Dokument-Nr. 8576
Bussche-Haddenhausen, Hilmar Freiherr von dem an Pacelli, Eugenio
Berlin, 22. Januar 1918

[Abschrift]
Verehrte Excellenz!
Bei dem hohen und menschenfreundlichen Interesse, das sowohl der Heilige Stuhl als Sie persönlich an der Lage der Kriegs- und Zivilgefangenen der kriegführenden Länder nehmen, möchte ich nicht verfehlen, Ihnen von einer Angelegenheit Kenntnis zu geben, deren Ernst und Tragweite für das Wohl und Wehe der dadurch in Mitleidenschaft gezogenen Personen unverkennbar ist.
Wie Euerer Excellenz aus der Presse bekannt sein dürfte, ist die deutsche Regierung seit langer Zeit bestrebt, von der Französischen Regierung die Freigabe der in Frankreich zurückgehaltenen, insbesondere der aus dem besetzten Gebiet verschleppten deutschen Staatsangehörigen aus Elsass-Lothringen zu erreichen. Wir konnten uns dabei auf die zwischen Deutschland und Frankreich abgeschlossenen allgemeinen Abkommen über die Freilassung der beiderseitigen nicht wehrfähigen [sic] Staatsangehörigen stützen. Die Französische Regierung hat indes unsere Forderung zunächst mit der Begründung abgelehnt, dass die rechtliche Stellung der Elsass-Lothringer derjenigen der deutschen Personen
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aus dem übrigen Deutschland nicht entspreche.
Unter dem Druck einer Vergeltungsmassregel, die in der Internierung von 200 Notabeln aus dem von der [sic den?] deutschen Truppen besetzten französischen Gebiet bestand, hat sich die Französische Regierung veranlasst gesehen, eine grössere Anzahl Elsass-Lothringer nach Deutschland oder in das von französischen Truppen besetzte elsässische Gebiet zu entlassen. Gleichwohl sind noch zahlreiche Elsass-Lothringer in Frankreich zurückgeblieben, denen nach unserer Auffassung ein Anspruch auf Entlassung zusteht.
Wir haben infolgedessen aufs neue bei der Französischen Regierung wegen der Freilassung dieser Personen Vorstellungen erhoben und sie gleichzeitig darauf hingewiesen, dass wir eine längere Zurückhaltung der heimkehrberechtigten Elsass-Lothringer nicht würden hinnehmen können. Frankreich hat diese Vorstellung unbeantwortet gelassen, und die französischen Unterhändler, die im Dezember v. J. zu Verhandlungen über Gefangenenfragen mit deutschen Unterhändlern in Bern anwesend waren, haben jegliche Aussprache über die Freilassung der Elsass-Lothringer rundweg abgelehnt. Wir sind unter diesen Umständen leider gezwungen gewesen, die der Französischen Regierung angedrohten Vergeltungsmassregeln auszuführen und eine Anzahl Franzosen nach dem besetzten Russland und eine geringere Anzahl von Französinnen1
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nach einem deutschen Gefangenenlager zu überführen. Näheres über unsere Massnahmen und die im Zusammenhang damit an die Französische Regierung gestellten Forderungen wollen Euere Excellenz gütigst aus den in Abschrift beigefügten Verbalnoten an die Schweizerische Gesandtschaft vom 18. Oktober v. J. und vom 12. ds. M. ersehen.
Die Französische Regierung hat in Erwiderung hierauf durch die hiesige Spanische Botschaft mitteilen lassen, dass sie zur Vergeltung hiefür eine Anzahl angesehener Deutschen [sic Deutscher?] nach Afrika zu senden beabsichtige. Wir sind uns bewusst, eine in jeder Beziehung berechtigte Forderung zu vertreten, und haben uns nur nach langem Zuwarten und ungern zu der scharfen Massregel gegenüber Frankreich entschlossen. Die Drohung der Französischen Regierung vermag uns unter diesen Umständen von unserm Standpunkt nicht abzubringen. Der Spanischen Botschaft ist daher mitgeteilt worden, dass für den Fall der Ausführung der französischen Massnahmen zunächst weitere 1000 Zivilpersonen aus dem besetzten Frankreich zum Abschub als Geiseln bereit gehalten werden.
Niemand bedauert mehr als ich, dass es infolge des Verhaltens der Französischen Regierung nicht anders möglich gewesen ist, als Zwang anzuwenden, um den widerrechtlich von der Rückkehr in die Heimat ausgeschlossenen Deutschen die Freiheit wiederzuverschaffen.
Noch gebe ich mich aber der Hoffnung hin, dass die Französi-
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sche Regierung davon abstehen [sic absehen?] wird, den Weg gegenseitiger Vergeltungsmassnahmen mit allen ihren unabsehbaren Folgen weiter zu beschreiten, dass sie vielmehr die Berechtigung unserer Forderungen anerkennen wird. Bei Ihrer regen Anteilnahme an allen Bestrebungen, die Leiden des Krieges nach Möglichkeit zu beschränken, darf ich annehmen, dass auch Euere Excellenz diese Empfindungen teilen.
Genehmigen Euere Excellenz den Ausdruck meiner ausgezeichnetsten Hochachtung, mit der ich die Ehre habe zu sein
Jhr
ganz ergebenster
<(gez.)> Bussche.
1Im Original Fortsetzung bei 34r, 32r-33v ist eine weitere Verbalnote eingeschoben, vermutlich fehlerhafte Nummerierung.
Empfohlene Zitierweise
Bussche-Haddenhausen, Hilmar Freiherr von dem an Pacelli, Eugenio vom 22. Januar 1918, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 8576, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/8576. Letzter Zugriff am: 26.12.2024.
Online seit 17.06.2011.