Dokument-Nr. 647
Reichsregierung: Denkschrift der Deutschen Regierung über weitere Massnahmen gegen den Missbrauch feindlicher Lazarettschiffe. Berlin, 29. März 1917
Die Deutsche Regierung hat in ihrer Denkschrift über den Missbrauch feindlicher Lazarettschiffe vom 29. Januar 1917 nachgewiesen, dass die feindlichen Regierungen, namentlich die Britische, ihre Lazarettschiffe nicht nur zum Zwecke der Hilfeleistung für Verwundete, Kranke und Schiffbrüchige, sondern auch für militärische Zwecke benutzt und dadurch das Haager Abkommen über die Anwendung der Genfer Konvention auf den Seekrieg schwer verletzt haben. Aus diesem Grunde hat die Deutsche Regierung ein bestimmtes Seegebiet in dem südlichen Teile der Nordsee und dem englischen Kanal für feindliche Lazarettschiffe als gesperrt erklärt mit der Wirkung, dass in diesem Gebiete derartige Schiffe als kriegführende angesehen und ohne weiteres angegriffen werden.
Soweit sich die feindlichen Mächte über die Denkschrift geäussert haben, ist von ihnen, wie nicht anders zu erwarten war, der Missbrauch der Lazarettschiffe geleugnet worden. Auffallenderweise ist man dabei britischerseits nicht folgerichtig vorgegangen, indem die britische Admiralität in ihrer Kundgebung nur die Beförderung von Truppen auf Lazarettschiffen bestritten die
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die Britische Regierung selbst dagegen auch die Beförderung
von Munition geleugnet hat. Gegenüber den zahlreichen, von der Deutschen Regierung
vorgelegten Beweisstücken, können solche Kundgebungen der Feinde keinerlei Bedeutung
beanspruchen.II.
Inzwischen hat die Deutsche Regierung weitere Beweise für die Benutzung feindlicher Lazarettschiffe zu militärischen Zwecken erhalten; von diesen sollen folgende als besonders bezeichnend hervorgehoben werden:
1. Der Kommandant des deutschen Unterseeboots U... meldet dienstlich, dass er im Februar 1917 auf einer sechzehntägigen Unternehmung im nördlichen Ägäischem Meere bei Tage nur Lazarettschiffe gesehen hat.
2. Auszug aus dem Kriegstagebuch des Kommandos eines deutschen Unterseeboots.
Datum und Zeit | Angabe des Ortes | Vorkommnisse |
22. Februar 1917 | ||
718 Uhr Vm. | Länge = 37o 0' N | Mit Kurs 40o von der Küste abgehalten, da ein Lazarettschiff in Sicht kommt. |
805 Uhr Vm. | Breite = 4o 56' O | Lazarettschiff meldet den Standort des Bootes. (Aufgefangener Funkspruch). |
910 Uhr. Vm. |
Unterschrift.
3. Nach der dienstlichen Meldung eines deutschen Marineoffiziers hat das französische Lazarettschiff "Lafayette" am 16. März 1917 mit einer Ladung Munition für Saloniki den Hafen von Bordeaux verlassen.
4. Aussage des in Mazedonien in Kriegsgefangenschaft geratenen Unteroffiziers Marc Pomade vom 176. französischen Infanterie-Regiment, III. Bataillon, 11. Kompanie.
Le vapeur "Le Canada" était employé dans le temps des combats des Dardanelles comme vapeur hôpital; mais c'était connu et on en parlait beaucoup dans l'armée qu'il portait des munitions. Le grand paquebot "La France" quoique vapeur hôpital était employé à Salonique au transport des munitions; il est à supposer qu'il ne porte plus de munitions maintenant. Certains transports français changent très souvent leur nom; une fois ils font le voyage comme bâteau
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hôpital, et un autre fois servent de transports.J'ai vu aux Dardanelles passer des automobiles de la croix rouge anglaise qui transportaient des munitions jusqu'aux tranchées, souvent elles reveneient sans porter des blessés.
Uskub, 6 mars 1917
gez. Marc Pomade.
Diese Aussage hat der Unteroffizier vor dem Feldjustizbeamten eines deutschen Oberkommandos vorschriftmässig beeidigt.
Aus dem vorstehenden Material ergibt sich, dass der militärische Verkehr mit Saloniki zu einem sehr bedeutenden Teile durch feindliche Lazarettschiffe vermittelt wird, dass ferner feindliche Lazarettschiffe den militärischen Nachrichtendienst versehen, dass endlich diese Schiffe häufig, und zwar besonders im Mittelmeer, zur Munitionsbeförderung benutzt werden.
III.
Bereits in der Denkschrift vom 29. Januar 1917 sind zahlreiche Beispiele für den Missbrauch feindlicher Lazarettschiffe im Mittelmeer beigebracht worden; vergl. die Anlagen Nr. 6, 7, 8, 11, 15, 17, 21, 22, 23. Da auch nach dem neuen Beweismaterial die feindlichen Pseudo-Lazarettschiffe gerade im Mittelmeer ihr Unwe-
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sen treiben und dadurch gewichtig militärische
Interessen Deutschlands und seiner Verbündeten in völkerrechtswidriger Weise schädigen,
sieht sich die Deutsche Regierung nunmehr gezwungen, den Verkehr der feindlichen
Lazarettschiffe auch in dem durch ihre Erklärung vom 31. Januar 1917 als Sperrgebiet
bezeichneten Teile des Mittelmeers, und zwar grundsätzlich mit Einschluss der Fahrrinne für
Griechenland, mit allen Kräften zu verhindern. Sollten daher in diesem Seegebiet nach einer
angemessenen Frist noch feindliche Lazarettschiffe angetroffen werden, so würden die
deutschen Seestreitkräfte sie gleichfalls als kriegführende ansehen und ohne weiteres
angreifen.IV.
Um den feindlichen Mächte die ungefährdete Wegschaffung ihrer Verwundeten und Kranken aus Saloniki zu ermöglichen, wird die in der deutschen Erklärung vom 31. Januar 1917 erwähnte griechische Fahrrinne für den Verkehr von Lazarettschiffen unter folgende Bedingungen freigegeben:
1. die Lazarettschiffe müssen den Hafen Kalamata im Peloponnes anlaufen und mit einer bestimmten der Deutschen Regierung bekanntgegebenen Geschwindigkeit zwischen Gibraltar und Kalamata laufen;
2. die Namen der Lazarettschiffe sowie ihre An-
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kunfts- und Abfahrtszeiten in Kalamata und
Gibraltar müssen in jedem einzelnen Falle mindestens 6 Wochen vorher angemeldet
werden;3. für jede Fahrt muss von dem Vertreter der neutralen Regierung, die Deutschlands Interessen in dem Flaggenstaat wahrnimmt, eine ausdrückliche Erklärung abgegeben werden, dass das Lazarettschiff nur Verwundete, Kranke und Pflegepersonal an Bord hat, auch keine andere Ladung als Stoffe zur Pflege der Verwundeten und Kranken mit sich führt.
Auf Grund dieser Maßnahme können die Verwundeten und Kranken auf den griechischen Bahnen nach dem Hafen von Kalamata geschafft und von dort durch Lazarettschiffe abgeholt werden.