Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Kaiserreich Österreich vom 18. August 1855
Während des Vormärz näherten sich der Heilige Stuhl und Österreich kirchenpolitisch an und legten etwa den Streit über die konfessionsverschiedenen Ehen 1841 bei. Die Revolution von 1848 führte jedoch fast zu einem jähen Ende dieser Entwicklung. Die Bevölkerung des Kirchenstaats drängte Papst Pius IX. in ihrer nationalen Euphorie massiv, Österreich den Krieg zu erklären. Päpstliche Regimenter waren bereits auf dem Weg nach Norden. Der Wiener Nuntius Michele Viale Prelà, der zusammen mit der kaiserlichen Familie vor den revolutionären Erhebungen aus Wien floh, vermittelte erfolgreich und verhinderte so einen Bruch zwischen dem Heiligen Stuhl und Österreich. Die anschließende Reaktionszeit führte zu ungeahnten kirchenpolitischen Möglichkeiten, da die österreichische Regierung die neoabsolutistische Ordnung nicht nur auf den Schultern des Militärs und der Bürokratie, sondern auch auf denen der katholischen Kirche ruhen ließ. Sie hob zu diesem Zweck die Einschränkungen des josephinistischen Staatskirchentums auf. Die Krönung des erneuerten Bündnisses von Thron und Altar war das Konkordat vom 18. August 1855.
Das Konkordat legte fest, dass die Unterrichtsinhalte an den österreichischen Schulen der katholischen Lehre nicht widersprechen durften. Des Weiteren unterstellte es die Lehrer der katholischen Volksschulen der kirchlichen Aufsicht. Religionslehrer und Theologieprofessoren benötigten fortan eine kirchliche Lehrerlaubnis ihres Diözesanbischofs. Die katholische Kirche erhielt mit dem Konkordat nicht nur entscheidenden Einfluss auf das Schulwesen. Das Eherecht, die Ehegerichtsbarkeit sowie die Zensur des Buchwesens wurden ihr ebenfalls übertragen. Die staatliche Polizei setzte nunmehr die Urteile der kirchlichen Stellen durch. Dem Kaiser verblieb allerdings das Nominationsrecht für die Bischöfe.
Das Kalkül der österreichischen Regierung, das diesen überaus weitreichenden Zugeständnissen zugrunde lag, war, Österreich als katholische Großmacht zu profilieren und ihren Neoabsolutismus zu legitimieren. Das österreichische Konkordat von 1855 stieß bereits bei seiner Unterzeichnung auf heftige Kritik. 1868 gelang es den Liberalen mit den sogenannten Maigesetzen, unter anderem die Bestimmungen zum Ehe- und Schulwesen außer Kraft zu setzen. Vor dem Hintergrund der Dogmatisierung der päpstlichen Infallibilität 1870 erklärte die österreichische Regierung das Konkordat für ungültig.
Quellen
Archiv für katholisches Kirchenrecht 1 (1857), S. IV-XXV.
Concordato fra Pio IX e Francesco Giuseppe I imperatore d'Austria,
18 agosto 1855, in: MERCATI, Angelo (Hg.), Raccolta di concordati su materie
ecclesiastiche tra la Santa Sede e le autorità, Bd. 1: 1098-1914, Vatikanstadt
1954, S. 821–830.
Literatur
HUSSAREK, Max, Die Krise und die Lösung des Konkordats vom 18. August 1855. Ein
Beitrag zur Geschichte des österreichischen Staatskirchenrechts, in: Archiv für
österreichische Geschichte 112 (1932), S. 211–480.
HUSSAREK, Max, Die Verhandlung des Konkordats vom 18. August 1855. Ein Beitrag
zur Geschichte des österreichischen Staatskirchenrechts, in: Archiv für österreichische
Geschichte 109 (1922), S. 447–811.
REINERMAN, Alan J., The Vatican an the Austrian Empire during the Restauration,
1814-1846, in: KENT, Peter C. / POLLARD, John F. (Hg.), Papal Diplomacy in the Modern
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RUMPLER, Helmut, Österreichische Geschichte, [Bd. 8:] Eine Chance für
Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie.
1804-1914, Wien 1997, S. 341-347, 419-422.
WEINZIERL-FISCHER, Erika, Die österreichischen Konkordate von 1855 und 1933
(Schriftenreihe des Arbeitskreises für österreichische Geschichte), Wien 1960.