Dokument-Nr. 469
Pacelli, Eugenio an Boelitz, Otto
München, 07. April 1924
Copia
In meiner Note N. 30071 vom 20. März ds. Js. an Seine Exzellenz den Herrn Reichsminister des Auswärtigen Dr. Stresemann habe ich mir erlaubt, die Aufmerksamkeit der Reichsregierung auf die Tatsache hinzulenken, dass verschiedene deutsche Länder die auf den alten konkordatären Abmachungen und anderen Rechtstiteln beruhenden Bezüge der Geistlichen ohne vorheriges Einvernehmen mit dem Hl. Stuhle aufgehoben oder gekürzt haben. Gegen diese einseitig vorgenommenen Massnahmen habe ich im Namen des Heiligen Stuhles auftragsgemäss Verwahrung eingelegt, zugleich aber auch zu erkennen gegeben, dass die Kirche bereit sei, der augenblicklichen und vorübergehenden Notlage des Staates innerhalb des Rahmens des Möglichen und Angemessenen Rechnung zu tragen. Endlich bat ich den genannten Herrn Reichsminister, dafür Sorge tragen zu wollen, dass die in Betracht kommenden Länderregierungen hiervon in Kenntnis gesetzt würden.
Darüber hinaus habe ich besonderen Wert darauf gelegt, Euerer Exzellenz und damit der Preussischen Staatsregie-
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rung auch auf direktem
Wege vertrauliche Kenntnis von der erwähnten Note zu geben. Bei meinem Besuche im
Preussischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst u. Volksbildung am
24. v. Mts. ist es mir zu meinem lebhaften Bedauern jedoch nicht möglich
gewesen, Euere Exzellenz oder einen Ihrer Vertreter persönlich anzutreffen. Indessen fand
ich vor meiner am selben Tage notwendig erfolgenden Abreise nach München noch Gelegenheit,
Herrn Ministerialrat Schlüter eine Abschrift der Note mit der Bitte um vertrauliche
Weiterreichung zu übergeben.Mit nicht geringem Befremden habe ich infolgedessen nunmehr die Mitteilung erhalten, dass trotz der der Preussischen Staatsregierung bekanntgegebenen Rechtsverwahrung in dem neuen Haushaltsentwurf des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung bei den Etatspositionen Kap. 122 Tit. 1-12 bezw. 13-14 die auf Grund der alten Vereinbarungen mit dem Päpstlichen Stuhle und anderer Rechtstitel dem Preussischen Staat obliegenden Dotationsverpflichtungen gegenüber den Diözesen Preussens einseitig und in einer Weise geregelt worden seien, welche der wahren Rechtslage durchaus nicht entspreche. Die in die Positionen Kap. 122 Tit. 1-12 (unter denen übrigens die Apostolische Administratur Tütz vermisst wird) aufgenommenen Nennbeträge aus der Vorkriegszeit seien noch
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in Papiermark angesetzt und daher
praktisch nicht auszahlbar. Die dadurch ausfallenden Beträge sollten aus den Titeln 13
und 14 bestritten werden, die aber nur als "widerrufliche" Zuschüsse bezeichnet würden und
demgemäss juridisch nicht als Erfüllung der dem Staate obliegenden Rechtsverpflichtungen
gelten könnten. Abgesehen von dieser rechtlichen mutatio in pejus seien auch die
Dotationssummen selbst teilweise so erheblich gemindert, dass sie den kirchlichen
Bedürfnissen in keiner Weise zu genügen vermöchten. Gegen derartige ohne Benehmen mit dem
Heiligen Stuhl vorgesehene Massnahmen sehe ich mich genötigt, im Namen des Heiligen Stuhles
Einspruch zu erheben.In diesem Zusammenhang möchte ich nicht verfehlen, Euere Exzellenz ganz ergebenst auch noch darauf hinzuweisen, dass, nach den mir gleichzeitig gewordenen Informationen, die Erfüllung der dem Preussischen Staate mit der Einziehung säkularisierten Kirchenguts überkommenen Dotationspflichten an Pfarreien zwecks Deckung von Besoldungs-, Kultus- und Baukosten staatlicherseits durch einen Runderlass an die Regierungspräsidenten praktisch sistiert worden und eine auf Goldmark aufgewertete Auszahlung auch in dem Haushaltsplan für 1924 nicht vorgesehen sei.
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Dieses
einseitige Vorgehen ist für den Heiligen Stuhl umso unerwarteter und schmerzlicher, als die
Preussische Regierung zu wiederholten Malen ihren lebhaften Wunsch und ihre ernste Absicht
betont hat, im Einvernehmen mit dem Hl. Stuhl zu einer umfassenden Neuregelung der
Verhältnisse zwischen Kirche und Staat in Preussen zu gelangen. Die oben unter Verzicht auf
Einzelheiten erwähnten Massnahmen erscheinen überdies geeignet, innerhalb des katholischen
Klerus und Volkes Beunruhigung und Unzufriedenheit zu wecken, die zu vermeiden im
gemeinsamen Interesse liegen dürfte. Ich hoffe gern, dass Euere Exzellenz einen Weg finden
werden, um, abgesehen von der in gegenseitigem Einvernehmen herbeizuführenden definitiven
Regelung, die Bedürfnisse der Kirche in Preussen auch für die letztvergangene Zeit und für
das Etatsjahr 1924 sicher zu stellen.Gern benütze ich den Anlass, um Euere Exzellenz meiner ganz besonderen Verehrung und Wertschätzung zu versichern, womit ich die Ehre habe zu verharren als
Euerer Exzellenz
ergebenster
(gez.) +Eugen Pacelli Erzbischof von Sardes
Apostolischer Nuntius.