Dokument-Nr. 781
Schulte, Karl Joseph
an Rademacher, Arnold
Köln, 27. April 1921
Mein Geheimsekretär übergab mir vorgestern Ihren gfl. Brief an ihn vom 25. d. M. nebst dem Gutachten von den Herren Prof. Bartmann und Müller. Das Gutachten war mir bis dahin nicht bekannt geworden; es ist keine Urschrift oder Abschrift derselben nach hier gekommen.
Meine Gewissensbedenken, die einer kirchlichen Druckerlaubnis entgegenstehen, hat das Paderborner Gutachten, das nach sehr beachtlichen Ausstellungen schliesslich die kirchliche Gutheissung der Veröffentlichung mit dem "Interesse der Freiheit der Wissenschaft" empfiehlt, nicht ausräumen können. Es mangelt in dem Gutachten die ausdrückliche Besprechung der Frage, auf deren Beantwortung es bei der kirchlichen Approbation Ihrer Schrift doch ankommt, nämlich ob Ihre Darlegungen in alleweg mit dem Dogma vereinbar sind. Es entkräftet die in dieser Beziehung vom Zensor erhobenen Anzweifelungen nicht. Ueberdies trifft die Voraussetzung der Paderborner Gutachter nicht zu, die in folgendem Satze niedergelegt ist: "In unberufene Hände wird sie (scl. Ihre Schrift) ohnehin kaum gelangen; denn ausser Fachtheologen wird sich kaum einer für eine "Methodenlehre der katholischen Theologie" interessieren. Seit unserer Besprechung über die Ihrer Schrift zu erteilende kirchliche Druckerlaubnis ist mir ohne mein Zutun von verschiedenen, von einander völlig unabhängigen Seiten mitgeteilt worden, dass Ihre Zuhörer unter den jungen Bonner Theologen auf die Gedankengänge Ihrer Schrift durch die
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Vorlesungen bereits aufmerksam geworden sind und dass ein
Teil der Zuhörer die diese Gedankengänge berührenden Darlegungen in Ihrem Kolleg schon seit
einiger Zeit mit den einschlägigen Partien in Ihren gedruckten "Grundlinien der Apologetik"
als kaum vereinbar empfunden hat. Ihre Stellungnahme in jenen Ausführungen Ihrer Schrift,
die unserem Zensor zu seinen Bedenken Anlass gaben und die auch den Paderborner Gutachtern
nicht vollkommen vor Missverständnis bzw. Missdeutung geschützt erscheinen, hat, wie ich
höre, schon durch Andeuten derselben im Kolleg bei den jungen Bonner Theologiestudierenden
ein gewisses Aufsehen erregt. Dass Sie diese Wirkung nicht gewollt haben, des bin ich
sicher; dass aber bei solcher Sachlage Ihre Schrift nach deren Veröffentlichung auch in
"unberufenen [sic] Hände", nicht bloss in die Hände von Fachtheologen kommen wird, davon bin ich
ebenso überzeugt.Unter derartigen Umständen möchte ich Ihnen nahelegen, die Schrift nicht der Oeffentlichkeit zu überbringen, sondern sie höchstens als Manuskript drucken zu lassen und sie dann im Interesse einer Förderung der Lösung des von Ihnen aufgeworfenen schwierigen Problems nur hervorragenden Fachtheologen zunächst zugänglich zu machen.
In bekannter Verehrung und Liebe
Ihr ergebenster
gez. Karl Joseph Cardinal Schulte
Erzb. v. Köln.