Dokument-Nr. 4445
Friedrich August III. von Sachsen an Pacelli, Eugenio
Schloss Sibyllenort in Niederschlesien, 05. April 1926

Persönlich
Eure Exzellenz!
Die innerpolitische Bewegung in Deutschland, die als "Fürstenenteignung" bezeichnet zu werden pflegt, gibt Anlaß zu lebhafter Besorgnis. Es handelt sich hier nicht allein um den Plan eines gegen das siebente Gebot verstoßenden Gewaltaktes gegen die Mitglieder der ehemals regierenden Häuser, sondern um einen Verstoß gegen die bestehende Rechts- u. Wirtschaftsordnung überhaupt, mithin um einen Ausläufer der von Osten kommenden kommunistischen Welle. Wie Eurer Exzellenz bekannt sein dürfte, ist das auf die Enteignung der ehemals regierenden Häuser gerichtete Volksbegehren von fast dreizehn Millionen Stimmberechtigten unterschrieben worden, während nur die Unterschrift von einem Zehntel sämtlicher Stimmberechtigten, das sind rund vier
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Millionen, erforderlich gewesen wäre. Um dies zu erreichen, ist eine ungemein starke Propaganda betrieben worden, die mit großen Ausgaben verbunden gewesen ist. Da hierzu die hohen Kosten treten, die die Antragsteller des Volksbegehrens zu tragen haben, in einem völlig verarmten Deutschland aber die kommunistische Arbeiterpartei aus eigener Kraft nicht im Stande ist, umfangreiche Geldmittel aufzubringen, so nimmt man allgemein an, daß diese Mittel zum großen Teile aus Moskau stammen.
Der durch den Volksentscheid eingebrachte Gesetzentwurf bezweckt nun die Enteignung des gesamten Vermögens der Fürstenhäuser, ihrer Familien und Familienangehörigen ohne irgendwelche Einschränkung auf bestimmte Vermögensgegenstände und ohne irgend eine Entschädigung für die fortgenommenen Güter. Ein Gesetzgebungsakt dieser Art würde nichts Anderes sein, als ein in die Form des Gesetzes gekleideter Diebstahl, der hunderte nicht nur ihres wohlerworbenen Besitzes berauben, sondern sie zugleich erbarmungslos der äußersten Not aussetzen würde. Gelänge aber dieser Akt, so würden die Kommunisten als die Träger der ganzen Bewegung das erreicht haben, was sie eigentlich wollen, die Durchbrechung der bisherigen Rechts- und Wirtschaftsordnung. Sie würden auf diesem Wege, die Begehrlichkeit der Massen immer aufs Neue entfachend, fortfahren, um zu dem von Moskau
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bestimmten Endziel zu gelangen. Allgemein vermutet man, daß die nächste Etappe auf diesem Wege die Enteignung der Kirchgüter, die folgende die Enteignung des Großgrundbesitzes sein werde. Schon jetzt werden mit der Fürstenenteignung die Fragen der Aufteilung und Siedelung verbunden. Diese Gefahr des herannahenden Bolschewismus bedroht nicht nur Deutschland als einen seiner geographischen Lage nach gegen ihn bestehenden Wall, sondern die gesamte europäische Kultur. Sie wiegt umso schwerer, als die kommunistische Bewegung in neuster Zeit auch in Ländern wie Frankreich und England sichtliche Fortschritte gemacht hat.
Was den rechtlichen Gang des Verfahrens anlangt, so muß nach der Reichsverfassung zunächst der Reichstag beschließen, ob er den Entwurf zum Gesetz machen will oder nicht. Im Falle der Ablehnung kommt es zum Volksentscheid. Nun ist zwar anzunehmen, daß der Reichstag zur Ablehnung des Entwurfs gelangen wird, da dieser eine Änderung der Verfassung enthält und die hierfür vorgeschriebene Mehrheit schwerlich erreicht werden wird. Gleichwohl haben Reichstag und Reichsregierung der von der radikalen Linken getragenen Bewegung Entgegenkommen gezeigt, in dem durch Gesetz vom 13. Februar 1926 alle Rechtsstreitigkeiten zwischen den Ländern (Einzelstaaten) und den Mitgliedern der ehemals regierenden Fürstenhäuser auf Antrag einer Partei bis zum
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Inkrafttreten einer reichsgesetzlichen Regelung (Gesetz oder Volksentscheid) auszusetzen sind. Ferner hat man, um die Bewegung aufzufangen, Verhandlungen über ein sogenanntes Kompromißgesetz eingeleitet, die im Rechtsausschuß des Reichstages gepflogen werden. Die bisherigen Verhandlungen lassen aber ein so weitgehendes Entgegenkommen erkennen, daß dadurch die Grundlagen des Rechtsstaates erschüttert, der Kommunismus aber durch seinen Teilerfolg ermutigt, zu neuen Vorstößen gegen die bestehende Rechts- und Wirtschaftsordnung ausholen wird. Wenn der Rechtsstaat seine wichtigsten Grundlagen in der Teilung der Gewalten in Gesetzgebung, Rechtssprechung und Verwaltung hat, so verstößt schon das Gesetz vom 13. Februar 1926 hiergegen, indem die Gesetzgebung der Rechtsprechung in den Arm fällt und schwebende Prozesse den ordentlichen Gerichten entzieht, um sie einem eigens für diesen Zweck einzusetzenden Ausnahmegesetz <richt>1 zuzuweisen. Nach den Verhandlungen ist aber nicht nur die Bildung eines Ausnahmegerichts entgegen der Idee des Rechtsstaates erwogen, sondern unter anderem auch, dieses Gericht in seinen Urteilssprüchen von den Bindungen des geltenden Rechts zu befrein [sic], ja sogar bereits rechtskräftig entschiedene Fragen von Neuem zur Entscheidung zu bringen. In alledem würde ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz wie gegen den der
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Unverletzlichkeit des Eigentums zu Ungunsten der Mitglieder der ehemals regierenden Fürstenhäuser liegen. Es wäre aber zugleich der erste prinzipielle Schritt getan, um bei dem nächsten kommunistischen Verstoß gegen andere in gleicher Weise zu verfahren. Die Annahme eines so gearteten Kompromißgesetzes würde eine schleichende, die Annahme des vorliegenden Volksbegehrens eine rapide Vernichtung der Rechtsordnung und somit des Rechtsstaates bedeuten.
Welchen Verlauf die Dinge nehmen werden, ob insbesondere das Kompromißgesetz noch vor dem Volksentscheid zur Beschlussfassung kommen wird, läßt sich zur Zeit noch nicht absehen. Auf jeden Fall ist aber, wenn das Volksbegehren durch Volksentscheid angenommen wird, mit einer schweren Staatskrise zu rechnen, die nicht nur einen Wechsel der Regierung, sondern auch des Staatsoberhauptes <zur Folge>2 haben würde. Vorkämpfer in dem dann einsetzenden Streit würden die Kommunisten auf der einen und <die>3 völkisch Radikalen auf der anderen Seite sein. Der Ausgang aber wäre ein völlig ungewisser.
Legt man sich die Frage vor, woher es kommt, daß fast ein Drittel aller Stimmberechtigten das Volksbegehren unterschrieben hat, so kommt man zu dem betrübenden Ergebnis, daß nicht nur die dem Marxismus anhängenden Parteien der Kommunisten und Sozialdemokraten, sondern auch Angehörige der sogenannten bürgerlichen Parteien sich in großer Zahl beteiligt haben. Wie sich zahlenmäßig nachweisen läßt,
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handelt es sich nicht nur hierbei um die nur in geringer Mitgliederzahl vorhandene demokratische Partei, sondern auch um zahlreiche Mitglieder der Zentrumspartei. Mit besonderer Genugtuung stellt der "Vorwärts", die Zeitung der Sozialdemokratie, in Nr. 126 fest, daß bei der Einzeichnung zum Volksbegehren die rein katholischen Landorte am "besten abschnitten", daß das in einem katholischem Bezirk erscheinende Zentrumsblatt mit stärkster Entschiedenheit für die entschädigungslose Enteignung der Fürsten und für das Volksbegehren einträte und daß vielfach sich katholische Kapläne, Kirchenvorstandsmitglieder und führende Persönlichkeiten aus den katholischen Arbeitervereinen in die Listen eintrügen. Der Vorwärts berichtet weiter, auf der Redaktion der Rheinischen Zeitung hätten sich junge katholische Republikaner für die Werbearbeit zum Volksbegehren zur Verfügung gestellt mit dem Bemerken, "daß sie in einem Kampfe für die Rückeroberung des Volksvermögens aus räuberischen Fürstenhänden mehr Christentum erblickten, als in dem Mammonschutz der Hohenpriester und Schriftgelehrten." Es läßt sich also leider auch hier nicht verkennen, daß die deutsche Zentrumspartei, die vor der Revolution Altar und Thron vertrat, nach der Revolution durch ihr enges Bündnis mit der revolutionären und religionsfeindlichen Sozialdemokratie indirekt den Interessen der Kirche und den Geboten der christlichen Moral genau entgegen handelt. Zweifellos sind diese Zusammenhänge den wenigsten Mitgliedern der Zentrumspartei, die doch alle treue Diener ihrer Kirche sein wollen, bekannt. Während sie das Kreuz
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Christi auf ihre Fahne geschrieben haben, gehen sie unbewußt mit denen Hand und Hand, deren erbitterter Kampf der Kirche als Trägerin der christlichen Religion gilt, weil diese Religion den marxistischen Materialismus ablehnt und Klassenkampf und Klassenhaß nicht duldet.
So bedarf es bei der gegenwärtigen innerpolitischen Lage Deutschlands, die durch Volksbegehren und Kompromißgesetz bestimmt ist, dringend einer Aufklärung gerade in den katholischen Kreisen der Bevölkerung. Ich kann mir nichts wirksameres hierfür denken, als wenn von Seiten Seiner Heiligkeit des Papstes ein Schritt in dieser Richtung erfolgte. Es handelt sich ja nicht um die Stellungnahme für oder gegen eine bestimmte politische Partei, sondern um die Erhaltung der christlichen Moral im öffentlichen Leben. Würde Seine Heiligkeit sich an die deutschen Bischöfe wenden, damit diese den Bestrebungen der oben geschilderten Art schon jetzt durch geeignete Gegenvorstellungen entgegenwirken, so könnte dadurch den am 10. April dieses Jahres wieder beginnenden Kompromißverhandlungen eine ungleich günstigere Wendung als bisher gegeben werden. Schon jetzt aber dürfte es sich auch empfehlen, den deutschen Bischöfen für den Fall eines Volksentscheides eine öffentliche, unverkennbar deutliche Stellungnahme innerhalb ihrer Diözesen nahezulegen. Bei dem großen Einfluß, den der Klerus in den breiten Schichten der Bevölkerung besitzt, würde eine Einwirkung der gedachten Art nur Segen stiften können.
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Eure Exzellenz würden zu den vielen Verdiensten, die Sie sich um Deutschland erworben haben, ein neues von unschätzbarem Werte hinzufügen, wenn Sie diese meine Anregung Seiner Heiligkeit dem Papst zu unterbreiten die Güte hätten.
Indem ich Euer Exzellenz im voraus für alle Ihnen durch meinen Schritt verursachte Arbeit danke, verbleibe ich stets mit der Bitte Seiner Heiligkeit meine schuldige Verehrung auszusprechen
Euer Exzellenz sehr ergebener
Friedrich August
König v. Sachsen.
1Hds. gestrichen und eingefügt vom Verfasser.
2Hds. eingefügt vom Verfasser.
3Hds. eingefügt vom Verfasser.
Empfohlene Zitierweise
Friedrich AugustIII. von Sachsen an Pacelli, Eugenio vom 05. April 1926, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 4445, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/4445. Letzter Zugriff am: 27.11.2024.
Online seit 29.01.2018, letzte Änderung am 26.06.2017.