Dokument-Nr. 472
Boelitz, Otto an Pacelli, Eugenio
Berlin, 19. Mai 1924
Aus Euer Exzellenz geehrtem Schreiben vom 7. v. Mts. habe ich erneut mit Befriedigung entnommen, dass auch der Heilige Stuhl die vor rund 100 Jahren getroffenen, in den Bullen bestätigten Vereinbarungen mit Preussen, Hannover und den Staaten der oberrheinischen Kirchenprovinz als noch rechtsverbindlich ansieht. Dass die Preussische Staatsregierung auf dem gleichen Standpunkt steht, ist Euer Exzellenz bekannt. Dementsprechend besteht auch bei mir und dem preussischen Herrn Finanzminister nicht der geringste Zweifel darüber, dass die finanziellen Verpflichtungen, welche der König von Preussen in Uebereinstimmung mit der Bulle De salute animarum im Jahre 1821 zu Gunsten der wiederhergestellten Bistümer seines Landes übernommen hat, nur im Einvernehmen mit der römischen Kurie geändert werden können. Das Gleiche gilt von den Festsetzungen in den Bullen Provida solersque und Impensa Romanorum. Dass bei den hierüber zu treffenden Vereinbarungen die katholische Kirche bereit ist, der Notlage des Staates Rechnung zu tragen, haben der Herr Finanzminister und ich mit Genugtuung vernommen.
Ebenso erkenne ich dankbar die gute Absicht an, in der Euer Exzellenz mich von dem Inhalt Ihrer an den Herrn Reichsminister des Auswärtigen gerichteten Note Nr. 30071 vom 20. März ds.Js. vertraulich in Kenntnis gesetzt haben. Ich hätte es freilich noch dankbarer begrüsst, wenn Euer Exzellenz vor Anrufung des Reiches bei mir Erkundigungen darüber eingezogen hätten, ob Preussen die in den Bullen festgesetzten Gehälter der Bischöfe und Kapitel sowie auf anderen Rechtstiteln beruhende Bezüge der Geistlichen
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willkürlich verkürzt habe.
Diese Annahme kann nur auf unrichtiger Information beruhen.In den Preussischen Staatshaushaltsplänen der Jahre 1920 bis einschliesslich 1923 sind die auf den Bullen beruhenden sowie die 1906 erstmalig widerruflich bewilligten Zuschüsse zu den Gehältern einzelner Bischöfe und zu den Kosten der Diözesanverwaltungen lediglich mit den hergebrachten Beträgen in Reichsmark aufgeführt. Die Folgen des verlorenen Krieges, vor allem aber die bekannten völkerrechtswidrigen Ereignisse im Ruhrgebiet haben eine derartige Zerstörung der deutschen Währung herbeigeführt, dass die einst in der ganzen Welt voll gewertete Reichsmark ihre Kaufkraft eingebüsst hat. Trotz der furchtbaren, zur völligen Verarmung weiter Schichten des besitzenden Mittelstandes führenden Folgen hat das Reich sich sogar genötigt gesehen, die Verzinsung und Einlösung selbst derjenigen Anleihen einzustellen, welche während und nach dem Kriege das deutsche Volk aufgebracht hat, um dem Reich die Weiterführung seiner Verteidigung und die Aufrechterhaltung seiner Wirtschaft zu ermöglichen. Der Preussische Staat hat sich aber bei der Leistung der ihm nach den Bullen obliegenden Zahlungen nicht auf diejenigen Papiermarkbeträge beschränkt, welche den in den Bullen festgesetzten Taler- oder Gulden-Beträgen entsprechen. Wie die anliegende Zusammenstellung ergibt, ist vielmehr mit fortschreitender Entwertung der Reichsmark vom 1.4.1920 ab eine der Aufbesserung der Beamtenbesoldungen angepasste Aufwertung der Bezüge der Bischöfe und Kapitelsmitglieder erfolgt, ohne erst entsprechende Anträge der kirchlichen Stellen abzuwarten. Wäre diese Aufwertung im vergangenen Jahre stets erst nach vorherigen Vereinbarungen mit den Bischöfen vorgenommen worden, so würden diese wahrscheinlich immer entwertete Zahlungen erhalten haben. Ich hatte daher geglaubt, dass es mit Dank aner-
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kannt werden würde, dass der Herr
Finanzminister und ich die Aufbesserung der Bezüge der Bischöfe und Kapitelsmitglieder von
amtswegen [sic] veranlasst haben.Diese Vorgänge in den verflossenen Jahren liessen die Angabe der bullenmässigen Bezüge in den Staatshaushaltsplänen hinter der Linie wertlos, ja geradezu irreführend erscheinen. Es erschien daher geboten, in dem auf Goldmark gestellten Entwurf des Haushaltsplanes für 1924 die bullenmässigen Ansprüche der Bistümer lediglich vor der Linie nachrichtlich aufzuführen, dagegen hinter der Linie diejenigen Summen in Goldmark anzugeben, welche nach Lage der preussischen Staatsfinanzen für die kirchlichen Institute zur Zeit aufgewendet werden können. Da, wie erwähnt, in Deutschland rechtlich die Reichsmarkwährung noch gilt, so liegt eine Verpflichtung des preussischen Staates, seine aus der Vorkriegszeit herrührenden, auf Reichsmark lautenden Verpflichtungen im gleichen Betrage in Rentenmark oder Goldmark zu zahlen, nicht vor. Dementsprechend konnten die für die Bischöfe vorgesehenen Zahlungen nur als widerrufliche Zuschüsse bezeichnet werden. Ich bemerke aber ausdrücklich, dass durch diese einstweiligen freiwilligen Zahlungen des Preussischen Staates an seinen einst vereinbarten Verpflichtungen selbstverständlich nichts geändert wird, und dass der Herr Finanzminister und ich gern bereit sind, im Wege der Verständigung mit der Katholischen Kirche demnächst die künftig dauernd zu leistenden Zahlungen anderweit zu bestimmen, sobald in Deutschland mit einer sicheren Stabilisierung der Währung wird gerechnet werden können. Die Einführung der deutschen Rentenmark hat, wie ich als bekannt voraussetzen darf, keine Währungsänderung zur Folge, sondern war nur ein Notbehelf, um einen weiteren Verfall der deutschen Währung zu verhindern.
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Was von den Dotationen der Bistümer gilt, findet
auch auf die Erfüllung derjenigen Rechtspflichten Anwendung, welche dem Preussischen Staate
gegenüber einzelnen kirchlichen Anstalten oder Körperschaften obliegen. Bezüglich dieser
besteht eine Zahlungspflicht des Staates auch nur in Reichsmark. Da diese aber ihre
Kaufkraft eingebüsst hat und Beträge von einigen Tausend Reichsmark heute nicht mehr
darstellbar sind, habe ich aus rein kassentechnischen Gründen die Regierungen angewiesen,
die an sich praktisch nicht mehr ausführbaren Zahlungen auch formell einzustellen. Damit ist
selbstverständlich keineswegs beabsichtigt, denjenigen kirchlichen Anstalten, welche auf
Rechtspflicht beruhende Forderungen gegen den Staat besitzen, deren Erfüllung vollkommen zu
versagen. Vielmehr sind in den Staatshaushalt für 1924 in Kap. 121 a hinter
der Linie zwei Beträge von 86 340 GM. und 150 000 GM. eingestellt, mit
deren Hilfe ich einstweilen die Zahlungen an die einzelnen Kirchengemeinden auf einen
namhaften Teil der Beträge in der Vorkriegszeit bringen zu können hoffe.In welchem weitgehenden, innerhalb der preussischen Finanzverwaltung beispiellosem Masse [sic] trotz der furchtbaren Notlage des Staates gerade für kirchliche Zwecke im neuen Staatshaushaltsplan gesorgt ist, wollen Euer Exzellenz aus Folgendem ersehen:
Der Etat von 1914 enthielt für katholisch-kirchliche Zwecke 10 866 000 Mark. Seitdem ist das preussische Staatsgebiet, abgesehen von dem Verlust von Eupen-Malmedy, Poln. Oberschlesien, Memelland und Nordschleswig um fast den ganzen Bereich der Erz-Diözesen Gnesen-Posen und des Bistums Culm verkleinert. Zieht man von den obigen 10 866 000 Mark die 954 000 Mark ab, welche für diese, dem Preussischen Staat entrissenen Diözesen bestimmt waren, so ergibt sich für das jetzige Staatsgebiet eine Gesamt-
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aufwendung von 9 911 000 Mark im
Jahre 1914. Demgegenüber sind im Haushaltsplan für 1924 für katholisch-kirchliche
Zwecke 13 094 000 GM. vorgesehen. Diese wesentliche Erhöhung der
Staatsleistungen für kirchliche Zwecke beruht auf der, gegenüber der Vorkriegszeit
beträchtlich gestiegenen Beteiligung des Staates an dem Aufbringen der Pfarrbesoldungen.
Euer Exzellenz werden diesem weitgehenden Entgegenkommen der Preussischen Kultusverwaltung
gegenüber der Katholischen Kirche Ihre Anerkennung nicht versagen können. Ich glaube
behaupten zu dürfen, dass auf keinem anderen Gebiete der Staatsverwaltung für gleich
gebliebene Einrichtungen in auch nur annähernd gleich weitherziger Weise bei der Bemessung
von Staatszuschüssen verfahren wurde.Wohl sind beim Entwurf des Staatshaushalts für 1924 die Bezüge der Herren Bischöfe, der Notlage unserer Finanzen entsprechend, niedriger bemessen worden, als mir erwünscht war. Inzwischen hat sich aber der Herr Finanzminister bereit erklärt, die in der Anlage unten mit roter Tinte angegebenen anderweitigen Gehälter der kirchlichen Würdenträger schon vom 1. April ds. Js. ab zuzugestehen. Danach wird der Herr Kardinal-Erzbischof von Köln, da dort allgemein ein Zuschlag von 22 % zu allen Gehältern gezahlt wird, 18 300 M, also mehr als ein aktiver preussischer Staatsminister, der Herr Kardinal-Fürstbischof von Breslau wenigstens annähernd so viel, erhalten. Die Gehälter der Bischöfe von Hildesheim, Osnabrück und Fulda werden in Rentenmark nur etwas weniger als die bullenmässigen Summen, das Staatseinkommen des Bischofs von Limburg sogar mehr betragen. Dagegen sollen sämtliche Domherren und Domvikare sowie die Stiftsgeistlichen in Aachen 1924 nicht unerheblich mehr in Gold-(Renten)mark bekommen, als in den Bullen für sie ausgesetzt ist. Die verschiedene Bemessung der Staatsgehälter der
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kirchlichen Würdenträger ist eine Folge der Erfüllung des
von der Domgeistlichkeit während des Währungsverfalles wiederholt ausgedrückten Wunsches, in
ihren Einkommensbezügen bestimmten Beamtenklassen angepasst zu werden. Da in Preussen die
Gehälter der höchsten Staatsbeamten wesentlich stärker gekürzt sind, als die der mittleren
und unteren, so hat dies auch bei den Staatsgehältern für die Geistlichen eintreten
müssen.Alle diese im Haushaltsplan für 1924 vorgesehenen Zahlungen sind aber nur einstweilige, durch die Not der Zeit erzwungene Massnahmen.
Neben den Bewilligungen aus Staatsfonds sind übrigens im Jahre 1923 während des Währungsverfalles zu verschiedenen Zeiten nicht unerhebliche Zuwendungen aus Reichsmitteln für kirchliche Zwecke, sei es auf Grund des Finanzausgleichsgesetzes, sei es als sogenannte Vorschüsse auf zu erwartende Kirchensteuereingänge erfolgt. So sind beispielsweise für den Dezember 1923 als Zuschuss zu den Besoldungen der Hilfsgeistlichen und Kirchenbeamten 190 350 Goldmark von den staatlichen Kassen auf Rechnung des Reiches gezahlt worden, während für die Zeit vom 16. Januar bis 31. März ds. Js. durch meine Vermittlung aus Reichsmitteln 623 544 GM den Kirchen zur Verfügung gestellt worden sind. In Anbetracht der besonderen Notlage der Geistlichen im besetzten und im sogenannten Einbruchsgebiet (Ruhrgebiet) sind ferner ausser den für alle Beamten in diesen Bezirken gewährten Besoldungs- und Notzulagen in der Zeit vom 29. März bis 1. Juni 1923 noch 476 868 000 M, in der Zeit vom 21. Juli bis 24. Oktober 405 241 000 000 M aus Reichsmitteln gewährt worden. Wenn dies auch nur Papiermark waren, so hatte diese immerhin im Augenblick der Zahlung noch eine nicht unbeträchtliche Kaufkraft.
Euer Exzellenz werden, wie ich nicht zweifle, in Anbetracht
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der angeführten Tatsachen mir darin beistimmen,
dass zu einer Beunruhigung oder Unzufriedenheit des katholischen Volkes wegen mangelhafter
Berücksichtigung seiner kirchlichen Wünsche im preussischen Staatshaushaltsplan
für 1924 oder zu einem Befremden über seinen Inhalt keinerlei Anlass
vorliegt.Gestatten Euer Exzellenz die Versicherung meiner besonderen Verehrung und Hochachtung, womit ich die Ehre habe zu sein
Euer Exzellenz
ergebenster
(gez.) Boelitz.