Dokument-Nr. 8575
Auswärtiges Amt an Schweizerische Gesandtschaft beim Deutschen Reich
Berlin, 18. Oktober 1917
I.
Die mit der Verbalnote vom 20. August übersandte Note der Französischen Regierung vom 11. August d.J. enthält eine Reihe von Angaben, die in wesentlichen Punkten den Tatsachen nicht entsprechen.
1. Zunächst kann die Deutsche Regierung die französische Angabe nicht unwidersprochen lassen, dass den bei Ausbruch des Krieges in Frankreich befindlichen deutschen Staatsangehörigen hinreichende Zeit gewährt worden sei, um Frankreich zu verlassen, und dass somit die nach dieser Frist in Frankreich verbliebenen Deutschen freiwillig von der Heimreise Abstand genommen hätten. Es ist hier allerdings bekannt, dass unmittelbar nach der Mobilmachung den in Frankreich befindli-
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chen Deutschen die Abreise durch öffentlichen Anschlag freigestellt wurde; die hierfür angesetzte Frist von 24 Stunden war indes, wie aus einer Reihe eidlicher Aussagen der inzwischen nach Deutschland zurückgekehrten Personen hervorgeht, in keiner Weise ausreichend, um die Möglichkeit zur Ausreise zu gewähren. Die beteiligten Deutschen wurden der grossen Mehrzahl nach durch die Ueberfüllung der Züge, durch die Einstellung der Ausgabe von Fahrkarten, durch Absperrung der Bahnhöfe wie durch Anordnung der örtlichen Polizeibehörden oder durch andere ausserhalb ihres Willens liegende Umstände an der Abreise verhindert, so dass es damals nur einem verhältnismässig geringen Teil gelungen sein dürfte, in die Heimat zurückzukehren.2. Was sodann die Behauptung der Französischen Regierung anlangt, dass die Internierung deutscher Staatsangehöriger in Frankreich erst durch die Internierung von Franzosen in Deutschland veranlasst worden sei, so muss hiergegen aufs schärfste Verwahrung eingelegt werden. Die deutschen Behörden haben zwar nach Ausbruch des Krieges einige feindliche Staatsangehörige, die sich durch ihr persönliches Verhalten verdächtig gemacht hatten, in Schutzhaft genommen; diese Massnahme be-
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traf jedoch nur wenige Personen, während die grosse Masse der feindlichen Staatsangehörigen auf freiem Fusse belassen wurde. Dagegen hat die Französische Regierung, wie aus zuverlässigen Nachrichten hervorgeht, gleich nach Ausbruch des Krieges mit der Internierung der Deutschen in Frankreich in weitestem Umfange begonnen. Erst auf die Weigerung der Französischen Regierung, diese Massnahme rückgängig zu machen, ist die Deutsche Regierung im Dezember 1914 auch ihrerseits dazu übergegangen, die wehrfähigen Franzosen in Deutschland zu internieren, während sie die übrigen Franzosen nach wie vor grundsätzlich in ihrer Freiheit belassen hat.3. Die weitere Behauptung der Französischen Regierung, dass die Frage der Anwendung der Abkommen von 1914 auf Elsass-Lothringer erst im Jahre 1916 von der Deutschen Regierung aufgeworfen worden sei, wird widerlegt durch die diesseitige Verbalnote an die hiesige Spanische Botschaft vom 28. Februar 1915 (IIIb 3733); denn darin ist der Botschaft in Beantwortung einer Anfrage der Französischen Regierung mitgeteilt worden, dass sich die in Rede stehenden Vereinbarungen selbstverständlich auch auf Elsass-Lothringen beziehen.
4. Auch gegen die übrigen Ausführungen der Französi-
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schen Regierung, wie beispielsweise über die angeblich gute Behandlung der deutschen Internierten in Frankreich, ist die Deutsche Regierung in der Lage, ein erdrückendes, auf eidlichen Aussagen beruhendes Material beizubringen. Aus diesem Material ergibt sich, dass die Deutschen in Frankreich im grossen und ganzen schwere Leiden und Entbehrungen zu erdulden hatten und vielfach einer geradezu unwürdigen Behandlung ausgesetzt waren.II.
Für die von der Deutschen Regierung erhobene Forderung, dass die in Frankreich zurückgehaltenen nichtwehrfähigen Elsass-Lohringer in ihre Heimat entlassen werden müssen, sind übrigens die unter I widerlegten Behauptungen der Französischen Regierung ohne Bedeutung. Denn die Deutsche Regierung stützt ihre Forderung lediglich auf die Abkommen vom September und Dezember 1914 sowie vom Januar 1916. Wegen der Auslegung dieser Abkommen bestehen zwischen den beiden Regierungen die nachstehenden Meinungsverschiedenheiten.
1. Die Französische Regierung glaubt, die Abkommen von 1914 und 1916 nicht auf Elsass-Lothringer anwenden zu brauchen, da sie diese anscheinend nicht als Deutsche betrachtet; sie erklärt sich lediglich aus Entgegenkommen bereit, das Abkommen von
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1916 auf Elsass-Lothringer anzuwenden. Die Deutsche Regierung erachtet die Auffassung der Französischen Regierung als vollkommen abwegig, da die Elsass-Lothringer vom Standpunkt des deutschen Staatsrechtes wie des Völkerrechts zweifellos als Deutsche anzusehen sind.2. Die Französische Regierung will die Vereinbarungen von 1914 nur auf Internierte anwenden, während sie sich nach Ansicht der Deutschen Regierung in gleicher Weise auf die damals in Freiheit befindlichen Personen beziehen. Für die deutsche Auslegung spricht sowohl der Wortlaut der Vereinbarungen als auch die Tatsache, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der nichtwehrfähigen Franzosen in Deutschland sich zu jener Zeit auf freiem Fusse befand, mithin bei der engeren Auslegung überhaupt nicht unter die Vereinbarungen gefallen wäre. In der Tat hat die Deutsche Regierung, von ihrer Auslegung ausgehend, auch denjenigen französischen Staatsangehörigen, die nicht interniert waren, die Rückkehr in die Heimat gestattet.
3. Die Französische Regierung ist der Ansicht, dass die Vereinbarungen von 1914 durch das Abkommen von 1916 völlig aufgehoben worden seien. Die Deutsche Regierung kann diese Auffassung nicht als richtig anerkennen, am wenigsten für diejenigen Personen,
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die bereits auf Grund der Vereinbarungen von 1914 einen Anspruch auf Freilassung hatten und daher nur unter Verletzung dieser Vereinbarungen in Frankreich zurückgehalten werden konnten.4. Die Französische Regierung behauptet, dass das Abkommen von 1916 sich auch auf solche Personen beziehe, die erst nach dessen Abschluss interniert worden sind. Die Deutsche Regierung ist der Auffassung, dass die Zeit des Abschlusses der Abkommen massgebend ist, wurden.
III.
Die Deutsche Regierung verspricht sich von der Fortsetzung der Erörterungen über die nach I und II einander widersprechenden beiderseitigen Behauptungen und Auslegungen keinen praktischen Erfolg; sie glaubt aber einen Ausgleich auf folgender Grundlage vorschlagen zu sollen.
1. Die Deutsche Regierung nimmt davon Akt, dass sich die Französische Regierung in ihrer Note vom 11. August d.J. bereit erklärt hat, folgende Klassen nichtwehrfähiger Elsass-Lothringer heimzuschaffen:
a) die Personen, die zur Zeit in Internierungslagern untergebracht sind;
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b) die Personen, die am 13. Januar 1916 interniert waren, aber seitdem auf freien Fuss gesetzt oder in sogenannte offene Lager (maisons de réfuge) verbracht worden sind,
c) die Personen, die sich am 13. Januar 1916 nicht in eigentlichen Internierungslagern, sondern in den offenen Lagern (maisons de réfuge) befanden.
2. Die Deutsche Regierung hält weiter daran fest, dass entsprechend den Vereinbarungen von 1914 ausser den unter I aufgeführten Klassen auch diejenigen nicht wehrfähigen Elsass-Lothringer, die sich zu Beginn des Krieges in Frankreich aufgehalten haben und zur Zeit auf freiem Fusse befinden, auf Wunsch heimgeschafft werden und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie in der Zwischenzeit in ein Internierungslager oder in ein offenes Lager verbracht worden waren. Selbstverständlich verlangt die Deutsche Regierung nicht, dass die Französische Regierung von sich aus Nachforschungen nach Personen anstellt, die etwa unter die bezeichneten Klassen fallen würden; vielmehr genügt es, wenn diejenigen Personen, deren Namen von der Deutschen Regierung angegeben sind, ermittelt und wegen ihrer Heimschaffungswünsche befragt werden.
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3. Das Verlangen der Französischen Regierung, dass die nicht wehrfähigen, nach dem 13. Januar 1916 in Deutschland internierten französischen Staatsangehörigen heimgeschafft werden, kann von der Deutschen Regierung aus den oben unter II,4 dargelegten Gründen nicht als berechtigt anerkannt werden. Indes will die Deutsche Regierung, soweit nicht zwingende militärische Gründe entgegenstehen, diese Personen je nach den Umständen in ihre Heimat oder in das unbesetzte Frankreich abreisen lassen, sobald die rückkehrberechtigten Elsass-Lothringer in ihrer Heimat eingetroffen sein werden.
Das Auswärtige Amt bittet die Schweizerische Gesandtschaft, vorstehendes [sic] mit tunlichster Beschleunigung zur Kenntnis der Französischen Regierung bringen und sie gleichzeitig darauf hinweisen zu lassen, dass die Deutsche Regierung eine längere Zurückhaltung der heimkehrberechtigten Elsass-Lothringer nicht hinnehmen könnte. Für eine möglichst baldige Mitteilung über die Stellungnahme der Französischen Regierung würde das Auswärtige Amt dankbar sein.
Berlin, den 18. Oktober 17.