Dokument-Nr. 7761
Schmidt-Ott, Friedrich an Pacelli, Eugenio
Berlin, 18. August 1922

Wir Deutsche bewahren in dankbarem Gedenken die vielen Wohltaten, mit denen der Heilige Stuhl unser von ärgsten Sorgen und Nöten gemartertes Vaterland während des Krieges bedacht hat. Der hochselige Papst Benedict XV. ließ keine Gelegenheit vorübergehen, um seine väterliche Sorge nicht nur den deutschen Katholiken, sondern allen Deutschen ohne Unterschied der Konfession zu bezeugen und die gewaltige Trübsal des Krieges zu bannen. Wir schätzen uns glücklich und bekennen uns freudig zu der Tatsache, dass Seine jetzt regierende Heiligkeit das Erbe des hochseligen Vorgängers auf dem päpstlichen Thron in Besitz genommen hat, indem er eine umfassende Nothilfe für die deutsche Jugend ins Leben gerufen hat. Erhebender noch als diese liebevolle Fürsorge für das leibliche Wohl unserer kommenden Generation, der in Zukunft ungeheure Lasten aufgebürdet sind, ist das tröstliche Bewusstsein, dass wir sicher sind bei S. Heiligkeit stets innerstes Verständnis und treusorgende Güte zu finden. Aus diesem Grunde wagen wir es heute, durch die gütige Vermittlung Eurer Exzellenz S. Heiligkeit von der geistigen Notlage Deutschlands zu berichten, deren Behebung sich die Notgemeinschaft
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der Deutschen Wissenschaft zum vornehmsten Ziele gestellt hat. Dabei hegen wir das Vertrauen, dass dieses Unternehmen dem H. Vater von größtem Interesse sein wird, da gerade Papst Pius XI., mit dem Opferdienst der Wissenschaft vertraut, am besten die tiefe Wechselwirkung von Erkennen und Leben zu würdigen vermag.
Studien, Reisen und fortwährende Fühlungnahme mit dem geistigen Leben Deutschlands haben S. Heiligkeit lebendigen Einblick verschafft in die deutsche Geisteskultur. Vor dem Kriege standen die Leistungen der deutschen Wissenschaft, der Geisteswissenschaften wie der Naturwissenschaften, in anerkannter Bedeutung vor den Augen der Welt. Dabei war sich unsere Wissenschaft, die als solche in ihren tiefsten Wesensbezügen notwendigerweise den Charakter weiser Beschränkung und Selbstbescheidung tragen muss, wohl bewusst, dass dem deutschen Forscher immer nur eine glückliche Teilaufgabe im wissenschaffenden Betriebe der Völker beschieden sein könne. Allein, diese Teilaufgabe war doch von solcher Größe und Hoheit, dass es mit seiner Forschertätigkeit sich einen freien Lebensinhalt schuf. Es sei der Stolz würdiger Selbstbehauptung, wenn wir nachfolgend öfter auf die Leistungen der deutschen Wissenschaften hinweisen und wir knüpfen daran die Hoffnung, dass soviel geistige Regsamkeit nie und nimmer in die Fesseln wirtschaftlicher Gebundenheit gelegt werden dürfe.
Im Bereiche der Geisteswissenschaften harren Unternehmungen von allgemeiner und überstaatlicher Bedeutung ihrer Vollendung, von denen wir u. a. die "Monumenta Germaniae historica", das Septuaginta-Werk und die Regesta Pontificum Romanorum vorgreifend nennen möchten. Von den deutschen Medizinern, Chemikern und Pharmakologen erwartet die Wissenschaft im Dienste der Menschheit auch weiterhin wirksamste Förderung in der
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Bekämpfung von Seuchen, wie sie für Cholera und Tuberkulose in grundlegender Form von Robert Koch angebahnt wurde. Dabei verkennen wir nicht die großartigen Leistungen des Instituts Pasteur in Frankreich, des Lister Institute for Preventive Medicine in England, des Rockefeller-Instituts in Amerika. Wird aber nicht die deutsche Wissenschaft in ihrer natürlichen und notwendigen Entwicklung bedroht, wenn es ihr künftig nicht mehr gelingen sollte, jene erfolgreich begründeten Forschungen auszubauen? Diese Besorgnis ist nur zu begründet, denn die deutsche Wissenschaft kann kaum noch die Mikroskope und Apparate sich beschaffen, die zumeist unter ihrer eigenen Leitung hergestellt wurden. Die Notlage der Institute und Laboratorien ist so groß, dass eine Forschertätigkeit mit den vorhandenen Mitteln überhaupt unmöglich geworden ist. Schon die technischen Hilfskräfte verzehren die Fonds, soweit diese nicht im Kriege aufgebraucht worden sind. Nicht einmal Versuchstiere und sonstige Materialien können ohne namhafte Unterstützung besorgt werden. Unter solchen Verhältnissen musste die Bakteriologische Abteilung des Berliner Pharmakologischen Instituts ihre Tätigkeit aufgeben. Die Institute für Krebsforschung und experimentelle Therapie in Berlin und Frankfurt a. M. sind in ihrem Bestande ernstlich gefährdet.
Auch die Bibliotheken und die Seminare leiden große Not, weil ihnen die elementarsten Mittel zur Forschung fehlen. Der Krieg hat in die Bücherbestände der deutschen Bibliotheken gar manche Lücken gerissen, deren Ergänzung bei unserem wirtschaftlichen Niederbruch und der ungeheuerlichen Entwertung unseres Geldes kaum möglich ist. Die Preußische Staatsbibliothek bezog vor dem Kriege 2300 ausländische Zeitschriften, heute kann sie nurmehr 150 halten und einstellen. Wie groß
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in diesem Falle der Verlust für den gründlichen Wissenschaftsbetrieb ist, bedarf kaum näherer Erörterung. Neuanschaffungen sind vollends ausgeschlossen, da ja auch in Ländern mit hochwertiger Valuta die Kosten für Druck und Material stark gestiegen sind. Noch schlimmer ist es, dass die Reihen des wissenschaftlichen Nachwuchses, nachdem bereits der Krieg gewaltig unter ihnen aufgeräumt hat, sich immer mehr lichten, weil den meisten Studenten das Studienkapital ausgeht. Der Mittelstand, der vor dem Kriege zahlreich seine Söhne zur Universität schickte, sieht sich bei der sozialen Umschichtung und dem lähmenden Steuerdruck dazu außer Stande. Die "Neuen Reichen" verfügen kaum über die erforderliche moralische Energie und Bildung, um aus rein theoretischem Interesse der Wissenschaft und Forschung Jünger zuzuführen und zu erhalten. Viele Studenten, die sich gern dem Forscher- und Lehrberufe widmen würden, müssen zur Industrie, zu Handel und Gewerbe abwandern oder zu niederen Beschäftigungen herabsteigen, und das Ringen um des Leibes Notdurft bindet und verkümmert überall die geistige Schaffenskraft.
Angesichts dieser schrecklichen Lage hat die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft ein Kulturprogramm aufgestellt, der Forschung nach Massgabe aller nur verfügbaren Mittel einen Weg bahnen helfen. In der Notgemeinschaft hat sich die deutsche Wissenschaft unter dem Präsidium des unterzeichneten Staatsministers Dr. Schmidt-Ott eine Zentrale mit kollegialer Selbstverwaltung geschaffen, der die sämtlichen deutschen Akademien, Universitäten, Hochschulen, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und die Bibliotheken beigetreten sind. Als ihren statutarischen Zweck bezeichnet die Notgemeinschaft: "die der deutschen wissenschaftlichen Forschung durch die gegenwärtige wirtschaftliche Notlage erwachsene
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Gefahr vollen Zusammenbruchs abzuwenden." Der Aufbau der Notgemeinschaft zeigt wohl am besten, welche Aufgaben im einzelnen zu erfüllen sind. Von größter Bedeutung sind die mehr als zwanzig Fachausschüsse, in denen die hervorragendsten deutschen Gelehrten ehrenamtlich die Begutachtung der einlaufenden Anträge vornehmen. Für die billige und rationelle Beschaffung der Instrumente und Apparate bemühen sich die Maschinen- und Apparate-Ausschüsse, die selbst wieder einer sachlichen Leitung unterstehen. Der Verlags-Ausschuss sichert die Drucklegung der von den Fachausschüssen befürworteten Arbeiten, indem er die Verhandlungen mit den einzelnen Verlegern führt, die sich auf die Bedingungen der Notgemeinschaft verpflichten müssen. Im Bibliotheks-Ausschuss wird die Beschaffung der ausländischen Bücher organisiert, einmal zwecks Ergänzung der Kriegslücken, dann aber zum ständigen Nachtrag unentbehrlicher Auslandsschriften. Auf diese Weise hoffen wir, dass es gelinge, jenes Forschungsmaterial, das sich in den periodischen Zeitschriften des Auslandes aufspeichert, wenigstens in einer geringen Zahl von Exemplaren für Deutschland verfügbar zu machen. Ueberdies sollen die deutschen Universitäten, soweit sie spezifische Auslandsliteratur vor dem Kriege bezogen haben, eigens berücksichtigt werden. Man hat auch hier eine ökonomische Verteilung vorgenommen, da die Universitäten je nach ihrer Berührung mit einem außerdeutschen Kulturkreise auf dessen besondere Literatur angewiesen sind. So z. B. soll die rheinische Universität in Bonn hauptsächlich die Literatur des romanischen und niederländischen Kreise pflegen, Greifswald mit niederdeutscher, Kiel mit nordischer, Göttingen mir englischer Literatur versorgt werden, während Breslau das osteuropäische und slawische Schrifttum verwerten soll.
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München und Leipzig können sich dann umso besser mit italienischer Literatur und dem Schrifttum der Balkanstaaten befassen. Natürlich vollzieht sich die ganze Beschaffung ausländischer Schriften in bescheidensten Grenzen, weil die Mittel den wissenschaftlichen Ansprüchen gar bald ein Ziel setzen. Denn die deutsche Wissenschaft und Forschung, wie bereits erwähnt, kann nicht daran denken, die ausländische Literatur zu kaufen, sie muss sich auf den Austausch von Auslands-Zeitschriften mit gleichwertigen deutschen Zeitschriften beschränken. Leider sind die Möglichkeiten des Austausches infolge der grenzenlosen Teuerung stark benommen, und Schwierigkeiten materieller Art wie Zölle, Frachtsätze, Porti usw., behindern den Austauschverkehr auf das Empfindlichste. Die Notgemeinschaft hat die Unterstützung von 400 Zeitschriften als unbedingt notwendig anerkannt und für etwa die Hälfte die erforderlichen Mittel aufgebracht. Aber was bedeuten bei dem gewaltigen Bedarf aus allen Kulturstaaten 400 Zeitschriften, und wie ungleich ist das Opfer beim Austausch dieser so schwer unterhaltenen Arbeiten mit dem Auslande, dessen wissenschaftliche Produktion im Wesentlichen den Krieg überdauert hat?
Die Notgemeinschaft mit ihrem Präsidium und ihren 21 Fachausschüssen findet schließlich ihre Bekrönung in dem Hauptausschuss, der aus 11 vom allgemeinen Vertrauen berufenen Gelehrten und ebensoviel Stellvertretern besteht. Er hat die schwierige Aufgabe, mit dem Präsidium die Anträge der einzelnen Disziplinen und Fakultäten zu überprüfen, und die endgültigen Beihilfen festzustellen.
Wovon lebt nun diese Organisation der Notgemeinschaft und auf wessen Hilfe kann sie sich verlassen?
Die erste materielle Leistung für die bedrängte
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deutsche Wissenschaft erfolgte durch die organisierte Selbsthilfe. Zunächst hat sich das Reich der Not unserer deutschen Wissenschaft angenommen und eine fortlaufende Hilfsaktion unternommen, wie sie nur eben möglich ist bei seiner wirtschaftlichen und politischen Zwangslage. Dann schlossen sich die großen berufständischen Organisationen, die sogenannten Spitzenverbände der Industrie, des Handels, der Landwirtschaft und der Banken zusammen, und beteiligten sich hochherzig an dem vaterländischen Rettungswerke. Die zweckmässige Verteilung der von genannten Verbänden aufgebrachten Summe liegt in der Hand des Stifterverbandes der Notgemeinschaft, dessen Verwaltungsrat gemeinsam mit dem Präsidium und dem Hauptausschuss über die Verwendung der Mittel beschliesst. Vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels wurde eine Summe von nahezu drei Millionen überwiesen, die den deutschen Bibliotheken für die Beschaffung ihrer Auslandsliteratur zur Verfügung stehen.
Im Spätherbst 1920 ist die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft gegründet worden; seit dieser Zeit tat sie trotz der vielen wirtschaftlichen, innen- und aussenpolitischen Schwierigkeiten ihr Bestes, um die vielfache Not der deutschen Forscher zu lindern. Aber eine Summe von 60-80 Millionen Mark-Ausgaben für wissenschaftliche Zwecke kann unmöglich die Unsumme von Mühewaltung und konkreter Hilfsbereitschaft ausdrücken, die alle Arbeiten auszeichnet, sowohl im Präsidium und Hauptausschuss der Notgemeinschaft, wie in ihrem Stifterverband. Kein Bereich aus der bundfarbigen Fülle wissenschaftlicher Disziplinen wurde vergessen, und die Forderungen von Naturforschung und Geisteswesen kamen möglichst zu Recht. Der Unterstützung durch die Notgemeinschaft ist namentlich die Drucklegung jener großen
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Werke anempfohlen, für deren glückliche Begründung und Fortsetzung die Ehre deutscher Forschung eingesetzt ist. Drei Unternehmungen dieser Art, die "Monumenta Germaniae historica", das Septuaginta-Werk und die "Regesta Pontificum Romanorum" wurden bereits genannt. Der gleichen Fürsorge begegnen der "Thesaurus linguae latinae", der "Thesaurus japonicus", "das Wörterbuch der deutschen Rechtssprache", die Geschichte des Fixsternhimmels, die "Acta Borussica", die Arbeiten der Münchener Historischen Kommission, die Realenzyklopädie von Pauly-Wissowa-Kroll, die Denkmäler deutscher Kunst und Tonkunst, die Ausgabe der Kirchenväter, die Veröffentlichung der Görres-Gesellschaft u. a. m. Indessen es wäre [sic] verhängnisvoll, wollte die Notgemeinschaft nur hinschauen auf das Grosse und das vielverheissende Kleine dabei verkümmern lassen. Die Notgemeinschaft und der Stifterverband betrachten es vielmehr als eine ihrer vornehmsten Aufgaben, durch Forschungsstipendien jungen Gelehrten den Weg zu bereiten. Die grössten Schwierigkeiten aber bereiten der Notgemeinschaft die Forschungsreisen. Schon im Inland sind die Kosten für diese Zwecke kaum aufzubringen, und doch ist an der Notwendigkeit von Forschungsreisen, zumal für Philologie, Geschichte und Kunstwissenschaft, für Botanik, Zoologie, Wirtschaftsgeographie und Anthropologie kein Zweifel möglich. Die unentbehrlichen Forschungsreisen ins Ausland sind jedoch infolge der Valutablockade in weite Fernen gerückt. Ein Gelehrter, der ein mehrbändiges Werk über die Biologie der tropischen Pflanzenwelt geschrieben hat und an eine Fortsetzung und Neubearbeitung denkt, sieht sich in seinem Forscherwillen vollständig unterbunden. Ein Gelehrter, der zur Neubearbeitung seines Handbuches der Byzantinistik sich nach Madrid begeben
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müsste, um dort im Escorial Studien und photographische Aufnahmen zu machen, steht wiederum ratlos den Folgen unseres Valutaelends gegenüber. Unsere Universitäten können nicht daran denken, die Kriegsverluste ihrer zoologischen und botanischen Gärten aufzufüllen, denn schon die Versuche dazu werden im Keime erstickt. Diese Tatsachen weisen über die Grenzen unserer Nation hinaus und bringen uns trotz aller Selbsthilfe und Opferwilligkeit auf den Gedanken, eine umfassende Auslandshilfe zu organisieren. In der Tat wurde die Lage der deutschen Wissenschaft im Auslande schon verstanden und die Wege zu einer großzügigen Hilfsaktion sind gangbarer geworden. In Amerika hat Professor Dr. Franz Boas eine Notgemeinschaft (Emergency Society) ins Leben gerufen, die sich von New-York und St. Louis aus eine finanzielle und bibliothekarische Subvention zur Pflicht gemacht hat. Neben ihrer großzügigen Caritas auf allen Gebieten haben sich die Quäker auch für die deutsche Wissenschaft ein großes Verdienst erworben, indem ihre Society of Friends die deutschen Bibliotheken mit der englisch-amerikanischen Literatur versorgen will, soweit diese im Kriege erschienen ist. Die Verteilung obliegt der anglo-american University Library for Central Europe. Auch Holland, die Schweiz, sowie die Nordischen Staaten sind nicht untätig geblieben, sondern haben sich zu einer dankenswerten Unterstützung der deutschen Wissenschaft bekannt. Geheimrat Kehr-Berlin, der Direktor des Preußischen-Historischen Instituts in Rom, der sich bei der Herausgabe der Papsturkunden unvergängliche Verdienste erwirbt, hat Verhandlungen aufgenommen mit dem italienischen Komitee in Berlin, die auch zu einem gewissen Abschluss gekommen sind. Daraufhin wurde der Bücheraustausch mit einzelnen italienischen Bibliotheken eingeleitet, allerdinge bisher
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nur in kleinem Umfange. Auch mit Spanien ist ein bibliothekarischer Austauschverkehr versucht worden, wie es jedoch scheint zunächst noch ohne rechten Erfolg. Vielleicht darf die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft erwarten, dass die wissenschaftlichen Beziehungen gerade mit diesem Lande, das sich während des ganzen Krieges durch eine wohlwollende Neutralität gegen Deutschland ausgezeichnet hat, und das sich jetzt einer großen wirtschaftlichen und politischen Bedeutung erfreut, in Zukunft reger und umfangreicher sich gestalten werden. Leider ist dagegen eine Fühlungnahme mit Belgien und Frankreich, ja selbst mit England so gut wie ausgeschlossen gewesen. Die Stimmen, die aus diesen Ländern herüber dringen, atmen vielfach immer noch Groll und Hass. Und doch wäre es an der Zeit, dass alle Männer, die den Anspruch erheben, Diener der Wissenschaft, Forscher und Lehrer zu sein, sich endlich zu einer anderen Stellungnahme bekennen.
Angesichts dieser Wirklichkeit wäre es im Bereiche der umfassenden Macht S. Heiligkeit vielleicht möglich, wenn eine großzügige Vermittlung für die wissenschaftliche Forschung unternommen würde. Am nächsten läge der Kreis Italiens, und so möge es gestattet sein, auf die Lage der deutschen Wissenschaft in Italien besonders hinzuweisen. Wie in allen Ländern, so sind auch in Italien unsere Auslandsinstitute in größter Gefahr, sodass sie zumeist ihre Tätigkeit haben einstellen müssen. Das römische Institut der Görres-Gesellschaft und das Preußische-Historische Institut in Rom mussten trotz der Subvention durch die Notgemeinschaft stillgelegt werden. Kaum können die Mittel aufgebracht werden, die Miete zu bestreiten für die Lokale, in denen die Bibliothek des historischen Instituts untergebracht ist, von Ergänzung der Bücherbestände aber
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kann vorläufig keine Rede sein. Die Rückwirkung auf die wissenschaftlichen Unternehmungen des Inlandes bleiben da nicht aus. Einige Beispiele, die Sr. Heiligkeit nahe liegen, mögen hier Erörterung finden:
I. Für rein wissenschaftliche Aufgaben der "Monumenta Germaniae historica" sieht der Haushaltplan 340.000 M vor. Die Zuschüsse für den Druck des "Neuen Archivs" betragen heute allein 50.000 M, dabei kann dieser Betrag schon in wenigen Monaten infolge der fortwährenden Valutakrisen gänzlich überholt sein. Die Beihilfe für jede normale Publikation erreicht für den Bogen eine Höhe von ca. 5-6.000 M, während nicht einmal 80 M vor dem Kriege dazu erforderlich gewesen sind. Arbeiten, zu deren Durchführung eine Forschungsreise ins Ausland und die Hilfe ausländischen Materials unumgänglich wäre, erweisen sich als undurchführbar. Wenn die Entwertung unserer Valuta weiterhin fortschreitet, wird es der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae nur noch möglich sein, Arbeiten auf Grund des einheimischen Materials in Angriff zu nehmen.
II. "Regesta Pontificum Romanorum". Der Fonds der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften ist erschöpft. Die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft konnte es bisher ermöglichen, Mittel bereitzustellen, für den Druck der nächsten Bände der "Italia Pontificia" (Geheimrat Kehr) und der "Germaniae Pontificia" (Professor Brackmann-Marburg). Eine Revision des Materials für die "Italia Pontificia" in Rom, Neapel und Palermo muss aus Mangel an Mitteln unterbleiben. Die "Germania Pontificia" soll, da ihr Quellmaterial im eigenen Lande ist, unter allen Umständen fortgeführt werden. Die Arbeiten an der "Gallia Pontificia" haben stillgelegt werden müssen. Besonders bedauerlich aber ist es, dass die Arbeiten in Spanien nicht in
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Angriff genommen werden können, wo sich so überaus reiches Material einbringen ließe. Die Gefahr ist groß, dass ein Monumentalwerk wie die "Regesta" als Torso liegen bleibt.
III. Das "Concilium Tridentinum", die wichtigste Publikation des römischen Instituts der Görres-Gesellschaft, sowie die vom Historischen Institut in Rom herausgegebenen "Nuntiaturberichte aus Deutschland" und "das Repertorium Germanicum" können nur wieder aufgenommen werden, wenn ihnen von der Notgemeinschaft Hilfe wird [sic], aber deren Mittel reichen dazu in keiner Weise aus. Die "Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken", herausgegeben vom Preußischen-Historischen Institut in Rom, sowie die übrigen Veröffentlichungen des Preußischen-Historischen Instituts mussten zu unserem größten Leidwesen stillgelegt werden. Das gesammelte Material für die von Professor Schellhass bearbeitete Nuntiatur des Felician Ninguarda liegt druckfertig vor; die beiden starken Bände würden wenigstens 500.000 M erfordern, von der Notgemeinschaft kann aber ein Zuschuss von solcher Höhe nicht beigebracht werden. Auch das von Professor Schmidlin in Münster neu begonnene Werk der "Regesten aus dem römischen Archiv der Propaganda" kann ohne anderweitige Unterstützung nicht fortgesetzt werden. Das sind nur einzelne Beispiele der schrecklichen Notlage, in der die deutsche Wissenschaft sich befindet. Nähere Aufklärungen und genaueren Bericht soll Geheimrat Kehr erstatten, der Anfang Oktober nach Rom kommen und um die Ehre des Empfangs durch S. Heiligkeit bitten wird. Er ist als Mitglied des Hauptausschusses sowohl über die Organisation der Notgemeinschaft wie über ihre bisherigen Leistungen vollkommen unterrichtet.
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Die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft ist für das hohe Interesse, welches S. Heiligkeit für die deutsche Wissenschaft bekundet, zu tiefstem Dank verpflichtet und darüber wahrhaft gerührt. Sie ist sich auch klar, wie groß die Wirkung moralischer Hilfe sein würde, welche sie von S. Heiligkeit zu erhoffen wagt. Denn es sieht so aus, als ob ihr noch Schlimmeres bevorstände: Ist nicht mit der Gefahr zu rechnen, dass das harte Gebot der Gläubiger auch der deutschen Wissenschaft das Wenige nehmen wird, das die Notgemeinschaft mit Hilfe des Reiches aufbringt? Wenn die Etats unserer Akademien, Hochschulen, Bibliotheken und Institute noch weiter beschnitten und eingeschränkt werden müssten? Wenn die Aufwendungen für die Monumenta Germaniae, für die Regesta Pontificum Romanorum, für unsere römischen Institute nicht mehr aufgebracht werden können? Welches Schicksal steht dem deutschen Volke bevor, wenn es seine Kliniken und seine Laboratorien nicht mehr unterhalten kann? Der Zusammenbruch unserer Valuta und die drohenden Gebärden unserer Gläubiger rücken das alles in den Bereich einer furchtbaren Möglichkeit.
Ist es vermessen zu hoffen, dass uns auch in dieser schrecklichen Lage die moralische und materielle Hilfe des Heiligen Stuhles nicht verlassen wird?
Genehmigen Ew. Exzellenz die Versicherung
meiner besonderen Hochschätzung und Verehrung
mit der ich verbleibe Euer Exzellenz
ganz ergebener
Dr. F. Schmidt-Ott
Staatsminister
62r, hds. oberhalb des Textes in blauer Farbe von unbekannter Hand notiert, vermutlich vom Empfänger: "Unire"; "Il S. Padre ha dato person. al Dr. Grauert".
Empfohlene Zitierweise
Schmidt-Ott, Friedrich an Pacelli, Eugenio vom 18. August 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 7761, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/7761. Letzter Zugriff am: 24.11.2024.
Online seit 31.07.2013.