Dokument-Nr. 6602
Woedtke, von an Visarius, Theodor
Zerbst, 18. Dezember 1917

Hier
Auf Euer Hochehrwürden Zuschrift vom 9. d. Mts. Betr. Gottesdienst für Gefangene gestattet sich die Kommandantur sehr ergebenst zu bemerken, dass sie mit der von Ihnen beabsichtigten Antwort an die Kirchliche Kriegshilfe zu Paderborn bezl. der Verleumdungen des hiesigen Lagers durchaus einverstanden ist.
Ohne mich auf die Schmähungen, Übertreibungen, und Einstellungen in dem der Kirchlichen Kriegshilfe von ihrer schweizerischen Vertretung zugegangenen Elaborat ausführlich einzulassen, muss ich jedoch folgendes dazu bemerken:
Keinem Gefangenen wird die Teilnahme am Gottesdienst verweigert, wenn sie nicht mit irgend einer höheren Anordnung im Widerspruch steht und sich in die allgemeine Ordnung des Lagers einfügt. Es ist aber anderen Ortes nachgewiesen, dass die Gottesdienste von Gefangenen vielfach nicht aus religiösem Drang besucht werden, sondern zu dem Zweck, um sich untereinander dort zu treffen und Mitteilungen auszutauschen, sowie solche nach außerhalb und auf Umwegen in das feindliche Ausland hinaus, bezw. von dort in das Lager hinein gelangen zu lassen. Wenn auch im allgemeinen nicht angenommen wird, dass die fremdstämmigen Geistlichen gerade die Beichte selbst zu
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verräterischen Umtrieben missbrauchen, so ist doch erwiesen, dass gerade sie infolge ihrer besonderen Vertrauensstellung, größeren Bewegungsfreiheit und engerem Verkehr mit allen Lagerinsassen vielfach Träger und Werkzeuge des zu unserem Schaden arbeitenden feindlichen Nachrichtendienstes sind, Fluchtversuche unterstützen Briefschmuggel, treiben, [sic] sich zu Durchstechereinen benutzen lassen, in deutsch-feindlichem Sinne hetzen und zu Arbeitsverweigerungen auffordern. Es ist daher gegenüber den Geistlichen fremder Staatsangehörigkeit größte Vorsicht anzuwenden. Die Abnahme der Beichte soll ihnen auch in anderen Lagern untersagt sein. Wenn nun auch dem französischen Geistlichen Dubaut unmittelbar noch keine deutsch-feindlichen Umtriebe haben nachgewiesen werden können, so muss sein fleißiger und sehr intimer Umgang mit den am stärksten verdächtigten Mitgliedern des französischen Hilfsausschusses doch auffallen und große Vorsicht erforderlich machen. Die Lager sind erst in neuerer Zeit wieder dringend gewarnt worden. Im Interesse der Spionage-Abwehr und Verhinderung deutsch-feindlicher Nachrichtenübermittlung mussten scharfe durchgreifende Maßregeln ergriffen werden. Dazu gehörte die Beschränkung des allzu freien Verkehrs des französischen Geistlichen sowohl im Lager wie auch im Hilfslazarett Kaserne. Dass letztere nicht nötig war, zeigt die in der Schmähschrift selbst zugegebene Tatsache, dass er nicht ein einziges Mal in das Lazarett gerufen, d. h. also von den dort liegenden kranken Gefangenen gewünscht worden war. Die Franzosen haben stets wie alle anderen Gefangenen allwöchentlich ihren regelmäßigen Gottesdienst gehabt und dürfen sich nicht beklagen. Dass sie es dennoch so beharrlich tun, zeigt nur neben ihrer Absicht der Verhetzung und Schmähung, wie unangenehm ihnen die Beschneidung des unbeschränkten Verkehrs mit Dubaut gewesen ist und damit, wie richtig und wichtig die getroffenen Sperrmaßregeln des Lagers waren. Von
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einer „Strafe" aber Dubaut gegenüber kann nicht gesprochen werden, es handelt sich nur um Vorbeugungs- und Abwehrmaßregeln. Ich nehme auch nicht an, dass er das Beichtgeheimnis verletzt oder in seiner Eigenschaft als Geistlicher Ungehörigkeiten begangen hat, aber außerhalb seiner geistlichen Tätigkeit als Freund und Kamerad des verräterischen Umtrieben dringend verdächtigten französischen Hilfssauschusses musste dieser Bewegungsfreiheit durchaus Einhalt geboten werden.
Das erste Mal, als Herr Pfarrer Malecki sich zum Beichtehören hier angesagt hatte, ist dies von der Kommandantur vergessen worden und Herr Pfarrer musste unverrichteter Sache wieder umkehren. Dies lag daran, dass wegen der Überführung von 365 französischen Gefangenen nach der Schweiz, deren Abfahrt gerade in die Stunde des angesagten Besuches fiel, die Kommandantur alle Hände voll zu tun hatte. Das sind übrigens die Leute, die sich jetzt nicht genug tun können, über Zerbst herzufallen und es zu verleumden.
Bezüglich des erwähnten Vorfalles des Sitzenbleibens deutscher Soldaten bei einem vorübergehenden Leichenzuge bemerke ich, dass es in Deutschland durchaus nicht überall Sitte ist, bei einem begegnenden Leichenzuge aufzustehen oder zu grüßen, ich habe aber, nachdem mir der Vorfall bekannt geworden war, -es handelte sich um die Nordwache des Lagers – das Landst. Ers. Batl. gebeten, seine Mannschaften dahingehend anzuweisen, dass der Posten beim Vorbeiziehen eines militärischen Leichenzuges still zu stehen habe und unbeschäftigte Soldaten aufstehen und Front nach dem Leichenzuge nehmen müssten.
Zum Schluss beehre ich mich noch mitzuteilen, dass unter den italienischen Gefangenen sich kein Geistlicher befindet, nur ein Laienbruder, der Koch in einem Kloster war und nicht befähigt ist, Gottesdienst abzuhalten oder Beichte zu hören.
gez. von Woedtke
Empfohlene Zitierweise
Woedtke, von an Visarius, Theodor vom 18. Dezember 1917, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 6602, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/6602. Letzter Zugriff am: 24.04.2024.
Online seit 20.12.2011.