Dokument-Nr. 6544

Polnisches Trommelfeuer zur Deckung des Rückzuges, in: Allensteiner Volksblatt, Nr. 75, S. 1 f., 30. März 1920
Es ist nicht erst seit gestern bekannt, daß den Polen über ihre Abstimmungsaussichten im Ermland und in Masuren außerordentlich misepetrig geworden sind. Die Siegeshoffnung von früher ist mehr als faul. Wir im Abstimmungsgebiet wußten das längst. Nur in Warschau und Paris wußte man das nicht und ließ sich von geschickten und ungeschickten Sendlingen gern, allzugern einwickeln. Damals galt noch das Prinzip, je schwächer Deutschland ist, um so besser für die Welt. Inzwischen haben sich die Meinungen hierüber gründlich geändert: im besonderen haben auch diejenigen, die mit den Dingen direkt in Berührung kamen, eingesehen, wie obenhin man in Paris ganze Provinzen Deutschlands einem fremden Herrn oder der qualvollen Tortur einer Abstimmung überantwortet hat. Doch das nur nebenbei!
Die Posener und Warschauer und Krakauer Herrschaften aber, die sich hier im Ermland und in Masuren breit machen- meist sitzen sie stillvergnügt in der Bahnhofstraße und lassen Ermland Ermland und Masuren Masuren sein – haben natürlich auch allmählich begriffen, wie der Hase läuft. Und die Oberführer, die zu Revisionen aus Warschau ausgesandt wurden, haben mit einigem Erschrecken festgestellt, daß das ostpreußische Abstimmungsgebiet alles andere ersehnt, als demnächst mit Frohlocken in die Krallen des weißen Adlers zu stürzen. Aber nicht alle waren so dumm, wie beispielsweise der Warschauer Generalsuperintendent Bursche, der seinem gepreßten Herzen so peinlich Luft machte. „In Masuren gibt es nur eine Handvoll Polen!“, stellte er mit trüber Miene fest. Die anderen, wie der frühere Pfarrer Ludwiczak, der sich in den letzten Wochen das Ermland und die westpreußischen Kreise angesehen hat, sind auf ein anderes Rezept verfallen und haben sich bei ihrem Vorgehen vorsichtiger Weise der Mitwirkung der polnischen Zeitungen versichert. Wir haben schon vor längerer Zeit festgestellt, daß bei den Polen im Abstimmungsgebiet das Sprichwort zutrifft: Wen der Herrgott verderben will, dem nimmt er zuerst den Verstand. So haben die Ludwiczak und Trabanten trotz ihrer Klugheit gerade zu einem Mittel gegriffen, das zum mindesten bei uns einiges Kopfschütteln hervorruft. Wir würden es verstehen, wenn die Polen, um ihre sichere Niederlage zu verbergen, noch lauter als bisher über deutschen Terror zeterten, wenn sie noch bissiger als bisher die deutschen Beamten angriffen, wenn sie noch wutschnaubender als bisher auf die Sicherheitswehr und die Gendarmen loszögen. So etwas glaubte man ihnen wenigstens außerhalb der deutschen Grenzpfähle. Daß sie aber ausgerechnet sich die interalliierten Kommissionen in Allenstein und Marienwerder zum Ziele ihrer letzten Verzweiflungsattacke nehmen, um ihre schmähliche Niederlage, die über kurz oder lang unfehlbar eintritt, zu bemänteln, das verstehe, wer da kann.
Pfarrer Ludwiczak, Abgeordneter des Warschauer Sejm, hat dort eine Reihe von Anträgen eingebracht, die die Frucht seiner Reise ins Ermland sind und in denen er die Warschauer Regierung u. a. auffordert, bei den interalliierten Kommissionen in Allenstein und Marienwerder eine Erklärung herbeizuführen, daß sie es infolge der dort vorgekommenen Gewalttaten für unmöglich
halte, unter diesen Umständen eine Abstimmung herbeizuführen. In der Begründung seiner Anträge, die nebenbei noch die Beigabe eines polnischen Kontrolleurs mit entscheidender Stimme an jeden leitenden deutschen Beamten und den Schutz der polnischen Interessen im Abstimmungsgebiet durch eine polnische Bereitschaft gegen Deutschland fordern, sagt Ludwiczak folgendes: „Die Entente(=Kommission) gab eine Verfügung über die Gleichberechtigung der Deutschen und Polen heraus, aber sie ist nur auf dem Papier geblieben. Es sollte das deutsche Militär entfernt werden, aber es änderte nur seine Uniform und nennt sich jetzt Sicherheitspolizei. Die Deutschen erklären, sie könnten diese Sicherheitspolizei nicht entfernen, denn es drohe der Bolschewismus. Infolgedessen dürfen keine Versammlungen abgehalten werden, denn sie werden von Banden besucht und zersprengt, die mit Revolvern und Messern bewaffnet sind. Die Ententekommission verhält sich sehr zweideutig. Als ihr die Angelegenheit betreffend die Störung der Versammlung in Dt. Ehlau vorgestellt wurde, wurde geantwortet, daß ein jeder das Recht habe, die Versammlungen zu besuchen. Und als ihr die Verhaftung der Haupträdelsführer zwecks Bestrafung vorgeschlagen wurde, wurde uns erklärt, das könne nicht gemacht werden. Infolge dieser Verfolgungen ist eine Abstimmungsagitation unmöglich.“ Nun aber das Tollste! Aus diesen angeblichen Tatsachen folgert Ludwiczak, und er beantragt das, die polnische Regierung möge sich bereit erklären, zum Nutzen der Polen in Masuren, im Ermland und in den Weichselgebieten handelnd einzugreifen, falls die Abstimmungskommission weiter ihre Unfähigkeit zum Schutze der polnischen Bevölkerung beweisen würde. Das ist deutlich, auch für die interalliierten Kommissionen in Allenstein und Marienwerder. Wenn die Kommissionen jetzt nicht endlich den Terror gegen die Deutschen aufnehmen, daß die Polen unter allen Umständen bei der Abstimmung siegen, obwohl die beiden Landstriche rein deutsch sind, dann muß eben ein anderes Mittel bereit gestellt werden. Dann muß Polen handeln, handeln, wie es um Weihnachten 1918 in Posen gehandelt hat. Dann können sich die interalliierten Kommissionen schleunigst aus dem Staube machen, dann werden die beiden östlichen Abstimmungsgebiete polnisch gemacht ohne Abstimmung, einfach mit dem Bajonett.
Man staunt ob dieser Unverfrorenheit; denn nicht ein ixbeliebiger Aufschneider aus Warschau hat dieses Plänchen ausgeheckt, sondern ein polnischer Abgeordneter, der im Auftrage der polnischen Regierung vor einiger Zeit die Abstimmungsgebiete bereist hat. Man darf gespannt sein, was der polnische Landtag zu diesen Anträgen sagt. Die
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[Zeile abgeschnitten] wirbt Ludwiczak für seine famosen Pläne. In der „Gazeta Warszawska“ schreibt „einer der wichtigsten Agitatoren im Ermland und in Masuren“, der wohl kein anderer als Ludwiczak ist, die Kommission könne oder wolle nicht dem Bösen Einhalt tun, was in den beiden Landschaften vor sich gehe. Die Bevölkerung erkläre, daß sie unter diesen Umständen nicht abstimmen werde, um der Welt die Ungerechtigkeit zu beweisen die ihr geschehe! (Aha!) Die Gleichberechtigung sei nur eine Legende. Die polnische Regierung solle durch eine energische Intervention in Paris für die Verbesserung der Zustände in Masuren und im Ermland eintreten. Der Artikelschreiber fragt, ob die polnische Regierung zum Schutz der Polen nicht zu den allerschärfsten Mitteln greifen müßte.
In Allenstein hat Ludwiczak einen treuen Helfer in der Person des Grünspechts Joseph Czodrowski gefunden, der die Verhältnisse in unserem Abstimmungsgebiet „im Lichte der Tatsachen“ u.a. folgendermaßen schildert: „Zur Koalitionskommission verhalten sich die deutschen Beamten wie zu einer befreundeten Ortsbehörde. Die Koalitionssoldaten kann man an den Fingern abzählen, währenddessen man fast auf jeden Schritt deutschen Militärpersonen (!) begegnet. Die Alliierten, vertrauend auf die Loyalität der polnischen und deutschen Bevölkerung, gehen unbewaffnet umher, während das deutsche Militär Revolver, lange Säbel und Karabiner trägt. (Fürchterlich!) Während die deutsche Bevölkerung das polnische Konsulat umlagerte, die polnische Fahne herunteriß und die Fenster des Konsulats mit Steinen einschlug, verhielten sich die Soldaten der Alliierten, alles beobachtend, ruhig, da sie keine bestimmten Anweisungen in ähnlichen Fällen hatten.“ Nach weiteren jämmerlichen Klagen sagt Czodrowski: „Kurz gesagt, Berlin leitet das Abstimmungsgebiet wie bisher. Wo bleibt infolgedessen die Unabhängigkeit der Verwaltung der Koalitionskommission, wo ihre Macht und unsere Freiheit? Die deutsche Sicherheitswehr vergrößert sich unaufhörlich, sodaß sie in letzter Zeit 70 000 gut bewaffnete Männer erreicht hat. Infolge des unloyalen Verhaltens des Oberbürgermeisters Zülch in Allenstein gab die Kommission eine Verordnung heraus, wonach alle öffentlichen Versammlungen für zehn Tage verboten sind, was für die Polen einen großen Schaden bedeutet. Jetzt ängstigen die deutschen Beamten die Kommission mit erdachten Gerüchten über die bolschewistische und radikalsozialistische Bewegung. Sie wollen ein neues Versammlungsverbot für acht Tage erreichen, damit wir Polen unser Volk öffentlich nicht erreichen können. Es muß noch erwähnt werden, daß bei uns der Belagerungszustand herrscht, daß die Polen alle öffentlichen Versammlungen bei der Koalitionskommission und bei den deutschen Polizeibehörden anmelden müssen.“
Unser Freund Czodrowski hat in der letzten Zeit ein wenig geschlafen, sonst wüßte er, daß die „deutschen Beamten“ die Verlängerung des Versammlungsverbots um acht Tage längst „erreicht“ haben. Schade, Herr Czodrowski, nicht wahr ? Sonst müßten sie doch endlich einmal anfangen und ihren Auftraggebern gerecht werden. Das tun Sie aber schwerlich, wenn Sie in Allenstein in der Bahnhofstraße auf der faulen Haut liegen. Aber wie Ihnen, geht's allen Ihren Genossen. Laut wird das Versammlungsverbot verflucht, heimlich aber platzen Sie darüber vor Wonne, denn auf diese Weise brauchen Sie sich nicht der Mühe und auch den Gefahren nicht auszusetzen, in dem „rein polnischen Ermland und Masuren“ umherzureisen und zu agitieren. Ihr Bedauern über das Versammlungsverbot ist ebenso ernst gemeint wie über den Belagerungszustand und die deutschen Saalbesitzer, die Ihnen die Säle nicht hergeben.
Ja, Ihre und Ihrer Genossen Klagen, einschließlich des Abgeordneten Ludwiczak, über all diese Dinge sind nur Heuchelei. Sie wissen ganz genau, daß Ihre Sache verloren ist. Sie wissen ganz genau, daß Sie eines Tages wie begossene Pudel vor ihren Warschauer Auftraggebern stehen werden. Und da ist es an der Zeit, sich Entschuldigungen zu schaffen. Sie sind auf dem besten Wege, indem sie Lügen und Verleumdungen und Angriffe gegen die alliierte Kommission kunterbunt durcheinanderwürfeln und meinen, in Warschau werde man es eines Tages ja schon glauben. Wir haben nichts dagegen, daß die Ludwiczak, Czodrowski, Nowakowski und wie sie alle heißen, schon heute zur Maskierung ihrer elend gescheiterten Mache anfangen, ein wahres Trommelfeuer von Beschwerden loszulassen, daß sie weder uns Deutsche (das ist eine Ehre für uns) noch ihre alten Freunde aus Paris und London schonen. Gerade die letzteren haben das um das Polentum wirklich nicht verdient. Aber schließlich mögen sie sich selber wehren.
Für uns kommt es heute darauf an, einwandfrei festzustellen, daß die Polen in unserem Abstimmungsgebiet aus dem letzten Loch pfeifen. Alle ihre Hoffnungen sind fehlgeschlagen. Als sie kamen, erwarteten sie, die Ermländer und Masuren würden sie mit offenen Armen aufnehmen; statt dessen wurden sie ausgestäubt. Sie hofften auf den Wegzug der deutschen Beamten, um sich in deren warme Stühle zu setzen und den Deutschen dann zum Tanz aufzuspielen; nichts wurde daraus. Sie hofften auf die interalliierte Kommission, sie werde schon den Deutschen den Mund verbieten, damit die Polen den ihren, allein auf weiter Flur, um so weiter aufreißen könnten; das Versammlungsverbot traf Deutsche wie Polen gleichmäßig. Sie hofften, mit den Herren Rennie und Couget gleichsam auf Du und Du zu stehen und träumten davon, daß die fremden Herren den Polen jeden Wunsch von den Augen ablesen würden; zu Wasser ist der schöne Traum geworden. Sie kamen mit voller Geldkatze aus Warschau hier an und meinten, das Schlaraffenleben würde ewig dauern; aber die böse Kommission will die Abstimmung schon in ein paar Monaten ansetzen. Sie schielten auf Aemter und Würden in der neuen polnischen Provinz Masuren; wie gerupfte Gockel werden sie eines Tages abziehen.
Trommelt nur eine zeitlang noch weiter, häuft Lügen und Schwindel berghoch, Eure Schande und Eure Schmach werdet Ihr nicht zudecken können. C. S.
Empfohlene Zitierweise
Anlage vom 30. März 1920, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 6544, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/6544. Letzter Zugriff am: 18.04.2024.
Online seit 14.01.2013, letzte Änderung am 01.09.2016.