Dokument-Nr. 5058
Pacelli, Eugenio an Matt, Franz
München, 29. Dezember 1923
beehre ich mich den Empfang der sehr werten Schreiben vom 15. und 19. Oktober sowie vom 6. November lf. Js., saemtliche betreffend die Konkordatsverhandlungen, hoeflichst zu bestaetigen. Ich habe diese Schreiben mit den dazu gehoerigen Beilagen unverzueglich dem Heiligen Stuhl unterbreitet. Darauf habe ich dieser Tage die entsprechenden Anweisungen erhalten und beeile mich, Euerer Exzellenz folgende Bemerkungen zu Art. XIII, XIV, XV und XVI zur gefaelligen Kenntnis zu bringen, indem ich mir vorbehalte, einige andere mit Euerer Exzellenz muendlich zu besprechen.
Art. XIII § 1 Buchstabe b.
Der Heilige Stuhl nimmt den im neuen Gegenentwurf enthaltenen Text an, wuenscht aber auch, auf das Angebot der Regierung gern eingehend, bei der seinerzeitigen Auswechslung der Vertragsurkunden in einer eigenen Note die im Memorandum vom 15. Oktober von der Regierung vorgeschlagene Erklaerung. Der Heilige Stuhl legt auch Wert darauf, dass die Abiturienten eines Realgymnasiums oder einer Oberrealschule den Abiturienten eines humanistischen Gymnasiums gleichgestellt werden, wenn sie eine vom Dioezesanbischof festzusetzende Nachpruefung in Latein und Griechisch erfolgreich bestehen. Er ersucht die bayerische Staatsregierung, dies in der erwaehnten Note beifuegen zu wollen.
Art. XIII § 1 Buchstabe c.
Der Heilige Stuhl setzt voraus, dass den "deutschen" Hochschulen auch die Hochschulen von Oesterreich gleichgestellt sind,
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also beispielsweise die
Universitaet Innsbruck, und waere für eine diesbezuegliche Zusicherung
dankbar.Art. XIV § 1.
Der Heilige Stuhl schlaegt folgenden Text vor:
"La nomina degli Arcivescovi e di Vescovi spetta in tutta libertà alla Santa Sede. Verificandosi la vacanza di una chiesa arcivescovile o vescovile, il rispettivo Capitolo sottoporrà direttamente alla Santa Sede una lista di candidati degni dell'ufficio episcopale e idonei a reggere la vacante diocesi. Nel procedere alla scelta della persona, la Santa Sede non mancherà di tener presente tale lista insieme a quelle inviate dall'Episcopato bavarese. Prima della pubblicazione della Bolla la Santa Sede si assicurerà in via ufficiosa presso il Governo bavarese che contro il candidato non vi sono obbiezioni di ordine politico".
In deutscher Uebersetzung wuerde dieser Text also lauten:
"In der Ernennung der Erzbischoefe und Bischoefe hat der Heilige Stuhl volle Freiheit. Bei Erledigung eines erzbischoeflichen oder bischoeflichen Sitzes wird das beteiligte Kapitel dem Heiligen Stuhl unmittelbar eine Liste von Kandidaten unterbreiten, die fuer das bischoefliche Amt wuerdig und fuer die Leitung der erledigten Dioezese geeignet sind. Diese Liste zusammen mit den vom bayerischen Episkopat eingereichten wird sich der Heilige Stuhl bei der Auswahl der Person gegenwaertig halten. Vor der Publikation der Bulle wird Er in offizioeser Weise mit der bayerischen Regierung in Verbindung treten, um sich zu versichern, dass gegen den Kandidaten Erinnerungen politischer Natur nicht obwalten".
Der Heilige Stuhl glaubt naemlich, es gehe nicht an, im Konkordat die Liste der Kapitel ausdruecklich zu erwaehnen, dagegen die
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bischoeflichen Listen ganz unerwaehnt
zu lassen. Die Oeffentlichkeit, welche die Verhandlungen nicht kennt, koennte aus der
Nichterwaehnung der bischoeflichen Listen leicht den Schluss ziehen, dass der Heilige Stuhl
bei der Auswahl der Person des Bischofs an die Liste des Kapitels gebunden sei, und dies
koennte fuer das Verhaeltnis gegenueber anderen Staaten einen gefaehrlichen Praezedenzfall
bilden. Der Regierungsvorschlag lasse sich auch nicht damit begruenden, dass es sich bei den
bischoeflichen Triennallisten um eine innerkirchliche Angelegenheit handle; denn das gelte
offenbar auch von der Liste der Kapitel. In diesem Punkte gehe es auch nicht an, sich auf
Erwaegungen der Politik und der parlamentarischen Taktik zu berufen, weil unleugbar Gruende
hoeherer Natur der Kirche nicht gestatten, in der Frage der Bischofsernennung das Votum der
Kapitel zu erwaehnen, dagegen jenes der Bischoefe zu verschweigen, gleich als ob es weniger
Beachtung verdiente. Schließlich sei auch nicht einzusehen, warum die Listen der Bischoefe
unerwaehnt bleiben sollen, nachdem das Konkordat der Regierung bezueglich der Ernennung der
Bischoefe die weitgehendsten [sic] Garantien bietet.Den Zusatz betr. das Recht der "Meistbeguenstigung" kann der Heilige Stuhl nicht annehmen. Hat Er auch in einigen Faellen gestattet, dass die Besetzung der Bischofsstuehle mehr oder weniger nach der bisherigen Praxis erfolge, so hat Er doch jedes Mal ausdruecklich erklaert, dass diese vereinzelten Konzessionen keinen Praezedenzfall fuer die Zukunft bilden duerften. Er erklaert auch nochmals, dass Er in neuen Vereinbarungen keinem Staate das Privileg der Bischofswahl durch die Kapitel in irgendeiner Form zugestehen werde. Beim Abschluss kuenftiger Vereinbarungen wird der Heilige Stuhl nicht verfehlen, in diesem Punkte die Lage, in der
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sich Bayern im Vergleich zu anderen Laendern des
deutschen Reiches befindet, zu beruecksichtigen.Art. XIV § 2.
Der Heilige Stuhl wuenscht die Beibehaltung der im Schreiben vom 19. Oktober angenommenen Fassung: "vorbehaltlich der Bestätigung gemaess can. 177 C. J. C." (italienisch: "salva la conferma a norma del can. 177 del Codice di diritto canonico").
Art. XIV § 3.
Nach der Erklärung der Regierung im oben erwaehnten Memorandum vom 15. Oktober nimmt der Heilige Stuhl an, dass bei der Ausuebung des Patronats- oder Praesentationsrechtes die bisher gebrauchten Ausdruecke "Verleihung" oder "Uebertragung" durch das Wort "Praesentation" ersetzt werden.
Art. XV § 2.
Der Heilige Stuhl schlaegt fuer den ersten Satz folgende Fassung vor: "Mit dem Inkrafttreten des gegenwaertigen Konkordates wird das vom Jahre 1817 als nicht mehr geltend erklaert" (italienisch: "Coll'entrata in vigore del presente Concordato viene dichiarato decaduto quello dell'anno 1817").
Art. XVI.
Der Heilige Stuhl kann nicht abgehen von der fuer den Abschluss von Konkordaten bisher ueblichen Gebraeuchen, die auch denen entsprechen, die beim Abschluss internationaler Vertraege allgemein eingehalten werden. Danach gehen die Verhandlungen im Parlament der Ratifikation, womit der Vertrag in Kraft tritt, voraus, folgen aber der Unterzeichnung durch die Bevollmaechtigten, wodurch die Regierung fuer das erreichte Uebereinkommen die Verantwortung vor dem Parlamente uebernimmt, indem sie auf das Vertrauen baut, das ihr die Mehrheit entgegenbringt.
Mit dem Ersuchen um eine moeglichst baldige guetige Stellungnahme zu obigen Ausfuehrungen habe ich die Ehre mit dem Ausdruck ausgezeichnetster Wertschaetzung zu verharren als
Euerer Exzellenz
ergebenster
(gez.) + Eugen Pacelli
Erzbischof von Sardes
Apostolischer Nuntius.