widerstandes sind 7.000 Personen ausgewiesen worden. Bei der furchtbaren Wohnungsnot in Deutschland bedeutet dies, dass all diese Personen jetzt heimatlos sind und noch kein eigenes Familienleben wieder führen können.
Die Deutschen Missionen in den hauptsächlichsten neutralen Ländern sind beauftragt worden, den dortigen Regierungen Kenntnis unserer Demarche beim Päpstlichen Stuhle zu geben und hierbei zu bemerken, dass wir, falls diese Regierungen sich zu einem gleichen Schritt bei der Französischen und Belgischen Regierung entschliessen wollten, dies von der Deutschen Regierung und dem deutschen Volke dankbar aufgenommen werden würde. 
                        
                             
                        Online seit 24.10.2013, letzte Änderung am 18.09.2015. 
                    
    Dokument-Nr. 4438
Auswärtiges Amt: [Kein Betreff]. Berlin, 04. Dezember 1923
I. Zu Gunsten der in St. Martin de Ré im Dépôt des Forçats befindlichen Gefangenen, auf die sich der Bericht des Legationssekretärs von Rintelen bezieht:
a) Für das bevorstehende Weihnachtsfest die Erlaubnis zu einem gemeinsamen Zusammensein der Deutschen für wenige Stunden, so dass sie auf diese Weise zum ersten Mal wieder ihr Schweigen brechen können;
b) Berücksichtigung der Motive ihrer Straftaten in der Art der Vollstreckung der Strafe, insbesondere also eine strenge Sonderung von den gemeinen Verbrechern;
c) Abbeförderung aus St. Martin de Ré, um ihnen die ständige Bedrohung mit einer Verschickung nach den Strafkolonien zu nehmen;
d) Abbeförderung in deutsche Gefängnisse im besetzen Gebiet, wodurch sie die Möglichkeit erhalten würden, wieder von Zeit zu Zeit, wie alle übrigen Gefangenen, einen Besuch der Angehörigen zu erhalten.
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 II. Zu Gunsten der etwa 2.500
        Gefangenen, die sich noch auf Grund von Urteilen französischer und belgischer
        Militärgerichte im besetzten Gebiet, aber auch in geringerer Anzahl in Gefängnissen auf
        belgischem Boden befinden, eine grosszügige Gnadenaktion. Bisher sind trotz restloser
        Einstellung des passiven Widerstands, die auch vom französischen Herrn Ministerpräsidenten
        in öffentlicher Rede anerkannt worden ist, nur einige wenige Persönlichkeiten aus den
        Gefängnissen entlassen worden, deren die Franzosen und Belgier zur Wiederingangsetzung des
        wirtschaftlichen Lebens im Kohlenrevier in ihrem eigenen Interesse bedurften. Hierbei ist zu
        berücksichtigen, dass selbst von französischer Seite wiederholt anerkannt worden ist, dass
        die französische Kriegsgerichtsbarkeit während des Ruhrkonfliktes eine Zweckjustiz gewesen
        ist, deren Tendenz sich jeder Veränderung der politischen Situation angepasst hat, wodurch
        sich die gewaltigen Unterschiede in der Höhe und der Art des Strafmasses auch bei
        gleichgelagerten Fällen erklären. Die Gerichte haben bei der Verurteilung selbst nicht damit
        gerechnet, dass die Strafen in voller Höhe vollstreckt werden würden, sondern haben
        wiederholt ihrer Annahme Ausdruck gegeben, dass die Strafen ihr natürliches Ende in dem
        Augenblick der Einstellung der passiven Widerstandes finden
        würden.80r
 Besonders wichtig erscheint eine der
        Gerechtigkeit und Menschlichkeit entsprechende Festlegung der Unterschiede zwischen
        politischen Verbrechen und Verbrechen gemeinen Rechts, die auf Seiten der Belgier und
        Franzosen rein formalistisch vorgenommen werden. Hierbei dürften vor allen Dingen die Motive
        der Tat zu berücksichtigen sein, ob sie aus Eigennützigkeit und Gewinnsucht oder aus edelen
        Beweggründen vorgenommen worden sind.III. Zu Gunsten der Ausgewiesenen.
Die Gesamtzahl der Ausgewiesenen beträgt 147.000 Personen. Noch nach Einstellung des passiven Widerstandes sind 7.000 Personen ausgewiesen worden. Bei der furchtbaren Wohnungsnot in Deutschland bedeutet dies, dass all diese Personen jetzt heimatlos sind und noch kein eigenes Familienleben wieder führen können.
Die Deutschen Missionen in den hauptsächlichsten neutralen Ländern sind beauftragt worden, den dortigen Regierungen Kenntnis unserer Demarche beim Päpstlichen Stuhle zu geben und hierbei zu bemerken, dass wir, falls diese Regierungen sich zu einem gleichen Schritt bei der Französischen und Belgischen Regierung entschliessen wollten, dies von der Deutschen Regierung und dem deutschen Volke dankbar aufgenommen werden würde.
